OLG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.03.2005 - 1 W 7/05 - asyl.net: M6889
https://www.asyl.net/rsdb/M6889
Leitsatz:

Die rechtswidrige und schuldhafte Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels kann als Amtspflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch des Ausländers – etwa Verdienstausfall oder Schmerzensgeld bei Beeinträchtigung der Gesundheit – auslösen.

 

Schlagwörter: Amtspflichtverletzung, Staatshaftung, unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Abhilfe, Verjährung, Verdienstausfall, Schmerzensgeld, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Gemeinschaftsrecht
Normen: GG Art. 34; BGB § 389; AuslG § 24; ARB Nr. 1/80 Art. 6
Auszüge:

Die rechtswidrige und schuldhafte Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels kann als Amtspflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch des Ausländers – etwa Verdienstausfall oder Schmerzensgeld bei Beeinträchtigung der Gesundheit – auslösen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch wegen Amtspflichtverletzung aus Art. 34 GG/§ 839 BGB zu.

a) Aufgrund des Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10.03.2003 - 12 UE 318/02 - steht für das Amtshaftungsgericht bindend fest, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ab 09.04.1994 hatte und die Ablehnung der Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig war.

b) Bei der Ablehnung der vom Antragsteller beantragten Aufenthaltserlaubnis handelte die Antragsgegnerin auch schuldhaft.

Dieses besteht zum einen darin, dass sie sich nicht in der gebotenen Weise mit der Vorschrift des § 24 AuslG, welche einen "gebundenen" Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gibt, auseinandergesetzt hat. Zwar wird im Bescheid diese Vorschrift erwähnt und ein Anspruch aus ihr auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Es fehlt aber jegliche Auseinandersetzung mit ihren Tatbestandsmerkmalen. Vorwerfbarerweise wurde offenbar § 24 Abs. 2 Nr. 2 AuslG mit seiner speziellen Regelung über die Sicherung des Lebensunterhalts nicht gesehen, denn sonst hätte erwogen werden müssen, dass im Rahmen dieser Vorschrift der Bezug von Arbeitslosenhilfe, wenn er, was hier aufgrund des Leistungsbescheids bis zum 31.05.1995 der Fall war, noch für sechs Monate gesichert ist, für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis spricht. Sozialhilfe, auch ergänzende Sozialhilfe, hat der Antragsteller nicht in Anspruch genommen. Worauf sich die Annahme des Bescheids gründet, es bestehe ein Anspruch auf Sozialhilfe, wird im Bescheid nicht dargelegt; die Antragsgegnerin hat auch im Rahmen ihres bisherigen Sachvortrags zu dieser aus ihrer Sphäre stammenden Tatsache nichts vorgetragen. Abgesehen davon setzt sich der Bescheid in schuldhafter Weise auch nicht mit der Frage auseinander, ob es für den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 6 AuslG, der über § 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG in Bezug genommen ist, ausreicht, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht, oder ob es erforderlich ist, dass, was hier nicht der Fall war, Sozialhilfe tatsächlich bezogen wird. Dieser Gesichtspunkt wurde bereits in der damaligen Literatur erörtert (s. Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. 1993, § 46 Rn. 39).

Zum anderen liegt ein schuldhaftes Handeln der Antragsgegnerin darin, dass sie keine Abhilfeentscheidung zugunsten des Antragstellers getroffen hat. Der Antragsteller hat bereits mit Schreiben vom 19.09.1994 - nach der Fassung dieses Schreibens offenbar vor Zugang des Bescheids vom 14.09.1994 gefertigt - der Antragsgegnerin einen Nachweis vorgelegt, dass er seit 16.09.1994 wieder eine Arbeitsstelle hat, und dies in seinem am 29.09.1994 erhobenen Widerspruch vertieft. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin - wie es nachdem Verwaltungsverfahrensrecht geboten gewesen wäre - aufgrund dieser veränderten Umstände in eine neue Sachprüfung eingetreten ist.

c) Die geschilderten Amtspflichtverletzungen, insbesondere die Nichtabhilfe im Widerspruchsverfahren aufgrund einer geänderten Tatsachenlage, waren auch ursächlich für die Nichterteilung der Aufenthaltserlaubnis.

d) Ein solcher Amtshaftungsanspruch ist auch nicht verjährt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Nachweise bei Staudinger/Wurm, a.a.O., § 839 Rn. 397) hat auch die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz verjährungsunterbrechende Wirkung für einen Amtshaftungsanspruch.

2. Bezüglich des Anspruchs auf Verdienstausfall für die Zeit von 01.04.1996 bis 31.07.2003 war die dem Antragsteller zu gewährende Prozesskostenhilfe auf den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag zu begrenzen, wobei erst im Haüptsacheverfahren abschließend zu klären sein wird, in welchem Umfang dieser Anspruch dem Antragsteller tatsächlich zusteht. So ist derzeit im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht verlässlich einschätzbar, inwieweit der Antragsteller, wenn er die ihm zustehende Aufenthaltserlaubnis im Jahre 1994 erhalten hätte, durchgehend beschäftigt gewesen wäre, selbst wenn man der derzeit unstreitigen Tatsache folgt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die .... zu Ende März 1996 nur erfolgte, weil der Antragsteller über keine Aufenthalterlaubnis verfügte.

Für die Berechnung des Verdienstausfalls im Einzelnen kann der Antragsteller nach der Netto-Lohn-Methode (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1994 - VI ZR 194/93 -, BGHZ 127, 391 ff) vorgehen, wie er dies ausweislich seines Schriftsatzes vom 28.02.2005 nunmehr tun will. Allerdings kann der Antragsteller diesen Verdienstausfall nicht, wie er es dort tut, abstrakt berechnen, da ihm die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB nicht zugute kommt. Vielmehr hat er seinen Verdienstausfall konkret darzulegen

3. Auch die Höhe eines etwaigen Schmerzensgeldes, dessen Zuerkennung sich gemäß der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 8 EGBGB nach § 847 a.F. BGB zu richten hat, lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren nicht abschließend beziffern. In Betracht kommt eine Beeinträchtigung der Gesundheit im Sinne einer Störung der körperlichen Befindlichkeit des Antragstellers durch die Nichterteilung der Aufenthaltsgenehmigung. Es ist also darauf abzustellen, inwieweit insofern eine psychisch vermittelte Kausalität anzunehmen ist.

Soweit der Antragsteller im Zusammenhang mit dem Schmerzensgeldanspruch geltend macht, er habe auf Betreiben der Antragsgegnerin sechs Tage wegen illegalen Aufenthalts in Strafhaft verbracht, wird zu berücksichtigen sein, dass die Antragsgegnerin zwar ein Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen illegalen Aufenthalts in Gang gebracht hat, dass Strafhaft aber nicht von ihr, sondern von einem Gericht und damit von einem anderen Hoheitsträger verhängt wurde (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 26.11.2001 - 11 W 23/01 - OLGR 2002 165 [bei JURIS Rn. 5]).

4. Für den beabsichtigten Feststellungsantrag hat eine Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil derzeit eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ein Verdienstausfall des Antragstellers, welcher von der Antragsgegnerin zu ersetzen ist, zu Einbußen des Antragstellers bei seinen Rentenansprüchen oder seinem Krankenversicherungsschutz als Rentner führt. Allerdings ist der Antragsteller vorsorglich darauf hinzuweisen, dass etwaige Versicherungsbeiträge, welche auf den von der Antragsgegnerin zu ersetzenden Verdienstausfall zu entrichten sind, wegen des Forderungsübergangs gemäß § 119 SGB X auf den Sozialversicherungsträger ausschließlich von diesem gegenüber dem Schädiger geltend zu machen sind und nicht vom Geschädigten - auch nicht zur Leistung an den Sozialversicherungsträger - geltend gemacht werden können (s. BGH, Urt. v. 02.12.2003 - VI ZR 243/02 -, NJW-RR 2004, 595, 596).

5. Ob neben der Amtshaftung auch eine Haftung der Antragsgegnerin aus gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung wegen Verkennung des Art. 6 ARB 1/80 durch die Antragsgegnerin gegeben ist, kann dahinstehen. Zwar steht eine solche Haftung eigenständig neben Ansprüchen aus Amtshaftung (s. Staudinger-Wurm, a.a.O.; Rn. 533 m.w.N. aus der Rechtsprechung) soweit Gemeinschraftsrecht verletzt worden ist; es ist aber nicht ersichtlich, dass diese Haftung in der Sache hier weitergehende Ansprüche bietet als die Amtshaftung. Zwar handelt es sich hierbei um eine verschuldensunabhängige Haftung, für die bei administrativem Unrecht als Haftungssubjekt in einem Bundesstaat wie der Bundesrepublik Deutschland auch eine Gemeinde in Betracht kommen kann (vgl. EuGH, Urt. v. 04.07.2000 - Rs. C-424/97 - Haim II -, NVwZ 2001, 903, 905, Tz. 31; Staudinger-Wurm, a.a.O., Rn. 544). Voraussetzung für eine Haftung ist aber ein sog. hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß. Für das Vorliegen dieses Merkmals, das der Haftungsbegrenzung dient, ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine ganze Reihe von Kriterien maßgebend; hierzu gehört trotz des Fehlens des Verschuldens als eines eigenständigen Tatbestandsmerkmals auch die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums (EuGH, Urt. v. 05.03.1996 - verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 - Brasserie du Pecheur und Factortime -, NJW 1996, 1267, 1270 Nr. 56). Es spricht viel dafür, hinsichtlich der Anwendbarkeit der Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 einen solchen entschuldbaren Rechtsirrtum der Antragsgegnerin zu bejahen. Denn die Auslegung dieser nicht unkompliziert strukturierten Norm mit ihren miteinander verknüpften Voraussetzungen in den einzelnen Spiegelstrichen war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 14.09.1994 noch weitgehend ungeklärt.