OVG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
OVG Berlin, Beschluss vom 27.05.2004 - OVG 2 N 100.04 - asyl.net: M6184
https://www.asyl.net/rsdb/M6184
Leitsatz:

Eine nach ausländischem Recht erfolgte Adoption ist im Rahmen eines Kindernachzugsbegehrens (§ 20 Abs. 2 AuslG) unter Rückgriff auf die Grundsätze des § 16 a Nr. 4 FGG wegen Unvereinbarkeit mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht anzuerkennen, wenn diese offensichtlich nicht von dem für das deutsche Adoptionsrecht (§ 1741 Abs. 1 BGB) maßgebenden Gesichtspunkt des Kindeswohls getragen war.(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Kindernachzug, Adoption, Auslandsadoption, Kindeswohl, Berufungszulassungsantrag, Ernstliche Zweifel
Normen: AuslG § 20 Abs. 2; FGG § 16a Nr. 4; EGBGB § 22; BGB § 1741 Abs. 1; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des Kindernachzugs (§ 20 Abs. 2 AuslG), weil die nach vietnamesischem Recht erfolgte Adoption im konkreten Fall mit den Grundsätzen des deutschen Adoptionsrechts nicht vereinbar ist.

Gemäß Art. 22 Abs. 1 und 2 EGBGB unterliegt die Annahme als Kind und deren Folgen in Bezug auf das Verwandtschaftsverhältnis grundsätzlich dem Recht des Staates (hier: Vietnam), dem der Annehmende angehört. Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2003 stellt dementsprechend auch nicht die grundsätzliche Wirksamkeit der am 17. November 1997 erfolgten Adoption des Klägers nach vietnamesischem Recht und deren grundsätzliche Verbindlichkeit auch für deutsche Behörden und Gerichte in Frage. Dennoch ist die nach ausländischem Recht erfolgte Adoption nicht ohne weiteres im deutschen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten, denn eine Anerkennung der ausländischen Adoptionsentscheidung kann auch aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Rückgriff auf die Grundsätze des § 16 a Nr. 4 FGG wegen Unvereinbarkeit mit dem deutschen Recht ausgeschlossen sein. Dies ist der Fall, wenn ihre Zugrundelegung bei Entscheidungen zu einem Ergebnis führen würde, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Dies kann insbesondere bei der Nichtbeachtung des Kindeswohls im Rahmen einer ausländischen Adoption der Fall sein (vgl. Bassenge/Herbstl Roth, FGG, 9. Aufl., § 16 a Rdnr. 8; VGH Kassel, Urteil vom 5. Juli 1993, NJW-RR 1994, 391 ff.). Denn gemäß § 1741 Abs. 1 BGB ist eine Annahme als Kind nur zulässig, wenn sie dem Kindeswohl dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Gegen diesen zentralen Grundsatz ist im vorliegenden Fall bei der Adoption des Klägers offensichtlich verstoßen worden, auch wenn das vietnamesische Adoptionsrecht "die Begründung mütterlicher Bande der Zuneigung zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden" neben der "Sicherung des Unterhalts, der Sorge und der guten Erziehung" voraussetzt und damit jedenfalls abstrakt insoweit mit dem deutschen Adoptionsrecht vergleichbar ist (vgl. Art. 34 Gesetz über Ehe und Familie der Sozialistischen Republik Vietnam, abgedruckt bei Bergmann/ Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Vietnam, III. B, S. 35 ).

Schon das Protokoll zur Übergabe und Aufnahme des Klägers weist nur wirtschaftliche Gründe für die Adoption aus ("schwierige Wirtschaftssituation", "gute Wirtschafts- und Wohnverhältnisse zum Kindpflegen") und begnügt sich im Übrigen mit der vorgedruckten Versicherung der Beteiligten gegenüber dem Volkskomitee, dass die "Adoption nach §§ 34, 35, 36 Kapitel VI des Familiengesetzes" erfolgt.

Dass das Kindeswohl - von wirtschaftlichen Überlegungen abgesehen - in Bezug auf die auch nach vietnamesischem Recht vorausgesetzte Begründung mütterlicher Bande hier keine Rolle gespielt haben kann, ergibt sich schon daraus, dass die Adoptivmutter des Klägers bereits die Ausreise zum Zwecke der Eheschließung und Übersiedlung nach Deutschland 5 Wochen vor der am 17. November 1997 erfolgten Adoption beantragt hatte, ohne den Kläger im Rahmen dieses Verfahrens auch nur zu erwähnen, geschweige denn ihn mitnehmen zu wollen. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ca. 1 1/2 Jahre alt und wurde nach dem Gesprächsvermerk des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Ho-Chi-Minh-Stadt vom 4. März 2002 auch gegenüber dem späteren deutschen Ehemann der Adoptivmutter des Klägers jahrelang verschwiegen. Dies änderte sich erst im März 2002 als für den damals fast 6 Jahre alten Kläger ein Visum für den Kindernachzug beantragt wurde. Die Adoptivmutter hatte inzwischen ein Alter von fast 49 Jahren erreicht. Dass sich unter diesen Umständen keine tragfähige persönliche Bindung zwischen der Adoptivmutter und dem Kläger entwickelt haben konnte, wie sie das Adoptionsrecht zum Ziel hat, liegt auf der Hand. Dem stand vor der Ausreise der Adoptivmutter schon das geringe Kindesalter des Klägers und danach die räumliche und zeitliche Distanz zwischen beiden entgegen, die durch keinerlei Kontakte oder auch nur finanzielle Unterstützungsleistungen überbrückt worden war. Diese waren unterblieben, weil der Ehemann der Adoptivmutter lange nichts von der Existenz des Adoptivkindes wissen sollte. Das bedeutet, dass der inzwischen 8 Jahre alte Kläger bis zum heutigen Tag praktisch unverändert von seiner leiblichen Mutter in Vietnam betreut und erzogen worden ist und seine Adoptivmutter so gut wie nicht kennengelernt hat.

Unter diesen Umständen bestehen entgegen der Auffassung des durch seine Adoptivmutter vertretenen Klägers keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Abweisung der Klage auf Erteilung eines Visums für den Kindernachzug durch den angefochtenen Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2003 im Ergebnis richtig ist.