VG Dessau

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Zitieren als:
VG Dessau, Beschluss vom 28.02.2005 - 3 B 760/04 DE - asyl.net: M6242
https://www.asyl.net/rsdb/M6242
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Auflagen, Nebenbestimmungen, Wohnsitzauflage, Gemeinschaftsunterkünfte, Räumliche Beschränkung, Sofortvollzug, Widerspruchsfrist, Bestandskraft, Gesetzesänderung, Aufenthaltsgesetz, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, Ehefrau, Eheliche Lebensgemeinschaft, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 56 Abs. 3 S. 2; AuslG § 44 Abs. 6; AufenthG § 51 Abs. 6; AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 102 Abs. 1 S. 1; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 3 S. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Beschränkung des Aufenthaltes auf den Bezirk des Landkreises Wittenberg ist begründet.

Die angegriffene Vollziehungsanordnung vermag schon in formeller Hinsicht einer rechtlichen Prüfung nicht standzuhalten, denn der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beschränkung des Aufenthaltesbereichs in keiner den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet. Fehlt es an einer solchen Begründung oder geht aus ihr nicht hervor, dass die Verwaltungsbehörde die öffentlichen und die privaten Interessen gegeneinander abgewogen hat, so ist nicht nur die Vollziehungsanordnung der Behörde aufzuheben, sondern die aufschiebende Wirkung des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. November 1992 - 2 M 148/92 - n. v.).

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Wohnsitzauflage "Gemeinschaftsunterkunft Möhlau" hat demgegenüber keinen Erfolg, denn dieser Antrag ist bereits unzulässig. Die Unzulässigkeit des gestellten Antrages ergibt sich aus der bereits eingetretenen Bestandskraft der angefochtenen Wohnsitzauflage.

Die im Streit stehende Beschränkung des Aufenthaltes auf den Bezirk des Landkreises Wittenberg beruht auf § 56 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) - AuslG - . Danach ist der Antragsgegner berechtigt, mit der Erteilung einer Duldung weitere Bedingungen und Auflagen anzuordnen. Bei einer hierauf gestützten räumlichen Beschränkung der Duldung handelt es um eine selbständig anfechtbare Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt - VwVfG LSA - (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, München 1999, § 56 AuslG RdNr. 7), die selbständig - d.h. unabhängig vom Schicksal der Duldung - Bestandskraft erlangen kann und vorliegend auch erlangt hat.

Der dargelegten Wertung steht nicht entgegen, dass die Wohnsitzauflage "Gemeinschaftsunterkunft Möhlau" einer befristeten und mehrfach verlängerten Duldung beigefügt war. Hieraus ergibt sich weder, dass die Wohnsitzauflage ihrerseits ebenfalls befristet gewesen wäre, noch dass sie mit jeder Verlängerung der Duldung erneut erlassen worden wäre.

Der dargelegten Wertung, dass die Wohnsitzauflage bestandskräftig ist, steht schließlich auch nicht entgegen, dass das Ausländergesetz mit Ablauf des 31. Dezember 2004 außer Kraft und am 01. Januar 2005 das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) - AufenthG - in Kraft getreten ist.

Zwar ist die genannte Regelung des § 44 Abs. 6 AuslG, soweit es Nebenbestimmungen zu einer Duldung betrifft, in § 51 Abs. 6 AufenthG nicht übernommen worden. Deshalb ist seit dem 01. Januar 2005 davon auszugehen, dass eine Nebenbestimmung zu einer Duldung erlischt, sobald die Duldung wegfällt. An der Bestandskraft der im Streit stehenden Wohnsitzauflage ändert dies jedoch nichts.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bleiben unter anderem vor dem 01. Januar 2005 erteilte Auflagen einschließlich ihrer Rechtsfolgen weiterhin wirksam. Die im Streit stehende Wohnsitzauflage ist mithin auch nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als bestandskräftige, unbefristete Auflage wirksam.

Deshalb kann es auf sich beruhen, ob im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 51 Abs. 6 AufenthG bei einer nach dem 31. Dezember 2004 erteilten Auflage davon auszugehen ist, dass diese an der Befristung der Duldung "teilnimmt" und deshalb mit jeder Verlängerung der Duldung "erneuert" werden muss.

Auch der weiter hilfsweise gestellte Antrag, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die Wohnsitzauflage dahin abzuändern, dass er - der Antragsteller - seinen Wohnsitz in Halle (Saale) zu nehmen hat, hat keinen Erfolg.

Rechtsgrundlage für die begehrte Entscheidung über die Änderung der Wohnsitzauflage ist § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Danach ist der Antragsgegner berechtigt, mit der einem Ausländer erteilten Duldung weitere Bedingungen und Auflagen zu verbinden. Weitere Vorgaben enthält die Vorschrift nicht. Ist die Ausländerbehörde hiernach ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Sinn und Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 VwVfG LSA). Ein Rechtsanspruch auf antragsgemäße Änderung der Wohnsitzauflage bestünde mithin nur, wenn das Ermessen des Antragsgegners in der Weise beschränkt wäre, dass allein die begehrte Entscheidung rechtmäßig ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Für Umstände, aufgrund derer eine derartige Ermessensreduzierung gegeben sein könnte, ist hier nichts ersichtlich.

Auszugehen ist von dem Sinn und Zweck der Regelung des § 61 Abs. 1 AufenthG, der auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ausgerichtet ist. Die Vorschrift soll der Ausländerbehörde die Möglichkeit eröffnen, Vorkehrungen im Hinblick auf die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nach Wegfall des Aussetzungsgrundes zu treffen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist es mithin grundsätzlich zulässig, den Aufenthaltsbereich des ausreisepflichtigen Ausländers einzuschränken. Dies schließt - ausweislich der Regelung des § 61 Abs. 2 AufenthG - auch die Möglichkeit mit ein, den Ausländer zu verpflichten, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.

Für die Notwendigkeit einer derartigen Anordnung spricht im Falle des Antragstellers, dass dieser sich in der Vergangenheit wiederholt über die Beschränkung seines Aufenthaltsbereiches hinweggesetzt hat.

Soweit der Antragsteller demgegenüber den nachvollziehbaren Wunsch anführt, mit seiner in Halle (Saale) wohnhaften Ehefrau in ehelicher Gemeinschaft zu leben und zu wohnen, vermag dies auch unter Beachtung des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie durch Art.. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - das Ermessen des Antragsgegners nicht derart einzuschränken, dass dieser verpflichtet wäre, die Wohnsitzauflage wunschgemäß zu ändern. Auszugehen ist davon, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG kein Anspruch auf sofortige Legalisierung des Aufenthaltes im Bundesgebiet ableiten lässt (vgl. hierzu im Einzelnen den Beschluss der Kammer vom 19. August 2004 - 3 B 485/04 DE - ). Dies hat zur Folge, dass - da der Antragsteller nach der vom Berichterstatter eingeholten fernmündlichen Mitteilung des Antragsgegners vom 23. Februar 2005 seit kurzem (Wieder) über einen gültigen Reisepass verfügt - in Kürze mit der Abschiebung des Antragstellers zu rechnen ist. Insofern ist nicht erkennbar, aus welchem Grund es für den Antragsteller unzumutbar sein sollte, nun auch noch für die verbleibende kurze Zeit - wie bisher - in der Gemeinschaftsunterkunft Möhlau zu wohnen, zumal hierdurch Besuche in Halle (Saale) - nach Einholung der entsprechenden Erlaubnis des Antragsgegners - nicht ausgeschlossen sind.