VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2004 - 2 K 4705/01.A - asyl.net: M5908
https://www.asyl.net/rsdb/M5908
Leitsatz:

§ 51 Abs. 1 AuslG für Studenten, die sich im Iran an regimekritischen Demonstrationen beteiligt haben und deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Studenten, Regimegegner, Demonstrationen, Haft, Folter, Strafurteil, Freiheitsstrafe, Flugblätter, Vorverfolgung, Glaubwürdigkeit, Urkunden, Studentenausweise, Jahrgangslisten, Universität, Exmatrikulationsbescheinigungen, Ausreise, Illegale Ausreise, Seeweg, D (A), Verfahrensrecht, Bundesamt, Ablehnungsbescheid, Zustellung, Zustellungsmängel, Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Ersatzzustellung, Klagefrist, Fristversäumnis, Asylantrag, Rücknahme, Rücknahmeerklärung, Anfechtung, Irrtum
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 10 Abs. 5; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 181; VwGO § 74; VwZG § 9 Abs. 2 a.F.
Auszüge:

Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG erfüllen, weil sie am (...) als politisch Verfolgte aus ihrem Heimatland geflohen sind. Sie waren im Iran bereits von politischer Verfolgung betroffen und haben sich weiterer unmittelbar drohender politischer Verfolgung durch Flucht entzogen. Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass die Kläger folgendes Verfolgungsschicksal erlitten haben: ...

Das Gericht gelangt zu der Überzeugung von der Richtigkeit des vorstehenden Sachverhalts aufgrund der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung, in der diese ihr Verfolgungsschicksal ausführlich, anschaulich und im Wesentlichen wie bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung vor dem Bundesamt geschildert haben, der Vernehmung des Zeugen und der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse. Die in den angefochtenen Bescheiden vorgebrachten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens teilt das erkennende Gericht nicht. Es erschließt sich bereits nicht ohne weiteres, dass und aus welchen Gründen es an einer detaillierten und anschaulichen Schilderung der Ereignisse des (...) , der Gerichtsverhandlung und des nachfolgenden Gefängnisaufenthaltes gefehlt haben soll. Allein die Niederschriften über das Vorbringen der Kläger erstrecken sich über 15 bzw. 12 Seiten. Hiervon entfallen viele Seiten auf die vorstehend angeführten Vorgänge. Dabei sind zunächst Anlass, Ort und Zeitpunkt der Demonstration und der Festnahme konkret bezeichnet worden. Die Angaben der Kläger stehen auch weitgehend im Einklang mit den Presseveröffentlichungen über die damaligen Unruhen in Khoramabad (vgl. FAZ vom 29.08.2000 - "Ein Toter und dutzende Verletzte bei Unruhen in Iran"-; deutsche presse agentur vom 29.08.2000 - "Mehr als 100 Verletzte bei Angriffen Radikaler gegen Studenten" - und vom 03.09.2000 - "Iranisches Parlament verurteilt radikale Islamisten wegen Unruhen"; FR vom 01.09.2000, "Teheran prangert Schläger an"). Ferner haben die Kläger Ort, Inhalt und Verlauf der Verhöre und die in der Untersuchungshaft erlittenen Misshandlungen im einzelnen beschrieben. Die von ihnen geschilderten Verhörmethoden und Haftbedingungen stehen im Einklang mit den Erkenntnissen sachkundiger Stellen, wonach es im Iran neben der körperlichen Folter sowie unmenschlicher Behandlung (Schläge verschiedenster Art etc.) auch zur seelischen Folterung (z.B. Augenverbinden, Herbeiführung einer einschüchternden Atmosphäre, Schlafentzug) kommen kann (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 03.03.2004, S. 25). Ferner entspricht die Darstellung der "Gerichtsverhandlung" den hierzu vorliegenden Erkenntnissen, wonach der Zuständigkeitskatalog der Revolutionsgerichte sehr weit ausgelegt wird, die juristische Kompetenz der dort eingesetzten religiösen Richter unzureichend ist, die Verfahren häufig kurz und summarisch sind und in vielen Fällen keine Verteidigung durch einen Anwalt stattfindet (Lagebericht des AA vom 03.03.2004, Seiten 12, 29, und 20).

Soweit der Einzelentscheider bei den Klägern die Kenntnis der Vorschrift des Strafgesetzes vermisst, nach der sie zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, überzieht er die Anforderungen. Mit dem Hinweis darauf, dass der Richter sie wegen illegaler Aktivitäten gegen die Islamische Republik verurteilt hat, haben die Kläger den gegen sie erhobenen Vorwurf im Kern hirneichend umschrieben. Dies umso mehr, als bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle die Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten erheben und das iranische Strafrecht hinsichtlich der Bestimmheit von Straftatbeständen zum Teil unbefriedigend ist (Lagebericht des AA vom 03.03.2004, Seite 19 und 20).

Das Strafmaß von vier Monaten bewegt sich durchaus im Rahmen der Strafen, die auch gegen Teilnehmer ähnlicher regierungsfeindlicher Demonstrationen, etwa der Studentendemonstrationen im Juli 1999 in Teheran und in Täbriz verhängt worden sind (vgl. Bundesamt, Die Studentenunruhen im Sommer 1999, Seite 9).

Die vom Gericht eingeholten Auskünfte des Auswärtigen Amtes vermögen die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens gleichfalls nicht entscheidend in Frage zu stellen. Soweit sie in Zweifel ziehen, dass die Kläger Studierende der Freien Islamischen Universität zu (...) waren, ist ihnen nicht zu folgen. Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die von den Klägern beim Bundesamt (im Original) vorgelegten Studentenausweise nicht echt sind. Zudem hat der Zeuge R., der als "Gruppenleiter" (Dozent) an einer anderen Hochschule der Stadt regelmäßig Kontakte zur (...) Universität hatte, glaubhaft bekundet, dass er jedenfalls den Kläger zu 2. dort bei nichtöffentlichen Veranstaltungen angetroffen hat und dieser ihm auch von einem mit den Klägern verwandten Mitarbeiter als Student vorgestellt worden ist. Soweit das Auswärtige Amt darauf verweist, dass die Kläger in den Jahrgangslisten der Universität nicht als Studenten eingetragen seien, findet dies nach Einschätzung des Gerichts seine Erklärung darin, dass die Kläger nach ihrem Ausschluss vom Studium auch in den Listen gelöscht worden sind. Das Auswärtige Amt hat auch nicht zur Überzeugung des Gerichts aufzeigen können, dass die Entlassungsschreiben der Universität vom (...) nicht authentisch sind. Nachdem das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 19.01.2004 die Echtheit vor allem deshalb verneint hatte, weil die Mitteilungen nicht mittels Formularvordrucken gefertigt worden seien, hat es sich auf entsprechende Nachfrage des Gerichts unter dem 04.06.2004 lediglich dahingehend geäußert, es sei ihm "bisher nicht bekannt geworden, dass die Universitätsverwaltungen im Iran derartige Schreiben ausschließlich mittels Computer erzeugen." Abgesehen davon, dass nach einer "ausschließlichen" Praxis nicht gefragt worden war, ist dieser Auskunft im Ergebnis lediglich zu entnehmen, dass das Auswärtige Amt keine zuverlässige Kenntnis darüber hat, auf welchem Wege und in welcher Form die (...) Universität zu (...) Schreiben fertigt, in denen ehemaligen Studenten mitgeteilt wird, dass sie von der Universtität verwiesen worden sind.

Das Gericht glaubt den Klägern darüber hinaus, dass ihnen kurze Zeit später erneut politische Verfolgung unmittelbar drohte, als sie am (...) beim Verteilen von regierungsfeindlichen Flugblättern durch Sicherheitskräfte gestört wurden, sich aber - anders als ihre beiden Freunde - dem Zugriff durch Flucht entziehen konnten.

Der Annahme, dass die Kläger als gesuchte Regimegegner und somit vorverfolgt aus dem Iran geflohen sind, steht auch deren Ausreise mittels eines Schiffes von (...) aus nicht entgegen. Allerdings ist eine Ausreise aus dem Iran in besonderer Weise erschwert. Das gilt insbesondere für eine Ausreise über amtliche Grenzstellen. Gleichwohl entspricht es gesicherter Erkenntnis, dass eine illegale Ausreise nicht nur über derartige Grenzstellen, wie den Teheraner Flughafen Mehrabad oder den Grenzübergang Bazargan - mittels Bestechung bzw. gefälschter Pässe -, sondern auch - bei entsprechender Unterstützung durch Fluchthelfer - auf dem Seeweg möglich ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10.12.2001, Seite 35).

Die Kläger hätten aufgrund ihrer nach alledem glaubhaften Aktivitäten zu Beginn des Jahres 2001 für den Fall ihrer erneuten Festnahme auch Verfolgungsmaßnahmen von asylerheblicher Bedeutung befürchten müssen.

Es ist schließlich nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Iran wegen ihrer damaligen Aktivitäten (erneut) Verhaftung und weitere asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen drohen. Als Personen, die bereits wegen im Heimatland begangener politischer Delikte als Regimegegner inhaftiert waren und gesucht worden sind, würden sie sofort bei der Einreise in den Iran verhaftet. Hierfür spricht auch das Vorbringen des Klägers zu 2. in der mündlichen Verhandlung, seine Mutter sei noch kürzlich - im zeitlichen Zusammenhang mit den Ermittlungen des Auswärtigen Amtes aufgrund des gerichtlichen Auskunftsersuchens - von den iranischen Sicherheitsbehörden aufgesucht und zu ihnen, den Klägern, befragt worden.