VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 02.02.2005 - 2 G 138/05.A - asyl.net: M6405
https://www.asyl.net/rsdb/M6405
Leitsatz:
Schlagwörter: Togo, Flüchtlingsfrauen, Kotokoli, Genitalverstümmelung, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Folgeantrag, Fristen, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Änderung der Rechtslage
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 2; AsylVfG § 71 Abs. 5; VwGO § 123; AufenthG § 60 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

Insoweit die Antragstellerinnen im Asylfolgeverfahren geltend gemacht haben, ihnen drohe bei einer Rückkehr nach Togo Zwangsbeschneidung, hätte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ohne weitere Sachaufklärung wie geschehen nicht ablehnen dürfen. Im Einzelnen gilt folgendes:

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes scheitert das Asylfolgebegehren der Antragstellerinnen nicht (mehr) an § 51 Abs. 2 VwVfG, wonach der Wiederaufgreifensantrag nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Zuzugeben ist dem Bundesamt insoweit, dass die Antragstellerinnen die Gefahr einer Zwangsbeschneidung in ihren Asylerstverfahren in der Tat nicht vorgetragen haben. Doch ist zu beachten, dass sogenannte geschlechtsspezifische Verfolgung kraft Gesetzes erst seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.07.2004 in dem dortigen Artikel 1 (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz -) § 60 Abs. 1 Satz 3 einer gesetzlichen Regelung unterworfen wurde. Das Zuwanderungsgesetz ist indes erst am 01.01.2005 - mithin nach Abschluss der Asylerstverfahren der Antragstellerinnen - gemäß Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 des genannten Aufenthaltsgesetzes darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBI.1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (sog. kleines Asyl). Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Rechtfertigten geschlechtsspezifische Verfolgungsmaßnahmen vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes teilweise allenfalls Abschiebeverbote des früheren § 53 AuslG stellt der am 01.01.2005 in Kraft getretene § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von geschlechtsspezifischer Verfolgung bedrohte Personen erstmals kraft Gesetzes auf die Stufe politisch Verfolgter mit der Folge, dass ihnen das "stärkere" Abschiebeverbot zur Seite steht. Hierin ist eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu sehen, die geltend zu machen die Antragstellerinnen in ihren früheren Verfahren bereits deshalb nicht in der Lage waren, da die genannte Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG wie mehrfach ausgeführt erst zum 01.01.2005 in Kraft getreten ist.

Die Antragstellerinnen haben zudem glaubhaft gemacht, dass bei ihrer Rückkehr nach Togo die zwangsweise Beschneidung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dies deshalb, da sie weiblich und bislang unbeschnitten sind und zum Volk der Kotokolli gehören.

In den Siedlungsgebieten der Kotokolli ist der durch die Gemeinschaft ausgeübte Druck in Richtung auf eine zwangsweise Beschneidung bis hin zur sozialen Ausgrenzung der Nichtbeschnittenen derart, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antragstellerinnen bei einer Rückkehr nach Togo mit hinreichender Sicherheit einer Zwangsbeschneidung unterworfen werden.