Asylanerkennung für oppositionellen Gewerkschafter und Mitglied der Jugendorganisation Zubr aus Weißrussland; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, wenn ein Asylsuchender, der keinen Zugang zu anwaltlicher Beratung hat, im Vertrauen auf die Auskunft einer Beratungsstelle für Flüchtlinge die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts in seiner Muttersprache einreicht; keine Zurechnung etwaigen Verschuldens der Beratungsstelle.
Asylanerkennung für oppositionellen Gewerkschafter und Mitglied der Jugendorganisation Zubr aus Weißrussland; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, wenn ein Asylsuchender, der keinen Zugang zu anwaltlicher Beratung hat, im Vertrauen auf die Auskunft einer Beratungsstelle für Flüchtlinge die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts in seiner Muttersprache einreicht; keine Zurechnung etwaigen Verschuldens der Beratungsstelle.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist zulässig und begründet; antragsgemäß war unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheids des Bundesamts vom 10. März 2003 die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz - GG - anzuerkennen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2005 ist festzustellen, dass der Kläger ohne eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden verhindert gewesen ist, die Klage gemäß § 74 Abs. 1 AsylVfG frist- und formgerecht (d.h. in deutscher Sprache) binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Die Befragung der Zeugin ... (Caritas-Beratungsstelle in Germering) hat klargestellt, dass der Kläger seinerseits umgehend bei dieser für ihn maßgeblichen Stelle um Beratung hinsichtlich einer Klageerhebung nachgesucht hat und hierbei die Auskunft erhalten hat, er solle alles aufschreiben und binnen zwei Wochen an das Gericht weiterleiten. Da keine Dolmetscher zur Verfügung standen und der Kläger sowie die Beratungsstelle kein Geld für die Einschaltung eines Rechtsanwalts hatten, konnte der Kläger dies nur so verstehen, dass er auch durch eine Ausfertigung seiner Klageschrift in Russisch die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer formgerechten Klageerhebung erfüllen kann. Eine Übersetzung und Antragstellung in deutscher Sprache hat erst dann gefertigt werden können, als er das Hinweisschreiben des Gerichts über die formalen Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Klageerhebung erhalten hatte.
Nach den glaubwürdigen Darlegungen der Zeugin ... und auch des Klägers standen diesem bis zum Ablauf der Klagefrist weder die für eine rechtskundige Beratung erforderlichen Mittel zur Verfügung noch war in der Beratungsstelle in Germering binnen der 2-Wochenfrist die Möglichkeit gegeben, entsprechend sachkundige Hilfe zu erlangen. Bei dieser Sachlage hat der Kläger nicht diejenige Sorgfalt außer acht gelassen, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten war und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles auch zuzumuten war (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. RdNr. 9 zu § 60 VwGO). Der Kläger hat auf die Auskünfte der von ihm zeitig zur Hilfestellung befragten Personen der Beratungsstelle vertraut und er durfte dies auch, da aus seiner Sicht von diesen Personen, die regelmäßig mit derartigen Anfragen befasst sind, eine sachkundige und zutreffende Aussage zu erwarten war. Ein etwaiges Verschulden derartiger sonstiger im Verfahren nicht zur Vertretung berechtigter Hilfspersonen hat sich der Kläger nicht zurechnen zu lassen (vgl. Kopp/Schenke a.a.O., RdNr. 21 zu § 60). Dem Kläger konnte somit gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist gewährt werden. Damit ist von der Zulässigkeit der erhobenen Klage auszugehen.
Das Gericht schließt aus diesen übereinstimmenden und detailgenauen Schilderungen der Lage in Weißrussland, dass der Kläger einer zielgerichteten individuellen staatlichen Verfolgung ausgesetzt war, als er dort versuchte, seine demokratischen bürgerlichen Grundrechte sowohl als Oppositioneller als auch als Gewerkschafter auszuüben und diese staatliche Verfolgung nach Intensität und Schwere asylerheblich war, da sie durch willkürliche und stets wiederholbare mehrfache Verhaftungen, Inhaftierungen und Gewaltanwendungen die Menschenwürde verletzte. Wurde ein Ausländer in der Vergangenheit in seinem Herkunftsland bereits politisch verfolgt, wie dies bei dem Kläger gegeben ist, kann ihm die Asylanerkennung nur dann versagt werden, wenn bei seiner Rückkehr die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (sog. herabgesetzter Prognosemaßstab: vgl. BVerfGE 54, 341, 360). Aus den aktuellen Berichten des Auswärtigen Amts und von ai ist nicht zu entnehmen, dass sich aktuell die Lage in Weißrussland unter dem Präsidenten Lukaschenko positiv - d.h. in Richtung auf eine stärkere Öffnung für bürgerliche Freiheitsrechte - verändert hat, so dass der Kläger bei seiner Rückkehr wiederum mit Inhaftierungen, Bedrohungen und der Anwendung körperlicher Gewalt zu rechnen hat. Dies gilt umso mehr, als er nach seinem glaubwürdigen und in der Beweisaufnahme bestätigten Vortrag den Sicherheitskräften und auch dem Präsidenten Lukaschenko als Oppositioneller und Gewerkschafter persönlich bekannt ist und demzufolge unter besonderer Beobachtung stehen dürfte.