VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.05.2005 - 13 S 195/05 - asyl.net: M6995
https://www.asyl.net/rsdb/M6995
Leitsatz:

Einem unter Anordnung des Sofortvollzugs ausgewiesenen Ausländer, der während eines letztlich rechtskräftig zu seinen Ungunsten entschiedenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren abgeschoben wird, fehlt in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis für einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO.

Schlagwörter: Ausweisung, Sperrwirkung, Wiedereinreise, Befristung, Suspensiveffekt, Sofortvollzug, Abschiebung, Rechtsschutzbedürfnis, Abänderungsantrag, Vollziehung, Aufhebung, Folgenbeseitigungsanspruch, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 7; AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Einem unter Anordnung des Sofortvollzugs ausgewiesenen Ausländer, der während eines letztlich rechtskräftig zu seinen Ungunsten entschiedenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren abgeschoben wird, fehlt in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis für einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO. (Amtlicher Leitsatz)

 

Der Antrag des Antragstellers ist mit dem Begehren, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Ausweisungsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.11.2003 unter Abänderung des im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen (negativen) Beschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.2.2004 - 5 K 535/04 - und des diesen bestätigenden Beschlusses des Senats vom 6.5.2004 - 13 S 673/04 - wiederherzustellen bzw. anzuordnen statthaft, jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zulässig. Denn die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage würde dem Antragsteller nach seiner am 7.5.2004 erfolgten Abschiebung in die Türkei keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen. Die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.11.2003 würde nämlich die Wirksamkeit der Ausweisung nicht hemmen, so dass ihm weiterhin die Einreise in das Bundesgebiet verwehrt wäre. Dies ergibt sich aus § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lassen.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber das sich aus § 80 Abs. 1 VwGO herzuleitende Verbot, nach Eintritt des Suspensiveffekts Folgerungen tatsächlicher oder rechtlicher Art aus einem erlassenden Verwaltungsakt zu ziehen, einer auf das Aufenthaltsgesetz bezogenen bereichsspezifischen Einschränkung unterworfen und zugleich auch die Reichweite des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Ausweisungs- und Abschiebungsverfügungen beschränkt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 RdNr. 15; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 84 RdNr. 21). Dies hat zur Folge, dass eine Ausweisungsverfügung auch dann, wenn gegen sie ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, unmittelbare Rechtswirkungen auslöst, indem sie gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zwingend der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht, nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG zum Erlöschen eines erteilten Aufenthaltstitels führt sowie - was vorliegend von Belang ist - einer Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland zwingend entgegensteht (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen eine Ausweisungsverfügung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt daher ersichtlich vor allem, wenn nicht gar ausschließlich nur dann in Betracht, wenn es um die Vollstreckung der Ausweisung, d.h. die Vollziehung der Ausreisepflicht, selbst geht.

Mithin ist der Antragsteller aufgrund der Sperrwirkung der Ausweisung unabhängig davon , ob die Ausweisungsverfügung sofort vollziehbar ist oder nicht, rechtlich daran gehindert, erneut in das Bundesgebiet einzureisen. Vielmehr ist er darauf verwiesen, parallel zu seinem Klageverfahren und ungeachtet dessen, dass das Anfechtungsverfahren gegen die Ausweisung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu stellen, um sich auf diese Weise den Weg für eine Einreise und den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland frei zu machen (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 2.5.1980 - 1 C 82.76 -, DÖV 1980, 725).

Dies wäre rechtlich dann anders zu beurteilen, wenn die gegenüber dem Antragssteller ergangene Ausweisungsverfügung bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.7.2002 - 1 C 8.02 -, InfAuslR 2003, 50). Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. insoweit den Beschluss des Senats vom 6.5.2004 - 13 S 673/04 -); auch der Antragsteller macht dies letztlich nicht geltend.

Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für die begehrte Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.11.2003 lässt sich nach seiner Abschiebung in die Türkei - anders als in den beim Hessischen Verwatungsgerichtshof anhängig gewesenen Verfahren 12 TG 2668/03 (InfAuslR 2004,141) und 12 TG 3204/03 (EZAR 622 Nr. 42) [vgl. insoweit auch den Beschluss des Senats vom 15.10.2003 - 13 S 1618/03 - VBlBW 2004, 154] - auch nicht im Hinblick auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO begründen. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO sieht vor, dass das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen kann, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist. Entsprechend der im Hauptsacheverfahren geltenden Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO räumt die Vorschrift dem Gericht im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prozessual die Befugnis ein, zusammen mit der Herstellung der aufschiebenden Wirkung die Rückgängigmachung einer bereits erfolgten Vollziehung zu bewirken. Ein Ausspruch nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO setzt einen entsprechenden Antrag im Aussetzungsverfahren voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.7.1994 - 1 VR 20/93 -, NVwZ 1995, 590), der begründet ist, wenn dem Antragsteller gegen den Antragsgegner materiell-rechtlich aufgrund der gerichtlichen Suspendierung der Wirkungen des Verwaltungsakts ein Folgenbeseitigungsanspruch zusteht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.6.1983 - 4 A 2719/81 -, DÖV 1983, 1024; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22.8.1995 - 2 M 62/95 -, GewArch 1996, 75; Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 RdNr. 176). Aus dieser Regelung folgt, dass grundsätzlich trotz Vollzugs des Verwaltungsaktes ein Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht, wenn in ihm neben der Aussetzung des Vollzugs die Aufhebung bereits erfolgter Vollzugsmaßnahmen beantragt ist (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., RdNr. 964).

Offenbleiben kann, ob der vom Hess. VGH in seinem Beschluss vom 11.12.2003 - 9 TG 546/03 - (InfAuslR 2004, 152) vertretenen Ansicht zu folgen ist, dass bereichsspezifische Regelungen des Ausländerrechts (jetzt des Aufenthaltsgesetzes) materiell-rechtlich ausschließen, dass einem abgeschobenen Ausländer allein durch die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen die Ausweisungsverfügung ein Folgenbeseitigungsanspruch erwächst, den er prozessual im vorläufigen Rechtsschutzverfahren als Annexanspruch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO geltend machen könnte (verneinend insoweit auch OVG Berlin, Beschluss vom 13.5.2002 - 8 S 16/02 -, NVwZ 2003, 239 und Sächs. OVG, Beschluss vom 7.3.2001 - 3 BS 232/00 -, SächsVBl. 2001, 175). Denn unabhängig davon, dass der Antragsteller bislang keinen Antrag auf Beseitigung der Vollzugsfolgen gestellt hat, würde ein solches Begehren bereits daran scheitern, dass im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO grundsätzlich - und so auch hier - aus dogmatischen Gründen kein Raum für eine - entsprechende oder analoge - Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ist. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ist kein Rechtsmittelverfahren, sondern ein gegenüber dem Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO selbständiges und neues Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Es setzt voraus, dass ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO formell unanfechtbar abgeschlossen worden ist und hat als Verfahrensgegenstand die Frage, ob die ergangene rechtskräftige Entscheidung für die Zukunft aufrechterhalten bleiben soll (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8.11.1995 - 13 S 494/95 -, VBlBW 1996, 98; Kopp, a.a.O., § 80 RdNr. 199). Deshalb kann die Entscheidung auch nur geändert und nicht etwa aufgehoben werden. Allenfalls in Ausnahmefällen wird von der Rechtsprechung eine (zurückwirkende) Aufhebung erwogen, etwa dann, wenn die frühere Entscheidung auf einem schweren Verfahrensfehler oder auf einer in jeder Hinsicht unzutreffenden Tatsachengrundlage beruht. Ein solcher atypischer Fall ist hier offensichtlich nicht gegeben.