VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 04.05.2005 - VG 33 X 261.01 - asyl.net: M6573
https://www.asyl.net/rsdb/M6573
Leitsatz:
Schlagwörter: Aserbaidschan, Luftweg, Drittstaatenregelung, Mitwirkungspflichten, Beweislast, Zeitschriften, Presse, Oppositionelle, Halg, Ulus, Journalisten, Übergriffe, Schutzbereitschaft
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 15; AsylVfG § 26a
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung wegen Übergriffen nach Veröffentlichung eines regimekritischen Artikels in Aserbaidschan.

 

Dem Kläger ist Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren, nicht hingegen Asyl. Es steht nicht fest, dass er entsprechend seinem Vorbringen auf dem Luftweg von Aserbaidschan aus und nicht auf dem Landweg aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz, § 26a Abs. 1 und 2 AsylVfG in Verbindung mit Anlage 1 zu dieser Norm in die Bundesrepublik einreiste. Insoweit legte der Kläger nicht, wie dies erforderlich ist (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. Dezember 2000 - A 14 S 2443/98 - AuAS 2000, S. 152 ff.), glaubhaft und substanziiert dar, dass sich die Sachlage im Verhältnis zum früheren Asylverfahren dergestalt zu seinen Gunsten geändert hat, dass nunmehr seine Asylanerkennung in Betracht kommt und damit die Voraussetzungen des Wiederaufnahmegrundes nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, der nach dem Vorbringen des Klägers zu seinem Reiseweg einzig in Betracht kommt, gegeben sind. Bei der Klärung seines Reiseweges hat der Asylsuchende in erheblichem Umfang mitzuwirken (§ 15 AsylVfG). Er hat insbesondere seinen Pass sowie den Flugschein und sonstige Unterlagen, die Aufschluss über seinen Reiseverlauf erbringen können, vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Nrn. 3 und 4 AsylVfG). Besitzt er die erforderlichen Einreisepapiere nicht, hat er an der Grenze bzw. bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§§ 13 Abs. 3 Satz 1, 18 f. AsylVfG). Diesen gesetzlichen Mitwirkungspflichten kam der Kläger nicht nach. Er nannte nur den Abflug- und den Ankunftsflughafen sowie den Reisetag . Er legte weder den verwendeten Pass noch Flugunterlagen vor. Auch sorgte er bei seiner Einreise, die nach seinen Angaben über den Frankfurter Flughafen erfolgte, nicht dafür, dass seine Angaben unmittelbar am Flughafen überprüft werden konnten. Er wandten sich nicht unverzüglich mit dem Begehren, politisches Asyl zu erhalten, an die am Flughafen tätigen Beamten des Bundesgrenzschutzes oder der Polizei, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, seine Angaben zur Luftwegseinreise beispielsweise durch Befragung des Flugpersonals zu überprüfen. Erst in Berlin suchte er um Asyl nach. Erfolg versprechende Nachforschungen zur Verifizierung seiner Angaben zur Einreise wurden von ihm dadurch unmöglich gemacht. Die Überprüfung von Passagierlisten schied aus. Die Luftfahrtgesellschaft nannte der Kläger nicht. Über den Namen, unter dem er gereist sein will, vermochte er lediglich Vermutungen anzustellen. Die lateinische Schrift, mit der der Name in dem von ihm verwendeten Pass eingetragen gewesen sei, habe er nicht richtig lesen können. Dies wirkt sich zu seinen Ungunsten aus, da die materielle Beweislast für die Einreise auf dem Luftweg, und zwar aus einem Staat, der nicht zu den sicheren Drittstaaten gehört, beim Asylbewerber liegt (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109 S. 174, 179 f.).

Nach dem Vorbringen des Klägers, den Bekundungen seiner Ehefrau und der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2002 ist aber davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der von ihm veröffentlichten Zeitungsartikel und damit wegen seiner politischen Überzeugung in Aserbaidschan verfolgt wurde. In seinen Zeitungsartikeln gab der Kläger seine kritische Haltung zur politische Situation Aserbaidschans kund, auch zum damaligen Präsidenten Hejdar Alijew. Da er als Verfasser namentlich genannt wurde, waren ihm die Artikel individuell zuzuordnen. Hierdurch exponierte er sich. Auch wurde die oppositionelle Haltung des Klägers im regierungsnahen Lager wahrgenommen. Glaubhaft ist auch das Vorbringen des Klägers zu den von ihm erlittenen Übergriffen. Seine Tätigkeit an der staatlichen Universität spricht nicht dagegen. Auch an der Universität war er von Repressalien betroffen. Ihm wurden keine Studenten mehr zugeteilt. Sein Lohn erhielt jemand anderes. Das Auswärtige Amt (Lageberichte vom 29. Januar 2002, S. 8 f., und vom 28. Januar 2005, S. 10, 12) berichtet ebenso wie amnesty international (Länderkurzbericht zu Aserbaidschan vom Juli 2002) immer wieder von Übergriffen auf regimekritische Journalisten. Auch vermochte der Kläger in Aserbaidschan keinen Schutz vor den Übergriffen zu erlangen. Von der Polizei erhielt er keine Hilfe. Zwar machten sich die Polizisten bei seiner ersten Anzeige Notizen. Dass Ermittlungen eingeleitet oder Erfolg versprechende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, ist nicht ersichtlich. Vielmehr setzten sich die Übergriffe in der Folgezeit fort. Bei der Erstattung der zweiten Anzeige wurde der Kläger gar aus der Polizeiabteilung hinausgejagt.