OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.11.2004 - 17 B 893/04 - asyl.net: M5977
https://www.asyl.net/rsdb/M5977
Leitsatz:

Vorläufiger Abschiebungsstopp wegen Schutzes der Familie, da Abschiebung für psychisch erkrankte Mutter des Ausländers eine Gesundheitsgefährdung bedeuten würde.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Aussetzung der Abschiebung, Schutz von Ehe und Familie, Familienangehörige, Mutter, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Betreuung, Beistandsgemeinschaft, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung
Normen: GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 123
Auszüge:

 

 

Die Abschiebung des Antragstellers ist vorläufig zu untersagen, weil Ihre Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG derzeit nicht abschließend beurteilt werden kann und das Interesse des Antragstellers an der Verhinderung eines möglichen Grundrechtsverstoßes schwerer wiegt als das öffentliche Interesse an der alsbaldigen Beendigung seines Aufenthalts in Deutschland.

Die in Art. 6 Abs.1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser Pflicht entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 -, BVerfGE 76, 1 (49f.); Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 (92).

Vorliegend macht der Antragsteller geltend, seine an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidende und deshalb nicht abschiebungsfähige Mutter sei auf seinen Beistand angewiesen. Nach Lage der Akten ist dieses Vorbringen nicht von der Hand zu weisen; der Antragsgegner wird diesbezüglich ergänzende Sachaufklärung zu betreiben haben.

Die Mutter des Antragstellers wird derzeit vom Antragsgegner geduldet. Anlass hierzu ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 3. März 2004 - 16a L 457/04.A -, durch den der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben worden ist, gegenüber dem Antragsgegner sicherzustellen, dass die Abschiebung der Mutter auf der Grundlage des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. Oktober 2000 nach Maßgabe des § 41 AsylVfG nicht vollzogen wird. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, das Vorliegen einer PTBS bei der Mutter des Antragstellers sei sehr wahrscheinlich. Das von ihr in der Hauptsache betriebene Verfahren auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist weiterhin anhängig.

Es bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der gesundheitliche Zustand der Mutter des Antragstellers dessen vorläufigen weiteren Verbleib in ihrer Nähe erfordert. Ausweislich der ergänzenden psychotherapeutischen Stellungnahme des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge Düsseldorf vom 6. Mai 2004 ist sie wegen ihrer chronischen Suizidalität auf die ständige Betreuung durch ihre Familie angewiesen, die gegenwärtig vor allem durch den Ehemann und den Antragsteller gewährleistet werde. Es kann dahinstehen, ob der Vater des Antragstellers in der Lage wäre, seine Ehefrau allein zu betreuen, was in Anbetracht seiner eigenen gesundheitlichen Verfassung durchaus zweifelhaft erscheint. Hierauf kommt es letztlich nicht an, weil der Stellungnahme vom 6. Mai 2004 auch zu entnehmen ist, dass die Mutter des Antragstellers aufgrund traumaspezifischer Informationsverarbeitungsprozesse im Falle einer Abschiebung ihres Sohnes für diesen ebenfalls traumatische Erfahrungen antizipieren und einen gravierenden gesundheitlichen Einbruch erleben würde.