OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.07.2005 - A 2 S 372/96 - asyl.net: M6990
https://www.asyl.net/rsdb/M6990
Leitsatz:

In der Demokratischen Republik Kongo besteht keine hinreichende Sicherheit für vorverfolgten Aktivisten der UDPS; Untertauchen des Asylsuchenden führt nicht zum Unterliegen im Prozess, wenn er nicht Rechtsmittelführer ist (hier: Berufung des Bundesbeauftragen gegen stattgebendes Urteil des Verwaltungsgerichts).

 

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Berufungsbegründung, Rechtsschutzinteresse, Untertauchen, Familienabschiebungsschutz, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, UDPS, Union pour la Démocratie et pour le Progrès Social, Vorverfolgung, Hinreichende Sicherheit, Mobutu
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 4; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

In der Demokratischen Republik Kongo besteht keine hinreichende Sicherheit für vorverfolgten Aktivisten der UDPS; Untertauchen des Asylsuchenden führt nicht zum Unterliegen im Prozess, wenn er nicht Rechtsmittelführer ist (hier: Berufung des Bundesbeauftragen gegen stattgebendes Urteil des Verwaltungsgerichts).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten fehlt dem Kläger auch dann nicht das Rechtsschutzinteresse für die Fortführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, wenn er "untergetaucht" sein sollte.

Zwar kann ein "Untertauchen" des Asylsuchenden ein Anzeichen dafür sein, dass dessen Rechtsschutzinteresse weggefallen ist; der Wegfall einer Zulässigkeitsvoraussetzung für Klage oder Rechtsmittel kann für den Asylsuchenden aber nur dann zum Prozessverlust führen, wenn er Kläger oder Rechtsmittelführer ist (BVerwG, Urt. v. 06.08.1996 - BVerwG 9 C 169/95 -, BVerwGE 101, 323). Dass die Kläger unbekannten Aufenthalts sind, rechtfertigt für sich allein im Übrigen auch nicht den Schluss, sie hegten die behauptete Verfolgungsfurcht in Wahrheit nicht und seien schon deshalb nicht asylberechtigt (BVerwG, Urt. v. 06.08.1996, a. a. O.).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von "Familienabschiebungsschutz" liegen vor, da bei der Klägerin zu 1 unanfechtbar die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden sind und dem Anspruch des Klägers zu 2 nicht entgegen gehalten werden kann, diese Feststellung sei zu widerrufen oder zurückzunehmen.

Dabei kann dahinstehen, ob die Gewährung von "Familienasyl" oder "Familienabschiebungsschutz" erst dann versagt werden kann, wenn der Leiter des Bundesamts eine Entscheidung nach § 73 Abs. 4. Satz 1 AsylVfG über den Widerruf oder die Rücknahme. der Asylberechtigung oder der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG getroffen oder zumindest ein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren eingeleitet hat (so VGH BW, Beschl. v. 12.01.1993 - A-14 S 1175/91 -, ESVGH 43, 157, Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AsylVfG RdNr. 26; Renner, Ausländerrecht, 7: Aufl., § 26 AsylVfG RdNr. 8) oder ob bereits das Vorliegen eines Widerrufs- oder Rücknahmegrundes die Gewährung von "Familienasyl" oder "Familienabschiebungsschutz" ausschließt (so HessVGH, Urt. v. 10.02.2005 - 8 UE 280/02.A - Juris; NdsOVG, Beschl. v. 01.03.2001 - 8 L 1117/99 - DVBl. 2001, 672; OVG RP, Urt. v. 23.11.2000 - 12 A 11485/00 -, NVwZ-RR 2001, 34; 1 OVG NW, Beschl. v. 02.07.2001 - 14 A 2621/01.A - Juris); denn Widerrufs- oder Rücknahmegründe sind nicht ersichtlich.

Nach den Feststellungen in dem insoweit unanfechtbaren Urteil des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin zu 1 in ihrem Heimatland wegen ihrer engagierten Tätigkeit für die UDPS (Union pour la Démocratie et pour le Progrès Social) unter dem Regime des ehemaligen Präsidenten Mobutu politische Verfolgung erlitten. Trotz des inzwischen eingetretenen Machtwechsels in der Demokratischen Republik Kongo kann nach derzeitiger Erkenntnislage eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen gegenüber der Klägerin zu 1 nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts (AA) vom 28.05.2004 ist die UDPS wegen ihrer klaren Konfrontationshaltung gegenüber einer Übergangsregierung und ihrer Weigerung, mit den bestehenden Strukturen zusammen zu arbeiten, nicht an der Regierungsbildung beteiligt worden. Als einflussreichste Oppositionspartei sei die UDPS am häufigsten Repressionen ausgesetzt gewesen. Sie habe einen Antrag auf Registrierung als Partei gestellt und befinde sich nach strikter Auslegung des Parteiengesetzes in der Illegalität, was von der Regierung als Begründung von Repressionen gegen die Aktivitäten der Partei genutzt werde. Der aus dem südafrikanischen Exil zurückgekehrte Parteiführer Etienne Tshisekedi werde zudem wegen seines Arrangements mit den ehemaligen Rebellen des RCD-Goma in der "Alliance pour la Sauvegarde du Dialogue intercongolais" (ASDI) und nicht dementierter Berichte über die Gründung eines bewaffneten Flügels kritisiert. Zwar ziehe die einfache Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei in der Regel keine Repressionsmaßnahmen nach sich; dagegen drohten Aktivisten, die sich zumeist an nicht genehmigten öffentlichen Kundgebungen beteiligten und als Wortführer auffielen, weiterhin vor allem vorübergehende, willkürliche Inhaftierungen, bei denen die Betroffenen auch körperlich misshandelt werden könnten. Regelmäßig würden aktive Regimegegner oder Personen, die dafür gehalten würden, willkürlich verhaftet.

Der UNHCR berichtet in seinem Gutachten vom 09.11.2003 an das VG München, die UDPS, die die Übergangsregierung nicht anerkenne, werde verstärkt als destabilisierender Faktor eingeschätzt. Sie habe am 23.05.2003 die Bevölkerung dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, dass eine Verletzung der Verfassung durch Präsident Kabila festgestellt und eine echte Demokratisierung des Landes eingeleitet werde. Ihr werde auch vorgeworfen, die nationalen Vorschriften für Parteien zu missachten. Ein jüngeres Beispiel für Übergriffe gegen die zivile Opposition sei das Auseinandertreiben der Anhänger von Etienne Tshisekedi, die sich aus Anlass einer Messe zum Jahrestag seiner damaligen Wahl zum Premierminister durch die Nationalkonferenz versammelt hätten. In Folge eines Übergriffs bewaffneter Einheiten auf UDPS-Anhänger in Matonge/Kinshasa am 16.08.2003 sei ein Anhänger an einem Schädeltrauma verstorben.