VG Köln

Merkliste
Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 17.01.2005 - 8 K 9856/99.A - asyl.net: M6866
https://www.asyl.net/rsdb/M6866
Leitsatz:

Antiretrovirale Therapie ist in Äthiopien grundsätzlich nur gegen Bezahlung zugänglich; § 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion, da Finanzierung der Therapie nicht möglich ist.

 

Schlagwörter: Äthiopien, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, HIV/Aids, Krankheit, Finanzierbarkeit, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Antiretrovirale Therapie ist in Äthiopien grundsätzlich nur gegen Bezahlung zugänglich; § 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion, da Finanzierung der Therapie nicht möglich ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen. Im übrigen ist die zulässige Klage hinsichtlich des Abschiebungshindernisses des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der im Wesentlichen dem mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes außer Kraft getretenen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entspricht, begründet.

Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und - bei Ernteausfällen - potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Im Jahr 2003 erhielten 13,2 Millionen Äthiopier Nahrungsmittelhilfe (vgl. AA, Lagebericht vorn 13. Mai 2004).

Die medizinische Versorgung ist nur in Addis Abeba zufrieden stellend. Die Notwendigkeit von Verbesserungen bei der Behandlung von Aids-Erkrankungen ist erkannt, angesichts der Schwäche des Gesundheitssystems aber schwer durchzusetzen (AA, Lagebericht vom 13. Mai 2004).

Infolge der zunehmenden Zahl von AIDS-Erkrankungen (nach Angaben des nationalen AIDS-Sekretariats ca. 2,6 Mio. Äthiopier, davon 250.000 Kinder unter 5 Jahren) steigt der Bedarf für Behandlungsmöglichkeiten von opportunistischen Infektionen wie Tuberkulose, Toxoplasmose und Pilzerkrankungen (AA, Lägebericht vom 15. Januar 2003).

Für die HIV/AIDS-Behandlung sind in Äthiopien nahezu alle neuartigen Medikamente erhältlich; Diagnostik in diesem Bereich ist seit einigen Jahren ohne Beschränkungen möglich; stationäre Behandlung in privaten Krankenhäusern grundsätzlich gewährleistet. Meist erreichen diese Äthiopien aus Indien oder Kenia. Private Krankenhäuser und Kliniken sind bei Vorlage dieser Medikamente bereit, deren sachgerechte Anwendung - u.U. auch im Rahmen einer stationären Behandlung - zu gewährleisten. Gleichwohl verweigern diese, die häufig verwendeten Mittel zu nennen und Anwendungserfahrungen darzulegen. Diagnostik in diesem Bereich ist in Äthiopien seit einigen Jahren ohne Beschränkungen möglich. Alles dazu Erforderliche ist mittlerweile für den Import (auch für Privatpersonen) freigegeben. So sind Gegenstände (u.a. Teststreifen) zur Feststellung, ob eine angewendete HIV/Aids-Behandlung anschlägt, in Addis Abeba durchgängig erhältlich. Sogenannte "PCR-" und "CD4-Prüfungen" können von hiesigen Kliniken und Krankenhäusern ausgewertet werden (Deutsche Botschaft Addis Abeba; Botschaftsbericht vom 2. August 2002).

Antiretrovirale Medikamente wurden 2001 in die nationale Liste der essentiellen Medikamente aufgenommen. Die Behandlung ist zunächst nur über private Leistungsanbieter für zahlungskräftige Patienten und die Mitarbeiter derjenigen internationalen Organisationen verfügbar, die nach dem Beispiel der Weltbank Behandlungskosten übernehmen.

Eine Pflichtkrankenversicherung gibt es in Äthiopien nicht. Bei Rückkehrern aus dem Ausland kann nicht davon ausgegangen werden, dass Krankenkosten von Versicherungen getragen werden. Kostenlose medizinische Behandlung in staatlichen Einrichtungen ist dann möglich, wenn die örtliche Kebele-Verwaltung ein sog. free-paper ausstellt. Allerdings kommen in den Genuss nur die Ärmsten der Armen. Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, fallen üblicherweise nicht in diese Kategorie (AA, Lagebericht vom 13. Mai 2004).

Der käufliche Erwerb antiretroviraler Medikamente ist aufgrund des Preises nach wie vor dem Kreis der besser Verdienenden (Angestellte in leitenden Positionen, Lektoren/Dozenten der Universitäten, Beamte in Führungspositionen u. ä.) vorbehalten (Deutsche Botschaft Addis Abeba; Botschaftsbericht vom 12. Dezember 2003).

Die Kammer geht bei der ihr vorliegenden Erkenntnislage davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien ein kostenfreier Bezug antiretroviraler Medikamente nicht möglich wäre. Soweit die Botschaft in Addis Abeba unter dem 25. Juni 2004 ausgeführt hat, dass antiretrovirale Therapien in Äthiopien für Bedürftige kostenlos durchgeführt würden (vgl. Deutsche Botschaft Addis Abeba; Auskunft an das VG Ansbach vom 25. Juni 2004) kann daraus nach Auffassung der Kammer nicht gefolgert werden, dass in allen Fällen und insbesondere auch bei Rückkehrern aus dem Ausland eine kostenfreie Behandlung erfolgt. Der zitierte Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Mai 2004 lässt vielmehr darauf schließen, dass die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten weiter grundsätzlich nur für zahlungskräftige Patienten verfügbar ist und insbesondere Rückkehrer aus dem Ausland gerade keine kostenlose Behandlung erhalten. Die Kammer hält es angesichts der enorm hohen und stetig steigenden Zahl HIV-Infizierter bzw. aidskranker Äthiopier, der erst im Anfangsstadium befindlichen Verbesserungen bei der Behandlung von Aids-Erkrankten in Äthiopien und der für eine kostenfreie Behandlung aller Bedürftigen vom Staat aufzubringenden Gelder auch für ausgeschlossen, dass bereits derzeit eine flächendeckende kostenfreie Behandlung aller HIV-infizierter bzw. aidskranker Äthiopier auch nur ansatzweise erfolgen kann. Nach der gutachterlichen Beurteilung des Instituts für Tropenmedizin des Universitätsklinikums Tübingen (Auskunft an das VG Aachen vom 13. August 2004) gibt es für HIV-infizierte Äthiopier nach wie vor nur ausnahmsweise die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Freibehandlung für Erkrankte, nur eine weitere kleine Minderheit von Erkrankten werde mit Hilfe humanitärer Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit behandelt.