VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 14.03.2005 - M 15 K 04.51054 - asyl.net: M6916
https://www.asyl.net/rsdb/M6916
Leitsatz:

Asylanerkennung für chinesischen Staatsangehörigen wegen öffentlichkeitswirksamer Exilaktivitäten für Falun Gong.

 

Schlagwörter: China, Falun Gong, Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, religiös motivierte Verfolgung, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für chinesischen Staatsangehörigen wegen öffentlichkeitswirksamer Exilaktivitäten für Falun Gong.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten i.S. des Art. 16 a GG anzuerkennen.

Der Kläger hat wegen seiner vielfältigen öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten für Falun Gong und dem Einschalten von diversen höherrangigen Stellen für sein Schicksal sowie das seiner Mutter und seiner Schwester bei einer Rückkehr nach China politische Verfolgung zu befürchten.

Die Falun Gong-Bewegung des in den USA lebenden Gründers Li Hongzhi wurde in China am 22. Juli 1999 verboten, weil sie im April 2004 mehr als 10.000 Anhänger zu einer Schweigedemonstration mobilisieren konnte. Seit dem Jahr 2001 gelten in China "Richtlinien des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft zum gesetzlichen Vorgehen gegen Sekten und ketzerische Organisationen", nach denen die Verbreitung von Schriften von Flugblättern mit Falun Gong-Inhalten als staatsfeindliches Verbrechen gilt (Lagegericht des Auswärtigen Amtes v. 28.10.2004, II. 1. e). Wer Falun Gong öffentlich oder in Gruppen Gleichgesinnter praktiziert, kann in der Volksrepublik China festgenommen und, wenn er sich nicht glaubwürdig distanziert, ohne Gerichtsverfahren in ein Umerziehungslager überstellt werden. Bisher kam es zu Festnahmen von über tausend Falun Gong-Anhängern, und zahlreiche ihrer Führer wurden landesweit zu Haftstrafen verurteilt, Auch über Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten wurde berichtet. Unbestätigten Berichten von Amnesty International zufolge sollen bisher insgesamt ca. 700 Anhänger von Falun Gong ums Leben gekonmen sein (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O.). Weil der Falun Gong-Bewegung eine große Zahl von staatsgefährdenden Delikten sowie anderen Straftaten vorgeworfen wird, ist davon auszugehen, dass die Volksrepublik China auch nachrichtendienstliche Mittel gegen Auslandschinesen, die Falun Gong praktizieren bzw. Mitglieder der Bewegung sind, anwendet und dass diese Erkenntnisse auch an die chinesischen Sicherheitsbehörden weitergegeben werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O.).

In Anbetracht der diversen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des Klägers für Falun Gong ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach China politisch verfolgt wird. Hiervon geht auch die Beklagte aus, die aber die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter mit der Begründung verneint, es fehle am kausalen Zusammenhang zwischen Flucht und Verfolgung.

Zwar setzt das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG von seinem Tatbestand her grundsätzlich den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Eine Erstreckung des Asylrechts auf Nachfluchttatbestände kann nur ausnahmsweise und nur insoweit in Frage kommen, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung nach dem Willen des Verfassungsgebers erforderlich ist (BverfGE 74, 51 ff). Dies gilt bei sogenannten objektiven Nachfluchttatbeständen wie z. B. einer Verfolgungsgefahr, die auf einem Wechsel des Regimes nach der Ausreise das Ausländers beruht. Bei sogenannten subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat (sog. selbstgeschaffene Nachfluchtgründe) kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen und die Asylgewährung nach dem Willen des Verfassungsgebers erforderlich ist.

Als der Kläger im Jahr 1996 aus China ausreiste, war die Falun Gong-Bewegung in China weder verboten noch wurden deren Anhänger in China verfolgt. Der Kläger hatte damals nach eigenen Angaben schon seit 2 Jahren Falun Gong in China praktiziert und auch seine Familie dafür gewonnen. An der Glaubwürdigkeit dieser Angaben besteht kein Zweifel, denn der Kläger hat unmittelbar im Anschluss an seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland schon Falun Gong-Kurse geleitet, so dass er sich die Kenntnisse und Erfahrungen bereits in China angeeignet haben muss. Deshalb kann das Praktizieren von Falun Gong durch den Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als ein sogenannter objektiver Nachfluchttatbestand angesehen werden.

Selbst wenn man das Praktizieren von Falun Gong durch den Kläger als sogenannten subjektiven Nachfluchttatbestand ansieht, wären beim Kläger die Voraussetzungen gegeben, unter denen ausnahmsweise eine Asylanerkennung des Klägers ohne Kausalität von Verfolgung und Flucht möglich ist. Dem Willen des Verfassungsgebers entspricht es nämlich, dass Personen in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl genießen, denen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen asylerheblicher Merkmale (hier: Religion) schlimme Gefahren von ihrem Herkunftsstaat wie Gehirnwäsche, Folter und Tod drohen. Dies wäre beim Kläger im Falle einer Rückkehr nach China gleichermaßen wie bei einem bekannten Oppositionspolitiker der Fall. Er hat nämlich durch seine mannigfaltigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten und die Einschaltung diverser Stellen nicht nur den chinesischen Geheimdienst auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Die Mutter des Klägers hat als Zeugin in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig ausgesagt, ihre Tochter sei wegen des Praktizierens von Falun Gong verhaftet worden und man habe von ihr verlangt, dass sie den Kläger überrede, mit Falun Gong aufzuhören. Dies zeigt, dass die chinesischen Behörden das Engagement des Klägers für Falun Gong unterbinden wollen, weil sie darin eine Gefahr sehen. Bei einer Rückkehr nach China müsste der Kläger, falls er nicht bereit ist, Falun Gong öffentlich abzuschwören, wohl mit dem Schlimmsten rechnen. Unter solchen Umständen gebietet der Schutzzweck des Art. 16 a GG eine Asylanerkennung wie bei einem vor staatlicher Verfolgung geflohenen Asylbewerber, zumal auch das Praktizieren von Falun Gong durch den Kläger sich als Ausdruck einer schon während des Aufenthalts in China vorhandenen und erkennbar betätigten religiösen Überzeugung darstellt.