VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 03.01.2005 - 4 A 3789/04 - asyl.net: M6236
https://www.asyl.net/rsdb/M6236
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion im Stadium 3 (CDC) für togoischen Staatsangehörigen; Behandlung ist für den Kläger nicht finanzierbar, wenn überhaupt eine funktionierende Behandlung zur Verfügung steht.

 

Schlagwörter: Togo, HIV/AIDS, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion im Stadium 3 (CDC) für togoischen Staatsangehörigen; Behandlung ist für den Kläger nicht finanzierbar, wenn überhaupt eine funktionierende Behandlung zur Verfügung steht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Ablehnung der Änderung des Bescheides vom 15.12.2003 hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG bzw. nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Rechtslage: § 60 Abs. 7 AufenthG ist nicht rechtmäßig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat wiederum einen Anspruch auf Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Der Kläger konnte seine behandlungsbedürftige HIV-Infektion in seinem ersten Asylverfahren nicht geltend machen, da er erst frühestens seit Dezember 2004 von der Krankheit in starkem Umfang befallen ist. Diese wiederum konnte er mit Aussichten auf Erfolg auch erst zum Gegenstand eines auf § 53 Abs. 6 AuslG gestützten Anspruchs machen, als sie eine solche Schwere erreicht hat, dass die Lebensgefahr bei fehlender Behandlung tatsächlich gegeben ist. Es mögen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens insoweit bei Stellung des Antrages noch nicht gegeben sein. Darauf kommt es jedoch nicht an, denn spätestens seit Dezember 2004, als dem Kläger die Schwere seiner Erkrankung bewusst geworden sein muss, liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen vor. Die dann gegebene Behandlungsbedürftigkeit der HIV-Infektion gibt dem Kläger einen zwingenden Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, denn das behördliche Ermessen kann sich im Falle eines anzunehmenden Abschiebungsverbots auf nur eine Entscheidungsmöglichkeit zugunsten des Wiederaufnahme Begehrenden reduzieren, soweit zugleich unmittelbar verfassungsrechtlich begründete Rechtspositionen betroffen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich eine Gefahr für Leib und Leben, insbesondere eine extreme Gefahrenlage, sonst nicht anders abwenden lässt (BVerwG, Urteil v. 07.09.1999 1 C 6.99 -, BVerwGE 109, 305).

Eine extreme Gefahrenlage wird im Fall einer HIV-Infektion im allgemeinen erst in deren Stadium 3 (AIDS) nach der CDC-Klassifikation erwogen (so OVG Hamburg, Beschl. v. 13.10.2000 3 Bs 369/99 -, InfAuslR 2001, 132, 133 für den Fall einer lebensbedrohlichen Lage im Falle der Abschiebung; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.03.2003 10 LA 30/03 -, AuAS 2003, 126). Eine extreme Gefahrenlage ist aber auch für das fortgeschrittene Stadium 2 (B 2 und B 3) der HIV-Infektion angenommen worden (VG Dresden, Urt. v. 28.05.2002 - A 12 K 31312/99 - und VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.11.2002 - 9a K 1157/00.A -), wenn der Ausländer bei Rückkehr nach Angola beziehungsweise Kamerun die Kosten für die erforderliche antiretorvirale Kombinationstherapie nicht aufbringen kann, was dazu führen würde, dass er an lebensgefährlichen Begleitinfektionen erkrankt und verstirbt. Insbesondere bei bereits aufgetretenen Komplikationen hätte der Abbruch der medikamentösen Therapie eine rasch erfolgende lebensbedrohliche Erkrankung und den Tod des Ausländers zur Folge (vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O.). Dagegen werden die strengen Voraussetzungen für die ausnahmsweise Gewährung von Abschiebungschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG als nicht erfüllt angesehen, wenn sich die HIV-Infektion nach der CDC-Klassifikation im Stadium 1 (A2) befindet, also nach Einschätzung des behandelnden Arztes bei Abbruch der Behandlung noch ca. fünf bis sieben Jahre vergehen würden, bevor es zu AIDS-assoziierten beziehungsweise AIDS-definierenden Erkrankungen kommen würde (VG Schwerin, Urt. v. 16.04.2002 - 11 A 2343/96 As -).

Der Kläger ist in einer solchen Schwere erkrankt und behandlungsbedürftig. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass die medikamentöse Versorgung von HIV-Infizierten nach den Auskünften zum Gesundheitssystem in Togo (Bundesamt für Flüchlinge, Togo. Aids in Togo, vom 20.08.2002; Universitätsklinikum Heidelberg an VG Würzburg vom 06.04.2004) Einwohnern, die Behandlung nicht privat tragen können und keine Familienangehörigen haben, die dafür aufkommen, nicht zugänglich ist, abgesehen davon dass sehr zweifelhaft ist, ob die von der Regierung initiierten Programme zur AIDS-Hilfe überhaupt funktionieren.