SG Hannover

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Zitieren als:
SG Hannover, Beschluss vom 20.01.2005 - S 51 AY 1/05 ER - asyl.net: M6196
https://www.asyl.net/rsdb/M6196
Leitsatz:

Kein Rechtsmissbrauch bei Verweigerung der Ausreise.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialhilfe, Kosovo, Roma, Freiwillige Ausreise, Abschiebungshindernis, Gesetzesänderung, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Ausreisepflicht, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB XII; SGG § 86b
Auszüge:

Kein Rechtsmissbrauch bei Verweigerung der Ausreise.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Antragsteller haben ab 11.01.2005 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab 01.01 2005 geltenden Fassung. Dass die zeitlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift bei den Antragstellern vorliegen, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Die Antragsteller haben weiterhin nicht die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Wohl ist der Antragsgegnerin darin Recht zu geben, dass den Antragstellern weder Abschiebungshindernisse zu Seite stehen und auch ihre freiwillige Ausreise möglich und zumutbar ist. Roma aus dem Kosovo können nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - sowohl durchaus in das Amselfeld zurückkehren. Da der Kosovo staatsrechtlich immer noch ein Teil Serbiens ist, können sie zudem auch in andere Landesteile Serbiens ausweichen (vgl. nur VG Hannover, Urteil vom 07.09.2004 - 7 A 3494/04 -). Das hier beschließende Gericht folgt dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts. Nach der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des § 2 Abs 1 AsylbLG wäre der Antrag der Antragsteller nach alledem abzulehnen gewesen.

Seit dem 01.01.2005 hat sich jedoch die maßgebende Vorschrift geändert. Seither kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist oder ob Abschiebehindernisse bestehen. Grundsätzlich steht nunmehr allen unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallenden Ausländern nach Erfüllung der Wartezeit von 36 Monaten ein Anspruch auf erhöhte Leistungen zu. Dies ist vom Gesetzgeber so beabsichtigt (vgl. BT-Drucks. 14/7387, S. 112, Zu Art. 8 - Nr. 3). Nach dem Gesetz ist nun nur noch dann ausnahmsweise ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII ausgeschlossen, wenn jemand die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat.

Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland beeinflussen, indem sie - obwohl sie es könnten - nicht freiwillig ausreisen. Die Antragsteller kommen nach alledem ihrer Ausreisepflicht schuldhaft nicht nach. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Asy!bLG zwar auch zwischen denjenigen Ausländern unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können (dafür liegen bei den Antragstellern keine Anhaltspunkte vor) und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen (vgl. B1. Drucks. 14/7367, S. 112). Weil aber der Gesetzgeber und dann auch das beschlossene und verkündete Gesetz nicht nur darauf abstellen, dass Ausländer ihrer Ausreisepflicht schuldhaft verletzen, sondern als weitere Voraussetzung das Merkmal der Rechtsmissbräuchlichkeit hinzugekommen ist, ist nunmehr der Kreis der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Anspruchsberechtigten gegenüber der bis zum 3112.2004 geltenden Rechtslage deutlich erweitert. Viele Ausländer, denen, weil zumindest eine freiwillige Ausreise möglich war, nach den bis Ende Dezember geltenden Bestimmungen lediglich Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG zustanden, kommen nun in den Genuss erhöhter Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG n. F. Denn ein Rechtsmissbrauch kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Ausländer lediglich ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommen. Der Staat kann dem mit Abschiebungsmaßnahmen hinreichend begegnen. Von einem Rechtsmissbrauch. d.h. einer missbräuchlichen Ausnutzung von Rechten und Vorschriften, kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn Ausländer versuchen, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen und auszunutzen. Etwa, in dem sie falsche Angaben machen, um einer Abschiebung zu entgehen und so ihren Aufenthalt zu verlängern, beispielsweise wenn sie eine falsche Identität vorspiegeln und/oder wahrheitswidrige Angaben zu ihrer Herkunft machen bzw. diese Daten verschweigen, sogenannte Scheinehen eingehen oder, um eine Duldung zu erzwingen, bei der Beschaffung von notwendigen Reisedokumenten nicht mitwirken bzw. vorhandene Reisepässe und andere Identitätspapiere zurückhalten oder gar vernichten (vgl. auch die Beispiele in der BT -Drucks. 14/7387, a.a.O.). Von alledem kann bei den Antragstellern keine Rede sein. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass sie falsche Angaben zu ihrer Vo!kszugehörigkeit oder ihrer Herkunft gemacht haben. Selbst die Antragsgegnerin hat dies nicht behauptet.

Die Antragsteller kommen - wenn auch schuldhaft - nur schlicht ihrer Ausreisepflicht nicht nach, ohne ein irgendwie geartetes Recht zum Aufenthalt missbräuchlich in Anspruch zu nehmen oder rechtlich zulässige Abschiebemaßnahmen zu verhindern.

Die Antragsgegnerin als Ausländerbehörde hat es in der Hand, Abschiebemaßnahmen einzuleiten. Wenn sie dies aus welchen Gründen auch immer, etwa aufgrund von Anweisungen der übergeordneten Behörde, nicht tut, kann dies nicht den Antragstellern angelastet und ihnen deshalb Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden.