VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 02.09.2004 - 12 TG 1986/04 - asyl.net: M6157
https://www.asyl.net/rsdb/M6157
Leitsatz:

1 . Die Ausweisung eines Unionsbürgers kann ausnahmsweise auch dann rechtmäßig sein, wenn zwar die grundsätzliche Notwendigkeit einer Befristung erkannt worden, im konkreten Fall aber aus spezialpräventiven Gründen eine bestimmte Frist noch nicht festgesetzt worden ist.

2. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug kann mit der Notwendigkeit des Einsatzes erheblicher

öffentlicher Mittel für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens begründet werden (hier: Unterbringung eines Ausländers in einer psychiatrischen Klinik).

 

Schlagwörter: D (A), Italiener, Unionsbürger, Ausweisung, Befristung, Straftäter, Schuldunfähigkeit, Psychische Erkrankung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Gefahrenprognose, Öffentliche Sicherheit, Spezialprävention, Sofortvollzug, Öffentliches Interesse, Wirtschaftliche Zwecke, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AufenthG/EWG § 12; AuslG § 45; AuslG § 46 Nr. 2
Auszüge:

1 . Die Ausweisung eines Unionsbürgers kann ausnahmsweise auch dann rechtmäßig sein, wenn zwar die grundsätzliche Notwendigkeit einer Befristung erkannt worden, im konkreten Fall aber aus spezialpräventiven Gründen eine bestimmte Frist noch nicht festgesetzt worden ist.

2. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug kann mit der Notwendigkeit des Einsatzes erheblicher

öffentlicher Mittel für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens begründet werden (hier: Unterbringung eines Ausländers in einer psychiatrischen Klinik).

(Amtliche Leitsätze)

 

Aufgrund des Beschwerdevorbringens lässt sich nicht feststellen, dass die Ausweisungsverfügung allein deshalb rechtswidrig sein muss, weil sie die grundsätzliche Notwendigkeit einer Befristung zwar erkennt, im konkreten Fall aber zu dem Ergebnis kommt, eine bestimmte Frist lasse sich derzeit noch nicht festsetzen. Eine solche Annahme ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 4. März 2002 (- 12 UE 200/02 -). Dort ist ausgesprochen worden, dass die Ausländerbehörde im Hinblick auf die Schutzgebote aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verpflichtet sei, von sich aus aufgrund des ihr bekannten Wunsches des dortigen Klägers zur Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft die Frage einer Befristung zu prüfen und dass eine Ausweisung auf Lebenszeit aufgrund der Prognose einer nicht besonders gewichtigen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Unionsbürgern grundsätzlich ausgeschlossen sei (S. 12 f. Urteilsabdruck). Weder hieraus noch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (C - 482/01- und C- 493/01 - "Orfanopoulos") lässt sich entnehmen, dass ausnahmslos in jedem Fall der Ausweisung eines Unionsbürgers zwingend schon mit der Ausweisungsverfügung eine konkrete Befristung für die Wirkung der Ausweisung vorzunehmen ist. Vielmehr kann es ausnahmsweise genügen, im Rahmen der anzustellenden gemeinschaftsrechtlichen Gefahrenprognose die Befristungsfrage in den Blick zu nehmen und mit entsprechender spezialpräventiver Begründung zu dem Ergebnis zu gelangen, derzeit könne eine bestimmte Frist noch nicht festgesetzt werden. Eine solche Feststellung ist dann nicht zu beanstanden, wenn den Erwägungen zu Grunde liegt, dass die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit einer Fernhaltung des Unionsbürgers auf Dauer entgegensteht und nur so lange erfolgen darf, als dies zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG) notwendig ist.

Schließlich lässt sich aufgrund des Beschwerdevorbringens auch die Rechtswidrigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs nicht feststellen. Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung kann mit der Begründung der Ausländerbehörde darin gesehen werden, dass zur Abwehr der vom Antragsteller bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausgehenden schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit öffentliche Mitteln ganz erheblichen Umfangs für die Unterbringung während des Hauptsacheverfahrens aufgewendet werden müssen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde handelt es sich insoweit - wie in der Beschwerdeerwiderung zutreffend dargelegt wird - nicht um eine Begründung mit "wirtschaftlichen Zwecken" im Sinne von § 12 Abs. 2 AufenthG/EWG.