Nach Überzeugung des Gerichts steht dem Kläger allerdings ein Anspruch auf die Feststellung zu, dass bei ihm die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Der Kläger kann sich nämlich auf Nachfluchtgründe berufen, die eine politische Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien beachtlich wahrscheinlich machen:
Seine ganze Kritik an den Verhältnissen in Äthiopien basiert auf dem Fundament, dass mit der Absetzung des früheren Patriarchen der äthiopisch-orthodoxen Kirche Merkorios und auch weiterer höherer gerichtlicher Würdenträger, die wohl inoffiziell auch auf die Einflussnahme der TPLF (die die heutige EPLF-Regierung in Äthiopien dominiert) zurückzuführen ist, und mit der Einsetzung des neuen Patriarchen Paulos Unrecht geschehen ist, das nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft in Äthiopien spaltet.
Der Kläger hat seine Kritik allerdings nicht allein auf die innerkirchlichen Vorgänge beschränkt, vielmehr hat er auch eine oppositionelle Haltung gegenüber der Regierung von Äthiopien bezogen. So hat er zwei Sendebeiträge für den Radiosender "Voice of Ethiopien Medhin" geschrieben, die, wie vom Radiosender bestätigt, unter Angabe seines Namens am 26. Dezember 2004 und am 30. Januar 2005 gesendet worden sind. Das Kurzwellenradio sendet einmal pro Woche und ist in Ost-, Süd- und Zentralafrika zu empfangen, damit also auch überall in Äthiopien. Im ersten Sendebeitrag führte der Kläger laut der vorgelegten Übersetzung sinngemäß aus, dass die jetzige Regierung EPRDF die Kirche besetzt und den Glauben beschmutzt habe. Die EPRDF habe auf eigene Faust den kirchlich gewählten Patriarchen abgesetzt und selbst einen neuen Patriarchen gewählt. Der neue Patriarch und die Regierung der EPRDF seien keine gottesgläubigen Menschen. Wer aber keinen Glauben habe, habe auch nichts zu sagen. Der Patriarch und die EPRDF hätten das Kircheneigentum geplündert, gestohlen und weiterverkauft. Die große Geschichte und die Legende der Kirche seien beschmutzt worden. Priester, Mönche und Diakone seien vertrieben, gefoltert und ins Gefängnis gesteckt worden. Man müsse sich gegen den ungläubigen und satanischen Patriarchen und die EPRDF gemeinsam verteidigen. Ähnlich wie David mit Gottes Hilfe Goliath besiegt habe und in der äthiopischen Geschichte andere Herrscher das Land verteidigt hätten, müssten auch sie ihr Land gegen die Herrschaft der Ungläubigen, der EPRDF und den Patriarchen verteidigen und wieder ein friedliches Land herstellen.
Im zweiten Sendebeitrag von Radio Medhin hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sinngemäß ausgeführt, dass die Menschen am Glauben festhalten sollten und durch die Unterdrückung durch die Machthaber nicht ihren Glauben verlieren sollten.
Hinzu kommt, dass der Kläger in der Bonifatius-Kirche in Frankfurt Gottesdienste abhält und dabei immer wieder diesen innerkirchlichen Streit aufgreift, aber dabei auch Kritik gegenüber der äthiopischen Regierung dahingehend äußert, dass früher Äthiopien eine Einheit gewesen sei, durch die Politik sei das Land nun gespalten.
Dem Gericht liegen zum Problem innerkirchlicher Kritik verbunden mit politischer Opposition verschiedene Auskünfte vor. Das Auswärtige Amt (AA) führt in seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2004 an das VG Würzburg aus, kirchenkritische Aktivitäten, auch in der Öffentlichkeit, seien nach Einschätzung des AA in Äthiopien kein Grund für staatliche Verfolgung. Regierungskritische Äußerungen in den Massenmedien könnten nach Einschätzung des AA staatliche Verfolgung unter zwei Bedingungen nach sich ziehen, nämlich 1. sie finden wiederholt statt und 2. die äthiopische Regierung schätzt die Beiträge als Gefährdung für die äußere oder innere Sicherheit des Landes ein; dies könne der Fall sein, wenn zu Gewalt aufgerufen wird. Das Institut für Afrika-Kunde führt in seiner Auskunft vom 28. September 2004 an das VG Würzburg aus, dass dann, wenn eine politische Opposition zur Regierung als Mitglied einer oppositionellen Exilorganisation sowie Aktivitäten als Diakon, der in Opposition zum Patriarch Paulos steht, zusammentreffen, dies durchaus den Asylbewerber als exponierten Anhänger der Opposition erscheinen lassen könne, zumal dann, wenn er im ebenfalls oppositionellen Radiosender "Voice of Ethiopien Medhin" den Patriarchen Paulos sowie die Regierung kritisiert habe. Im Falle einer Rückkehr wäre daher keinesfalls auszuschließen, dass er wegen dieser Aktivitäten vor Gericht gestellt und zu einer Haftstrafe verurteilt werden könnte. Regierungskritik werde von der äthiopischen Regierung häufig als "Aufstachelung zur Gewalt" interpretiert, auch wenn es sich um bloße kritische Berichterstattung bzw. Kommentierung von Ereignissen handele. Berücksichtigt man des Weiteren, dass das Vorgehen der äthiopischen Regierung in Bezug auf ihre politischen Gegner durch ein hohes Maß an Willkür geprägt ist, häufig kommt es zu Verhaftungen ohne nachfolgende Anklageerhebung und Gerichtsverhandlung (Institut für Afrika-Kunde, a.a.O.), und zieht man des Weiteren in Betracht, dass der Kläger am 22. Januar 2005 an einer Konferenz des Oppositionsbündnisses UEDF teilgenommen und dabei das Wort sinngemäß dahingehend ergriffen hat, dass man niemals aufgeben dürfe, in seinen Bemühungen gegen die Regierung, dass man als Christ immer Hoffnung haben müsse und der Glaube Berge versetzen könne, dann liegen insgesamt Umstände vor, die es beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kläger wegen seiner öffentlichkeitswirksamen und wiederholten Kritik an der äthiopischen Regierung bei einer Rückkehr in seine Heimatland mit politischer Verfolgung rechnen muss.