VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 28.01.2005 - 12 K 127/03 - asyl.net: M6719
https://www.asyl.net/rsdb/M6719
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Straftäter, Erschleichen einer Aufenthaltsgenehmigung, Deutschverheiratung, Eheliche Lebensgemeinschaft, Gesetzesänderung, Terrorismusbekämpfungsgesetz, Falschangaben, Belehrung, Ermessensausweisung
Normen: AuslG § 45 Abs. 1; AuslG § 46 Nr. 1; AuslG § 46 Nr. 2; AuslG § 92 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 1 i. V. m. § 46 Nr. 2 AuslG, auf die die Ausweisung gestützt wurde, liegen vor.

Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebietes eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Vorliegend wurde der Beigeladene durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 12.04.1999 - 35- 173/99 - wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Danach habe er unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG unrichtige Angaben gemacht oder benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, indem er am 06.11.1995 in dem Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vor der Ausländerbehörde in A-Stadt schriftlich erklärt habe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft mit seinem Ehepartner seit dem 01.09.1995 wieder vorliege, und indem er am 02.01.1997 auf den am 06.11.1996 gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erneut vor der Ausländerbehörde in A-Stadt schriftlich bestätigt habe, dass die eheliche Lebensgemeinschaft mit seinem Ehepartner weiter vorliege, obwohl eine eheliche Lebensgemeinschaft nach der am 09.11.1992 geschlossenen Ehe zu keinem Zeitpunkt begründet worden sei.

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte auch § 45 i. V. m. § 46 Nr. 2 AuslG als Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung des Beigeladenen herangezogen werden. Dem steht nicht entgegen, dass am 01.01.2002, also noch vor Erlass der streitigen Ausweisungsverfügung vom 22.03.2002, im Zuge des sog. Terrorismusbekämpfungsgesetzes eine Neufassung des § 46 Nr. 1 AuslG in Kraft trat. Nach der Neufassung dieser Bestimmung kann nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wer in Verfahren nach diesem Gesetz oder zur Erlangung eines einheitlichen Sichtvermerks nach Maßgabe des Schengener Durchführungsübereinkommens falsche Angaben zum Zwecke der Erlangung ei- ner Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung gemacht oder trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat, wobei die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig ist, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben hingewiesen wurde. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Beigeladenen nicht erfüllt, da nach den überzeugenden Feststellungen des Stadtrechtsausschusses der Beigeladene vor Abgabe der falschen Angaben im Aufenthaltserlaubnisverfahren nicht auf die Rechtsfolge einer Ausweisung hingewiesen wurde (vgl. zur Notwendigkeit einer solchen Belehrung: OVG Bremen, Beschluss vom 31.03.2003 -1 B 348/03-; VG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2003 - 8 B 153/03 -).

Der neu geschaffene Anwendungsbereich des § 46 Nr. 1 AuslG hindert indes einen Rückgriff auf § 46 Nr. 2 AuslG nicht, auch wenn es - wie im Fall des Beigeladenen - gerade um Falschangaben im Aufenthaltserlaubnisverfahren geht.

Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob § 46 Nr. 1 AuslG überhaupt in zeitlicher Hinsicht auch dann gilt, wenn - wie hier - die Falschangaben in einem bereits abgeschlossenen Aufenthaltserlaubnisverfahren gemacht wurden. Insoweit muss gesehen werden, dass das Terrorismusbekämpfungsgesetz keine Übergangsregelung enthält und daher sofort anzuwendendes Recht war. Dies spricht dafür, die Neuregelung auch dann zur Anwendung kommen zu lassen, wenn die unrichtigen oder unvollständigen Angaben vor Inkrafttreten des Terrorismusbekämpfungsgesetzes gemacht worden sind (vgl. so Hailbronner, Ausländerrecht, Band 1, § 46 AuslG, Rdnr. 5 unter Hinweis auf OVG Bremen, wie vor; ihm folgend OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.05.2004 -2 Y 2/04-). Diese Auffassung erscheint indes nicht unproblematisch, denn sie stellt nachträglich Anforderungen für eine Ausweisung wegen Falschangaben auf, die die Ausländerbehärde bei Abgabe der Falschangaben nicht beachten konnte, und greift damit - wie auch der vorliegende Fall zeigt - in bereits erfüllte Ausweisungstatbestände ein. Es erscheint aber fraglich, ob mit diesem Gesetzesverständnis dem Sinn und Zweck des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, das die Ausweisungsmöglichkeiten erweitern und nicht einschränken sollte (vgl. BT -Drucksache 14/7386, S. 56), Rechnung getragen wird. Letztlich bedarf diese Frage aber keiner abschließenden Beurteilung.

Die Neufassung des § 46 Nr. 1 AuslG schließt nämlich in ihrem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf § 46 Nr. 2 AuslG sachlich nicht aus.

Eine Auslegung beider Tatbestände lässt nach Auffassung der Kammer nicht die Feststellung zu, dass § 46 Nr. 1 AuslG im Fall von Falschangaben eine Anwendung des § 46 Nr. 2 AuslG ausschließt.

Aus dem Wortlaut der § 46 Nr. 1 und 2 AuslG ergibt sich nicht, dass § 46 Nr. 1 AuslG im Fall der Falschangaben der Regelung in § 46 Nr. 2 AuslG als das speziellere Gesetz vorgeht. Vielmehr spricht die ungewöhnliche Formulierung in § 46 Nr. 1 AuslG, dass "die Ausweisung auf dieser Grundlage nur zulässig ist, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben hingewiesen wurde", dafür, dass das Belehrungserfordernis nur für "diese Grundlage" der Ausweisung gilt, es mithin im Fall von Falschangaben auch noch andere Grundlagen für eine Ausweisung, und zwar ohne Belehrungserfordernis, gibt. In jedem Fall nicht überzeugend erscheint die im Widerspruchsbescheid vertretene Auffassung, dass § 46 Nr. 1 AuslG aufgrund seines Wortlautes im Umfang seines Anwendungsbereichs hinsichtlich Falschangaben der speziellere Tatbestand sei und daher Anwendungsvorrang vor § 46 Nr. 2 AuslG habe. Dies findet im Wortlaut des Gesetzes ersichtlich keine Stütze. Die Beklagte widerspricht sich vielmehr selbst, wenn sie an anderer Stelle ausführt, der Gesetzgeber habe übersehen, dass Falschangaben im Genehmigungsverfahren schon bisher zur Ausweisung nach Nr. 2 führen konnten.

Nach der Systematik des AuslG konkretisieren die sieben Ausweisungsbeispiele des § 46 AuslG die in § 45 Abs. 1 AuslG niedergelegten Tatbestandsmerkmale "öffentliche Sicherheit und Ordnung" und "sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik" und stehen grundsätzlich unabhängig nebeneinander. Zwischen ihnen kann es daher ohne weiteres zu "Überschneidungen" (siehe Hailbronner) kommen, das heißt, zum gleichzeitigen Vorliegen mehrerer Ausweisungsbeispiele. Der Anwendungsbereich beider Ausweisungsbeispiele ist im Fall der Falschangaben in einem Aufenthaltserlaubnisverfahren keineswegs identisch. § 46 Nr. 1 AuslG erfasst jede Falschangabe, beispielsweise auch die fahrlässige, und verlangt bei einer derart niedrigen Eingriffsschwelle für die Rechtsfolge einer Ausweisung, dass eine entsprechende Belehrung stattgefunden hat. Dagegen muss im Anwendungsbereich des § 46 Nr. 2 AuslG die Falschangabe nicht nur eine vorsätzliche Straftat i. S. von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sein, zudem darf der Gesetzesverstoß nicht vereinzelt oder geringfügig sein. Damit ist die Eingriffsschwelle bei § 46 Nr. 2 AuslG ungleich höher und es ist nicht ohne Plausibilität, wenn der Kläger argumentiert, dass bei einer solchen Fallkonstellation eine Ausweisung keiner Belehrung bedarf. Auch ist die weitere Überlegung des Klägers nicht von der Hand zu weisen, dass nach der Betrachtung der Beklagten der Straftäter nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, der zudem einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Gesetzesverstoß begangen hat, nur deshalb, weil er nicht belehrt wurde, besser gestellt wird als ein zwar belehrter Ausländer, der sich aber nur eine geringfügige fahrlässige Falschangabe hat zu Schulden kommen lassen. Damit ergibt sich auch aus systematischer Sicht jedenfalls kein Anhalt für das in Rede stehende Spezialitätsverhältnis zwischen beiden gesetzlichen Regelungen.

Eine teleologische Auslegung kann zwar zugunsten eines Spezialitätsverhältnisses ins Feld führen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers "die Neufassung des § 46 Nr. 1 als Ermessensausweisung nun auch falsche Angaben im Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung oder einer Duldung bzw. im Visumsverfahren berücksichtigt" (vgl. BT -Drucksache 14/7386, S. 56). Weiter heißt es, dass "im Hinblick auf die von internationalen gewalttätigen Gruppierungen ausgehenden Gefahren es deshalb erforderlich ist, auch in diesen Fällen die Möglichkeit zu eröffnen, eine Ausweisung zu verfügen" (vgl. BT -Drucksache, wie vor). Diese Erwägungen sprechen zwar dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 46 Nr. 1 AuslG eine Ermessensausweisung für Falschangaben im Erlaubnisverfahren einführen wollte. Sie lassen allerdings nicht den Willen des Gesetzgebers erkennen, dass derartige Falschangaben nicht auch auf anderer Grundlage und unter anderen Tatbestandsvoraussetzungen zur Ausweisung führen können. Der Neuregelung des § 46 Nr. 1 AuslG die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, Falschangaben im Erlaubnisverfahren ausschließlich unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung mit einer Ausweisung zu sanktionieren, hieße vielmehr, den übergeordneten gesetzgeberischen Willen zu missachten, mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz die Instrumente der Gefahrenabwehr, hier konkret: die Ausweisungsbeispiele in § 46 AuslG, zu erweitern und nicht einzuschränken.