VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 07.07.2005 - A 5 K 10487/05 - asyl.net: M6884
https://www.asyl.net/rsdb/M6884
Leitsatz:

Keine Mitwirkungspflicht an der Passbeschaffung nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG, solange der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist oder wenn ein dauerhafter Aufenthalt bevorsteht; eine Verfügung mit der Aufforderung zur Mitwirkung an der Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO steht im Ermessen der Ausländerbehörde.

 

Schlagwörter: Togo, Mitwirkungspflichten, Ermächtigungsgrundlage, Pass, Passersatz, Passbeschaffung, Abschiebungshindernis, Ermessen, Aufenthaltsgestattung, Ausreisepflicht
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 2; AufenthG § 60a; AufenthG § 3; AufenthG § 48 Abs. 3; AufenthVO § 50
Auszüge:

Keine Mitwirkungspflicht an der Passbeschaffung nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG, solange der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist oder wenn ein dauerhafter Aufenthalt bevorsteht; eine Verfügung mit der Aufforderung zur Mitwirkung an der Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO steht im Ermessen der Ausländerbehörde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der in der Verfügung des Regierungspräsidiums vom 21.02.2005 genannte § 15 Abs. 2 Nrn. 4 u. 6 AsylVfG stellt keine geeignete Ermächtigungsgrundlage für die Verpflichtung zur Passvorlage bzw. Passbeschaffung dar.

Gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG ist ein Ausländer verpflichtet, den mit der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes betrauten Behörden seinen Pass oder Passersatz vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Diese Vorschrift ermächtigt die Behörden nicht nur zu dem Verlangen nach Ziff. 1 der angefochtenen Verfügung, den Pass der Behörde vorzulegen bzw. zu überlassen, sondern deckt auch das weitere Verlangen der Behörde gemäß Ziffer 1 und 2, die entsprechenden Unterlagen und Erklärungen abzugeben. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG ist der Ausländer weiterhin verpflichtet, im Falle des Nichtbesitzes eines Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Mitwirken im Sinne dieser Vorschrift erfordert alle Rechts- und Tatsachenhandlungen vorzunehmen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapiers erforderlich sind und nur vom Ausländer vorgenommen werden können (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 10.06.2002, Az.: 18 B 1184/01). Über ihren Wortlaut hinaus, der eine Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Passausstellung statuiert, wird § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG von der Rechtsprechung auch als entsprechende Eingriffsermächtigungsgrundlage für eine zwangsweise Durchsetzung dieser Pflichten interpretiert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.03.1995, Az.: A 13 S571/95).

Zweck dieser Verpflichtung aus § 15 Abs. 2 Nr. 4, 6 AsylVfG ist es, die Rückreise des Ausländers nach einem negativen Ausgang des Asylverfahrens zu ermöglichen. Daher ist eine Verfügung nach dieser Vorschrift nur dann als rechtmäßig anzusehen, wenn sie geeignet und erforderlich ist, ein Identitätspapier hinsichtlich des betreffenden Ausländers zu erhalten, welches seine Rückführung in den Heimatstaat ermöglicht (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 04.02.2004, Az.: A 8 K 10711/03). Aus dieser Zweckrichtung ist zu folgen, dass die Anordnung und Durchsetzung der Mitwirkungspflicht zur Passbeschaffung grundsätzlich erst dann in Betracht kommt, wenn geklärt ist, dass eine Schutzgewährung im Sinne des Asylrechts ausscheidet. Solange hingegen der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist, sind die Behörden gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG gehindert, einem Asylbewerber aufzugeben, sich zum Zweck der Passbeschaffung an Behörden oder Stellen des Heimatlandes in Deutschland zu wenden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.10.1998, Az.: A 9 S 856/98). Für unbedenklich wird eine Anordnung gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG nur dann gehalten, wenn der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist.

Dieser Zweck des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG, die Rückführung des Ausländers nach dem negativen Ausgang eines Asylverfahrens zu sichern, kann aber im vorliegenden Fall nicht erreicht werden, da eine Abschiebung der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasse der Verfügung aus rechtlichen Gründen nicht möglich war. Aufgrund der Geburt ihrer Tochter ... am .....2004, die - unbestritten - die deutsche Staatsangehörigkeit erlangte, wurde die Abschiebung der Klägerin zunächst bis zum 30.12.2004 ausgesetzt. Damit fällt der vorliegende Fall nicht unter den Schutzzweck des § 15 Abs. 2 Nr. 4, 6 AsylVfG, da dieser lediglich die Rückführung eines abgelehnten Asylbewerbers in Bezug auf die Erlangung der Reisedokumente absichern soll. Er ist hingegen dann nicht geeignete Ermächtigungsgrundlage, wenn es lediglich um die Ausstellung eines Passes zum Zwecke der Erstellung einer Aufenthaltsgenehmigung geht. Im Übrigen wird die Klägerin alles daran setzen, selbst einen Pass oder ein Passersatzpapier vorzulegen, nachdem ihr bereits ein Aufenthaltstitel in Aussicht gestellt wurde.

Zwar ändert die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60 a AufenthG grundsätzlich nichts an der Ausreisepflicht des Ausländers. Jedoch würde dem Sinn und Zweck des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG bei uneingeschränkter Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht Rechnung getragen werden, da § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG keine Ermächtigungsgrundlage zur Beschaffung von Identitätspapieren für die Erstellung einer Aufenthaltsgenehmigung darstellt, sondern allein die Aufenthaltsbeendigung des Ausländers im Gefolge einer Abschiebungsandrohung sicherstellen soll.

Der ebenfalls in der Verfügung des Regierungspräsidiums genannte § 3 AufenthG stellt auch keine geeignete Ermächtigungsgrundlage für die Verpflichtung zur Passvorlage bzw. Passbeschaffung dar.

§ 3 Abs. 1 AufenthG statuiert die allgemeine Passpflicht des Ausländers. Danach ist der Besitz eines gültigen und anerkannten Passes objektive Voraussetzung für eine rechtmäßige Einreise und einen rechtmäßigen Aufenthalt. Diese Vorschrift ist auch nach Abschluss des Asylverfahrens anzuwenden. Allerdings regelt § 3 Abs. 1 AufenthG lediglich, dass Ausländer einen gültigen Pass besitzen müssen, um sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung zu § 4 AuslG ergibt sich eine Mitwirkungspflicht i.S.d. Passbeschaffungspflicht bzw. auf Pflicht, sich um einen Pass zu bemühen, wie dies im angegriffenen Bescheid angeordnet wird, aus dieser Vorschrift indessen nicht (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 19.04.2000 - Az.: 10 K 479/00 -).

Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf den neuen § 3 AufenthG anwenden, das sich insoweit die Vorschrift im Gesetzgebungsverfahren nicht verändert hat und § 3 Abs. 1 AufenthG bei etwas geändertem Wortlaut im Wesentlichen dem bisherigen § 4 Abs. 1 AuslG entspricht (vgl. BT-Drucks. 15/420, 7 und BT-Drucks. 15, 420, 68).

§ 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO kommt zwar als Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung ... grundsätzlich in Betracht. Allerdings hat die Behörde das ihr zustehende Ermessen nicht in ausreichendem Maße ausgeübt, so dass die Entscheidung ermessensfehlerhaft ergangen bzw. unverhältnismäßig ist.

Grundsätzlich kann ein Verwaltungsakt nicht nur auf die in ihm gegebene Rechtsgrundlage (hier: § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 6 AsylVfG und § 3 AufenthG), sondern auch auf eine andere Ermächtigungsgrundlage (hier richtigerweise § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO) gestützt werden, wenn die Voraussetzungen für seinen Erlass nach der nicht genannten Ermächtigungsgrundlage vorliegen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 02.11.1995, Az.: A 13 S 3017/95). Demnach kommt § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO als Ermächtigungsgrundlage in Betracht, sofern man diese Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach nur eine Mitwirkungspflicht, aber keine Ermächtigung zur Durchsetzung enthält, entsprechend der zu § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG entwickelten Rechtsprechung zugleich auch als Ermächtigungsgrundlage zur Durchsetzung der in § 48 Abs. 3 AufenthG statuierten Pflichten ansieht.

§ 48 AufenthG fasst im Wesentlichen die ausweisrechtlichen Pflichten des § 39 Abs. 1 und 40 Abs. 1 AuslG zusammen (BT-Drucks. 15/420, 88). Nach der Rechtsprechung war § 40 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 25 DV-AuslG, entsprechend der Rechtsprechung zu § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG, geeignete Ermächtigungsgrundlage für Verfügungen, die eine Passvorlage bzw. Passbeschaffungspflicht anordneten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 02.11.1995, Az.: A 13 S 3017/1995). Da § 48 Abs. 3 AufenthG die bisher nicht ausdrücklich erwähnte Mitwirkungspflicht des Ausländers sogar ausdrücklich normiert, kann unter Heranziehung der Rechtsprechung zu § 40 AuslG i.V.m. § 25 DV-AuslG, § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO als wirksame Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung des Regierungspräsidiums angesehen werden.

Selbst wenn sich allerdings aus § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO eine wirksame Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Passverfügung ergibt, steht der Erlass der Verfügung, wie im Regelfall jede der Durchsetzung von Verpflichtungen dienende Anordnung, im Ermessen der Behörde. So begründet zwar § 48 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthVO eine generelle Mitwirkungspflicht. Die Entscheidung der Behörde, diese allgemeine Pflicht in einen konkreten Verwaltungsakt umzusetzen, stellt jedoch eine Ermessensentscheidung der Behörde dar. Diese für eine rechtmäßige Ausübung der verliehenen Befugnis erforderliche und gemäß § 38 Abs. 1 VwVfG zu begründende Ermessensausübung i.S.d. § 40 VwVfG fehlt im vorliegenden Fall. Der Begründung der angegriffenen Verfügung ist nicht zu entnehmen, dass sich die Beklagte überhaupt eines Ermessens bewusst war und ein solches mit entsprechenden Erwägungen auch ausgeübt hat. So wären zumindest Gründe dafür anzugeben gewesen, warum ein persönliches Erscheinen für erforderlich gehalten wird. Der Bescheid wäre dann wegen Ermessensausfalls bzw. Ermessensunterschreitung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.