VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 28.06.2005 - 1 A 105/03 - asyl.net: M6912
https://www.asyl.net/rsdb/M6912
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für regimekritischen Journalisten und Herausgeber einer Zeitung in Albanien, der mehrmals bedroht wurde.

 

Schlagwörter: Albanien, Journalisten, Presse, Oppositionelle, Koha, Regimekritik, Regimegegner, Schutzbereitschaft, Staatsbeherrschende Partei, Sozialistische Partei, Nichtstaatliche Verfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für regimekritischen Journalisten und Herausgeber einer Zeitung in Albanien, der mehrmals bedroht wurde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

In Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren, da er zur Überzeugung des Gerichts sein Heimatland wegen unmittelbar bevorstehender erneuter politischer Verfolgung verlassen hat und im Falle einer Rückkehr dorthin befürchten müsste, politischen Verfolgungsmaßnahmen erneut unterworfen zu werden. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der Auswertung der vor dem Kläger bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und in dem hiesigen Gerichtsverfahren eingereichten Unterlagen hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger vor dem Verlassen seines Heimatlandes einer individuellen politischen Verfolgung ausgesetzt war und ihm eine erneute politische Verfolgung unmittelbar bevorstehend drohte. Der Kläger hat in sich stimmig, nachvollziehbar und für das Gericht überzeugend dargelegt, dass er sich im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit regimekritisch in herausgehobener Position geäußert hat und deswegen durch die betroffenen Personen bzw. deren unmittelbares Umfeld in asylerheblicher Weise betroffen gewesen ist. So hat der Kläger glaubhaft und für das Gericht überzeugend geschildert, dass er insbesondere nach der Gründung seiner eigenen Zeitschrift Koha in massiver Weise unter Druck geraten ist.

Nach alledem steht zur Überzeugung des Gerichts zweifelsfrei fest, dass der Kläger wegen seiner regimekritischen journalistischen Tätigkeit in asylerheblicher Weise verfolgt worden ist und vor dem Verlassen seines Heimatlandes am 26. Juni 2002 von unmittelbar bevorstehender erneuter politischer Verfolgung bedroht gewesen ist. Diese asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen stellen auch eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 3 b) und c) AufenthG dar. Dabei steht zur Überzeugung des Gerichts zunächst nach den glaubhaften Angaben des Klägers fest, dass die gegenüber ihm ergriffenen Maßnahmen u. a. von Mitgliedern der die Regierungsverantwortung tragenden sozialistischen Partei wie Fatos Nano ausgegangen sind. Im übrigen hat der Kläger auch überzeugend geschildert, dass die gegen ihn gerichteten Übergriffe unter den Augen der albanischen Sicherheitskräfte geschehen sind und von diesen geduldet wurden, ohne dass diese eingriffen. Auch seine Bemühungen, eine Ahndung bzw. eine Schutzgewährung gegenüber den erlittenen und zukünftig zu erwartenden Übergriffen bei staatlichen Stellen - insbesondere der Staatsanwaltschaft - zu erreichen, sind nach den überzeugenden Angaben des Klägers gescheitert und erfolglos geblieben, da diese Stellen nicht Willens oder auch nicht in der Lage gewesen sind, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Zur Überzeugung des Gerichts steht auch zweifelsfrei fest, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland vor einer erneuten politischen asylerheblichen Verfolgung nicht hinreichend sicher ist. Hier hat der Kläger glaubhaft und überzeugend dargelegt, dass er weiterhin im Visier der staatstragenden Politiker ist, gegenüber denen er sich regimekritisch geäußert hat und auch weiterhin äußert. Der Kläger hat seine politische Überzeugung und seine Regimekritik auch während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland fortgeführt und hier entsprechende Artikel und Werke verfasst. Insoweit hat der Kläger glaubhaft unter Bezugnahme auf nicht in Zweifel zu ziehende Erklärungen seines wieder in Albanien lebenden Sohnes und des ihn in dem Zivilverfahren vertretenden Rechtsanwaltes dargelegt, dass die von ihm weiterhin kritisierten führenden politischen Kräfte in Albanien ein fortbestehendes Verfolgungsinteresse an seiner Person haben.