OVG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 08.02.2005 - 1 B 6/05 - asyl.net: M6197
https://www.asyl.net/rsdb/M6197
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Ausweisung, Straftäter, Drogendelikte, Freiheitsstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung, Regelausweisung, Atypischer Ausnahmefall, Besonderer Ausweisungsschutz, Wiederholungsgefahr, Spezialprävention, Schutz von Ehe und Familie, Familienangehörige, Ehefrau, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Sperrwirkung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 54 Nr. 3; AufenthG § 56 Abs. 1; EMRK Art. 8; AuslG § 8 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1
Auszüge:

Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers am Suspensiveffekt seines Widerspruchs das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des ausländerbehördlichen Bescheids vom 07.09.2005 überwiegt. Denn es liegen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser Bescheid einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis voraussichtlich nicht wird standhalten können.

Der Antragsteller erfüllt, weil er ein Betäubungsmitteldelikt begangen hat (Urteil des Amtsgerichts Leer vom 05.05.2004: Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln), die Voraussetzungen einer Regel- Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG/§ 54 Nr. 3 AufenthG. Regel-Ausweisung bedeutet, dass nach dem Willen des Gesetzgebers im Normalfall die Ausweisung erfolgen soll und die mit einer Ausweisung regelmäßig verbundenen Härten hinzunehmen sind. Es spricht einiges dafür. dass atypische Verhältnisse, die ein Abweichen von der Regel-Ausweisung rechtfertigen könnten, im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.

Ob dem Antragsteller der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 AufenthG zur Seite steht - mit der Folge einer Herabstufung der Regel-Ausweisung zu Ermessens-Ausweisung - erscheint fraglich.

Letztlich mag das hier aber dahinstehen. Denn nach derzeitigem Sachstand erscheint es überwiegend wahrscheinlich, dass die Ausweisung gegen Art. 8 EMRK verstößt.

Diese Vorschrift vermittelt einen Ausweisungsschutz, der teilweise über den des Aufenthaltsgesetzes hinausgeht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Eine Ausweisung greift in dieses Recht ein und ist deshalb nur unter Beachtung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Schranken zulässig. Das bedeutet u. a., dass die Ausweisung ein dringendes öffentliches Bedürfnis erfüllen und sie insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten Ziel sein muss; die ausländerbehördliche Maßnahme muss ein ausgewogenes Gleichgewicht der betreffenden Interessen wahren. Die Ausgewogenheit beurteilt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles. Eine Ehe steht nach diesem Maßstab der Ausweisung eines straffällig gewordenen Ehepartners nicht von vornherein entgegen, in diesem Fall ist aber eine sorgfältige Würdigung der Belange des anderen Ehepartners geboten. Ist diesem nicht zuzumuten, dem ausgewiesenen Ehegatten in dessen Herkunftsland zu folgen und stellt der Betreffende nur noch eine vergleichsweise geringe Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, kann die Ausweisung nach der Rechtsprechung des EGMR unverhältnismäßig sein.

Soweit sich dies im vorliegenden Eilverfahren überblicken lässt, sind die Belange der Ehegattin des Antragstellers schutzwürdig und ist ihr eine Begleitung des Antragstellers nach Serbien-Montenegro nicht zumutbar. Die Ehegattin lebt mit dem Antragsteller in einer intakten ehelichen Lebensgemeinschaft. Sie besitzt ebenfalls die serbisch-montegrinische Staatsangehörigkeit, ist aber im Unterschied zum Antragsteller in Deutschland geboren (1977). Seit 1992 steht sie in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis, d. h. ihr ist es gelungen, sich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Damit liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass ihr - entgegen der Annahme im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.09.2004 - eine Begleitung des Antragstellers nach Serbien-Montenegro nicht zumutbar ist. Auf der anderen Seite hat die vom Antragsteller begangene Straftat durchaus Gewicht. Betäubungsmitteldelikte hier die Einfuhr von 52 Gramm Kokain aus den Niederlanden - verletzen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der EGMR hat wiederholt anerkannt, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn die Vertragsstaaten gegen die Rauschgiftkriminalität auch mit ausländerrechtlichen Maßnahmen entschlossen durchgreifen (vgl. EGMR, U. v. 17.04.2003 <Yilmaz>, NJW 2004, S. 2147). Das befreit indes nicht davon, bei einem verheirateten Ausländer im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch die Umstände der jeweiligen Straftat in den Blick zu nehmen. Diese Umstände sprechen hier dafür, dass vom Antragsteller nur noch eine vergleichsweise geringe Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Das Amtsgericht Leer hat im Strafurteil vom 05.05.2004 verschiedene Faktoren benannt, die gegen eine Wiederholungsgefahr sprechen (Einfuhr des Kokains zum Eigenkonsum; Beeindruckung durch eine zweimonatige Untersuchungshaft; geregelte soziale Verhältnisse).

Der Antragsteller hat weiter vorgetragen, in der Untersuchungshaft von seiner Drogensucht therapiert worden zu sein. Er ist seit dem 18.05.2004 einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Sollte sich insbesondere seine Einlassung, die Drogensucht "überwunden zu haben, bestätigen, bestünden erhebliche Zweifel, ob noch hinreichend gewichtige spezialpräventive Gründe vorliegen, die eine ausweisungsbedingte Trennung der Eheleute rechtfertigen könnten. Die gegen den Antragsteller ergangene Ausweisungsverfügung könnte dann keinen rechtlichen Bestand haben.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR wiederholt auf die Bedeutung der Befristung einer Ausweisung hingewiesen hat. Auch dann, wenn eine Ausweisung als solche aus überwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit rechtlich nicht zu beanstanden ist, kann sie nach den Umständen des Falles einen unverhältnismäßigen Eingriff darstellen, wenn ihr eine Befristung fehlt (vgl. EGMR, U. v. 17.04.2003,a.a.O.; U. v. 22.04.2004 <Radovanovic> InfAuslR 2004, S. 374). Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.09.2004 weist den Antragsteller ausdrücklich "mit unbefristeter Wirkung" aus Deutschland aus. Dies weckt, berücksichtigt man die schutzwürdig an Belange der Ehefrau des Antragstellers, zusätzliche rechtliche Bedenken.

Sollte die Ausweisung keinen rechtlichen Bestand haben, entfiele die Sperrwirkung

des § 8 Abs. 2 AuslG/§ 11 Abs. 1 AufenthG, auf die die Antragsgegnerin die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gestützt hat. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist es erforderlich, und zwar unbeschadet der Regelung über die Wirksamkeit einer Ausweisung in § 72 Abs. 2 AuslG/§ 84 Abs. 2 AufenthG, im Rahmen eines Eilverfahrens gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis bereits das voraussichtliche rechtliche Schicksal der Ausweisungsverfügung mit einzubeziehen (vgl. OVG Bremen, B. v. 25.10.1996 - 1 B 82/96).