VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 09.03.2005 - 10 K 346/02.A - asyl.net: M6507
https://www.asyl.net/rsdb/M6507
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, UNMIK, KFOR, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Schilddrüsenkrebs, Krebsnachsorge, Schilddrüsenhormon, Medizinische Versorgung, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Finanzierbarkeit, Bewegungsfreiheit, Sicherheitslage, Allgemeine Gefahr, Erlasslage, Abschiebungsstopp
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; EMRK Art. 3
Auszüge:

Vor diesem Hintergrund ist zunächst ein Anspruch der Kläger auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 AuslG zu verneinen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 02.09.1997 - 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187; vgl. zur a.A.: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte -EGMR-, vgl. etwa Entscheidung vom 07.03.2000 - Nr. 43844/98 -, InfAuslR 2000, 321, m.w.N. (T.J. ./. Vereinigtes Königreich)) kommt ein Abschiebungshindernis nach dem wortgleichen früheren § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn die dem Ausländer im Zielstaat drohende Misshandlung vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgeht oder zu verantworten (ihr zuzurechnen) ist. Hieran fehlt es vorliegend. Zur Begründung wird zunächst auf die den Beteiligten bekannte ständige Rechtsprechung der Kammer zur asylrechtlichen Beurteilung der Lage im Kosovo verwiesen. Im Übrigen vertritt die Kammer in Fortentwicklung ihrer Asyl-Rechtsprechung den Standpunkt, dass mit der Ablösung des § 51 Abs. 1 AuslG durch § 60 Abs. 1 AufenthG und insbesondere unter Berücksichtigung dessen Satz 4c (Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure) im Ergebnis keine andere Rechtslage besteht. Es kann daher offen bleiben, ob - wie die Kläger meinen - die erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG überholt ist und nunmehr auch im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK berücksichtigt werden muss, ob menschenrechtswidrige Maßnahmen durch nichtstaatliche Akteure drohen.

Zwar kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG - vorbehaltlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative - eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Diese Voraussetzungen sind mit Blick auf die Lage im Kosovo indes zu verneinen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die zurzeit die staatliche Gewalt im Kosovo ausübenden UN-Kräfte (UNMIK und KFOR) sowohl willens als auch hinreichend in der Lage sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zumindest aber trifft es nicht zu, dass sich durch die Er-eignisse während der März-Unruhen im Jahre 2004 gezeigt habe, dass UNMIK und KFOR auch für die Zukunft erwiesenermaßen keinen zureichenden Schutz für im Kosovo lebende ethnische Minderheiten gewährleisten könnten. Das Gericht hat dazu in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 9.3.2005 (10 K 328103.A) wie folgt ausgeführt: (...)

Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG lassen sich allein für den Kläger zu 1 aus individuellen, d. h. krankheitsbedingten Gründen bejahen.

Nach Würdigung der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nach dem krebsbedingten Verlust seiner Schilddrüse lebensnotwendig und lebenslang auf die regelmäßige Einnahme des Schülddrüsen(ersatz)hormons L-Thyroxin sowie Kalzium bzw. Kalzium und Vitamin D 3 angewiesen ist und begleitend hierzu seine Blutwerte vierteljährlich (im Rahmen einer Laboruntersuchung) kontrolliert werden müssen. Des Weiteren hat das Gericht aufgrund des Gesamtvortrages und insbesondere der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass dieser sich weiterhin in der Krebsnachsorge befindet und jedenfalls in größeren Abständen oder bei Verdacht entsprechende Kontrolluntersuchungen (z.B. Kernspintomografie) stattfinden.

Es ist ferner anzunehmen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers zu 1 im Falle einer Rückkehr bzw. Rückführung in den Kosovo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald wesentlich verschlimmern würde, weil nach den vorliegenden Erkenntnissen eine Weiterbehandlung des Klägers zwar theoretisch denkbar wäre, diese aber aus finanziellen Gründen scheitern würde.

So wäre im Falle des Klägers zwar das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin im Kosovo erhältlich, müsste aber von ihm selbst bezahlt werden. Die Bestimmung von Laborwerten des Blutes und sonstige Behandlungen wie Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse, Ganzkörperzintigrapie und Magnetresonanztomografie sind im Kosovo allenfalls in privaten Arztpraxen - auf Patientenkosten - möglich, während es onkologische Nachsorgeun-tersuchungen dort überhaupt nicht gibt (Vgl. dazu die Auskünfte des Dt. Verbindungsbüros Kosovo vom 16.4.2004 (Az.: RK 516.80 32.31, vom 26.1.2004 (Az.: RK 516.80 30/4-R 3118), vom 21.1.2004 (Az.: RK 516.80 32.3-134-138) und vom 4.12.2003 (RK 516.80 17B-1362/138705) sowie die KIP-Auskunft vom 5.2.2001 (Az.: G 1643-1648 E KIP)).

Selbst in der Universitätsklinik in Pristina, die am ehesten noch eine angemessene medizinische Versorgung des Klägers gewährleisten könnte, sind alle Behandlungen seit 1.1.2003 kostenpflichtig (Vgl. die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die medizinische Versorgungslage im Kosovo, Update vom 24.5.2004, S. 22).

Obwohl somit zumindest das vom Kläger dringend benötigte Schilddrüsenhormon im Kosovo verfügbar ist und auch die erforderlichen Blutkontrollen grundsätzlich möglich erscheinen, könnte der Kläger im Falle einer Rückkehr hiervon nicht profitieren, denn er würde sich die notwendige Behandlung nicht leisten können. Dazu muss gesehen werden, dass im Kosovo hohe Arbeitslosigkeit - vor allem unter Angehörigen von Minderheiten - herrscht und die öffentliche Hilfe (Sozialhilfe) schon schwerlich ausreicht, die elementarsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen (Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 4.11.2004, S. 17 f.). Hinzu kommt, dass Angehörige ethnischer Minderheiten im Kosovo aufgrund ihrer mangelnden Bewegungsfreiheit meist nicht einmal in der Lage sind, vorhandene medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen (So die Auskunft des UNHCR vom 08.09.2003 an das VG des Saarlandes zur medizinischen Versorgung im Kosovo). Der erwähnten Auskunft des UNHCR zufolge können Minderheitenangehörige sich im Kosovo in der Regel nicht frei bewegen, weswegen ihr Zugang zu öffentlichen Einrichtungen - auch zu Krankenhäusern - beschnitten ist. Während häufig ihre Sicherheit nicht einmal gewährleistet ist, wenn sie den nächstgelegenen örtlichen Gesundheitsposten aufsuchen wollen, wird das Problem besonders akut, wenn es um weitergehende medizinische Dienste geht. Diese bereits bisher schwierige Situation hat sich nach einem Bericht des UNHCR in Folge der Unruhen vom 15. bis 21. März 2004 noch verschärft (UNHCR-Position vom 30.04.2004 zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update vom 24.5.2004 zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004).

Dem Kläger kann aus den zuletzt genannten Gründen auch nicht angesonnen werden, sich zu einer Behandlung ins Kerngebiet von Serbien und Montenegro (außerhalb des Kosovo) zu begeben. Dabei sind weitere Schwierigkeiten - die allerdings nicht nur Angehörige von Minderheiten betreffen - darin zu sehen, dass im Kosovo ansässige Personen die administrative Grenze in Richtung restliches Serbien wegen strenger Bewachung nicht ohne Weiteres passieren können, sie medizinische Dienstleistungen im restlichen Serbien und Montenegro selbst (teuer) bezahlen müssen und es auch an öffentlichen Verkehrsverbindungen fehlt (Vgl. dazu die Auskunft des UNHCR an das VG Koblenz vom 29.09.2003 - Gz.: 470.KOS-03/0805/KL/hs -; ferner Schrift des Informationszentrums Asyl und Migration des BAFl. zum Gesundheitswesen in Serbien und Montenegro vom März 2003, S. 11; auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) vom 24.02.2004, Seite 25).

Soweit sich die Kläger für den Fall der Rückkehr in den Kosovo den Gefahren ausgesetzt sehen, die im Allgemeinen den Angehörigen ihrer Volksgruppe (Ashkali) bzw. der Minderheit der Ägypter (sofern man die Kläger zu diesen zählt, vgl. oben) drohen, ist ein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Abs. 1 AufenthG ebenfalls nicht gegeben.

Nachdem aufgrund des aktuell gültigen Erlasses des Ministeriums für Inneres und Sport des Saarlandes über die Rückführung von Minderheiten aus dem Kosovo vom 23.05.2003 (AZ: B5 5518/1-04-11 Kosovo) lediglich noch die Angehörigen der Volksgruppen der Roma und Serben aus dem Kosovo von zwangsweisen Rückführungen weiterhin ausgenommen sind und daher u.a. die Ashkali und Ägypter von einem Abschiebestopp nicht mehr profitieren können, hat die Kammer angesichts dessen darauf erkannt (vgl. die Leit-Urteile der Kammer vom 08.10.2003 (10 K 341/02.A und 10 K 131/03.A), dass ein Schutz vor Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AuslG nicht in Betracht kommt, weil trotz der Übergriffe auf Ashkali und Ägypter im Kosovo nicht angenommen werden kann, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppen im Fall der Rückkehr in den Kosovo im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung dort überall ("flächendeckend") und darüber hinaus nicht irgendwann, sondern alsbald nach einer Rückkehr "sehenden Auges dem sicheren Tod" oder "schwersten Verletzungen" ausgeliefert wäre.