VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15.08.2005 - 9a K 5719/03.A - asyl.net: M6961
https://www.asyl.net/rsdb/M6961
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen Gefahr der Retraumatisierung bei Kontakt mit türkischen Sicherheitskräften.

 

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, Wiederaufgreifen, Krankheit, Abschiebungshindernis, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Retraumatisierung, Sicherheitskräfte, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen Gefahr der Retraumatisierung bei Kontakt mit türkischen Sicherheitskräften.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt.

Unter Zugrundelegung der vorliegenden ärztlichen und psychologischen Bescheinigungen und Gutachten steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ambulant behandelt wurde und auch zukünftiger Behandlung bedarf.

Es steht zunächst zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger in seinem Heimatland traumatisierenden Erlebnissen in Form von staatlichen Übergriffen insbesondere bei einer einmonatigen Inhaftierung im Frühjahr 1995 ausgesetzt war.

Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die notwendige weitere Behandlung des Klägers in der Türkei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Dabei kann dahinstehen, ob in der Türkei in ausreichender Zahl leistungsfähige medizinische Einrichtungen vorhanden sind, die zur Behandlung psychischer Erkrankungen in der Lage sind. Selbst wenn man unterstellt, dass solche Einrichtungen existieren und eine Behandlung des Klägers in diesen nicht aus finanziellen Gründen ausscheidet, ist nicht zu erwarten, dass er dort erfolgreich therapiert werden kann. Denn eine in der Türkei durchgeführte Psychotherapie hätte wenig Aussicht auf Erfolg, weil das Trauma eng mit dem Heimatland des Klägers verknüpft ist. Die psychische Situation des Klägers ist wie oben dargelegt auf in der Türkei erlittene massive Folterungen und schwerste Demütigungen zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund drängt sich auf, dass eine Therapie seiner posttraumatischen Belastungsstörung in seinem Heimatland selbst bei unterstellter optimaler medizinischer Betreuung nur wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Denn es ist zu erwarten, dass der bloße Kontakt mit türkischen Sicherheitskräften bei dem Kläger die Erinnerung an die erlittenen Maßnahmen wachruft und psychische Reaktionen auslöst, die den Therapieerfolg gefährden und zu einer Retraumatisierung führen können (vgl. insoweit das Gutachten von Dr. F. vom 19. Juli 2002). Welche gravierenden Konsequenzen für den psychischen Zustand des Klägers ein Zusammentreffen mit türkischen Sicherheitskräften hätte, wird daran deutlich, dass ausweislich des Gutachtens von Dr. F. vom 19. Juli, 2002 schon der Anblick deutscher Polizisten, mit denen der Kläger bislang keine negativen Erfahrungen gemacht hat, bei diesem innere Unruhe und Angst verursacht. Ein Kontakt mit türkischen Sicherheitskräften wäre im Falle einer Rückkehr des Klägers in sein Heimatland jedoch nicht zu vermeiden. Bereits bei der Einreise würde er zwangsläufig von türkischen Grenzbeamten kontrolliert und auch später müsste der Kläger jederzeit etwa mit einer Kontrolle durch Streife gehende Polizisten rechnen.