VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 01.07.2005 - 18 K 7155/01.A - asyl.net: M7095
https://www.asyl.net/rsdb/M7095
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Christin aus dem Irak wegen Verletzung des religiösen Existenzminimums durch nichtstaatliche Verfolgungsakteure.

 

Schlagwörter: Irak, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgungsbegriff, Anerkennungsrichtlinie, Christen, Gruppenverfolgung, Mosul, Bagdad, Frisöre, religiös motivierte Verfolgung, Religionsfreiheit, Religiöses Existenzminimum, Bekleidungsvorschriften, Schutzfähigkeit, Interne Fluchtalternative, Nordirak
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 6
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Christin aus dem Irak wegen Verletzung des religiösen Existenzminimums durch nichtstaatliche Verfolgungsakteure.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind - ebenso wie vormals die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 - grundsätzlich deckungsgleich mit denjenigen des Asylanspruchs aus Art. 16 a Abs. 1 GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315; BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 - DVBl. 1992, 843; Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a., NVwZ 1994, 500; Urteil vom 18.01.1994 - 9 C 48.92 -, DVBl. 1994, 531).

In § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird nun im Unterschied zum bisherigen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 ausdrücklich auf das Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Konvention, BGBl. 1953 II, S. 559) Bezug genommen ("in Anwendung des Abkommens ..."). Die Sätze 3 bis 5 des § 60 Abs. 1 AufenthG verdeutlichen, dass der durch das Abkommen vermittelte Schutz innerstaatlich nunmehr auf Fälle von nichtstaatlicher Verfolgung erstreckt worden ist, so dass sich Deutschland insoweit dieser Auffassung der überwiegenden Zahl der Staaten in der europäischen Union angeschlossen hat (Begründung des Gesetzesentwurfs a. a. O.).

Für den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG gelten demgemäß nicht uneingeschränkt die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung des Art. 16 a Abs. 1 GG, weil nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, ohne dass es auf die Existenz einer staatlichen Herrschaftsmacht und damit auch auf die von der bisherigen Zurechnungslehre (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 15/96 -, BVerwGE 104, 254, 256 f.; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 28. April 2005 - 5 K 1587/03.A -, zitiert nach Juris) geforderte grundsätzliche Schutzfähigkeit des Staates ankommt. Damit geht der Begriff der Verfolgung in § 60 Abs. 1 AufenthG über den Verfolgungsbegriff in Art. 16 a GG hinaus. Dies unterscheidet § 60 Abs. 1 AufenthG von § 51 AuslG 1990.

Nach Auffassung der Kammer können nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG Organisationen ohne Gebietsgewalt, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein, von denen eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeht.

§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG stimmt in wesentlichen Teilen mit Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) überein. Diese Richtlinie wurde am 30.09.2004 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist nach Art. 39 am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung in Kraft getreten (ABl. 2004 L Nr. 304, S. 12). Die Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist bereits jetzt im Wege gemeinschaftskonformer Auslegung gefordert. Die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie läuft zwar erst am 10.10.2006 ab (Art. 38 Abs. 1). Sie ist aber insoweit teilweise in Gestalt des Aufenthaltsgesetzes in nationales deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - S. 11 f. des amtlichen Umdrucks, www.justiz.nrw.de; VG Karlsruhe, Urteil vom 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 - zitiert nach Juris).

Weder das Aufenthaltsgesetz noch die Qualifikationsrichtlinie enthalten eine nähere Bestimmung des Begriffs des nichtstaatlichen Akteurs (vgl. andererseits Art. 2 der Qualifikationsrichtlinie). Aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG und auch aus der Gegenüberstellung mit Buchst. a, wonach die Verfolgung von dem Staat ausgehen kann, folgt aber, dass der nichtstaatliche Akteur der Handelnde ist, der nicht über staatlichen Strukturen verfügt. Aus der Gegenüberstellung von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG und Buchst. b folgt des weiteren, dass nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG die Handelnden sind, die nicht Parteien oder Organisationen sind, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen. Allerdings sind Parteien oder Organisationen in Abgrenzung zu Buchst. a gleichfalls Akteure ohne staatliche Strukturen, wenngleich sie feste Ordnungsstrukturen aufweisen oder gar staatsähnlich verfasst sein können. Anerkennt § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG darüber hinaus ausdrücklich eine Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren, so zeigt dies, dass sonstige nichtstaatliche Akteure gemeint sind, die keinen Organisationsgrad aufweisen, wie er für Parteien oder Organisationen üblich ist, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen. Nichtstaatliche Akteure können daher sonstige Organisationen, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein. Es ist danach für eine Bejahung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG nicht erforderlich, dass die Verfolgung von Gruppen ausgeht, die dem Staat oder den Parteien oder Organisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. b AufenthG ähnlich sind. Würde man dies verlangen (so VG Regensburg, Urteil vom 24. Januar 2005 - RN 8 K 04.30779) so wäre § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG außerdem weitgehend überflüssig. Entsprechende Sachverhalte könnten unter Buchst. b gefasst werden, indem sie zumindest dem unbestimmten Begriff der Organisation zugeordnet werden.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG kann demgemäß eine Verfolgung von sonstigen nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder Willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Der Unterschied zu dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG besteht darin, dass § 60 Abs. 1 AufenthG auf die Verfolgung aus bestimmten schutzrelevanten Gründen abstellt und zur Flüchtlingsanerkennung kommt; § 60 Abs. 7 AufenthG gewährt hingegen Schutz bei der Gefahr von sonstigen Menschenrechtsverletzungen und knüpft allein an eine faktische Gefährdung an und setzt keine staatliche oder staatsähnliche Verfolgung voraus (vgl. zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990 BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 329 f.).

3. Des Weiteren lässt die Kammer offen, ob die Klägerin bei einer Rückkehr in den Irak einer gegen die religiöse Minderheit der Christen gerichteten Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG) unterliegen würde.

Ungeachtet dessen aber sind Christen direkte Zielscheibe von Angriffen, die häufig und an der Tagesordnung sind. Die Urheber dieser gezielten und direkten Übergriffe auf die christliche Bevölkerung sind überwiegend islamistische Gruppen. Diese Gruppen bilden keinen national organisierten Widerstand, sondern es handelt sich dabei um eine Reihe von nichtstaatlichen Akteuren, die verschiedenen Gruppen angehören oder auch alleine agieren.

Auf das Konto dieser islamistischen Gruppen und einer Vielzahl von Einzelakteuren gehen eine Reihe von gravierenden Übergriffen, die von gezielten Tötungen bis hin zu Einschüchterungen und Beleidigungen reichen. Hinsichtlich gezielter Mordanschläge gehen die niedrigsten Zahlen von 110 Morden bis Oktober 2004 aus, während andere Quellen bis zu 600 Tötungen alleine in Mossul bis Dezember 2004 berichten. Das Erscheinungsbild dieser Morde ist vielfältig und teilweise nur als bestialisch zu bezeichnen. Immer wieder wurden Christen ermordet, die in irgendeiner Form für die US-Truppen, US-Firmen oder Firmen aus dem Westen tätig waren. Dokumentiert sind auch Morde an Personen, die für assyrische politische Organisationen arbeiten und die Ermordung von Christen, die Restaurants besaßen oder darin arbeiteten, die Alkoholläden betrieben oder darin arbeiteten oder die in Friseur- und Schönheitssalons tätig waren. Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Fällen, in denen der einzige Grund, aus denen Personen umgebracht worden sind, unter ihnen auch Kinder, offenkundig der war, dass es sich bei ihnen um Christen handelte. Die Ausführungen dieser Mordanschläge reichen von Erschießungen auf offener Straße über Anschläge auf Häuser/Geschäfte mit Handgranaten bis zu Enthauptungen auf offener Straße. Neben derartigen gezielten Mordanschlägen auf Einzelpersonen gibt es Anschläge aller Art auf Kirchen, Klöster, christliche Wohnhäuser, von Christen geführte Restaurants, Alkoholgeschäfte und Alkoholfabriken, auch Friseur- und Schönheitssalons sowie auf christliche Schulen und die Büros christlicher bzw. assyro-chäldäischer Parteien. Allein zwischen Ende 2003 und Ende 2004 wurden über 25 Kirchen angegriffen und teilweise vollständig zerstört. Zehn von zwölf Fabriken, die in Bagdad alkoholische Getränke herstellten, wurden bis Oktober 2004 niedergebrannt. Hinzu kommen alle Arten von Drohungen, Einschüchterungen und Beleidigungen. Christliche, nicht verschleierte Frauen und Mädchen in Bagdad und Mossul werden immer wieder auf der Straße beleidigt und tätlich angegriffen. Es werden Fälle berichtet, in denen Frauen geschlagen und ihre Kleidung zerrissen wurde und ihnen mit Tötung gedroht wurde, falls sie nochmals unverschleiert auf der Straße angetroffen würden. An der Mossuler Universität haben Berichten zufolge inzwischen ca. 1500 christliche Studenten wegen der andauernden Bedrohungen ihr Studium aufgegeben. In christlichen Wohnvierteln finden sich Graffiti, die Christen unter Androhung von Gewalt auffordern, zum Islam überzutreten. Plakate erklären die christliche Bevölkerung für vogelfrei. Auch von Entführungen scheinen Christen überproportional betroffen zu sein. Nach Angaben christlicher Institutionen sind 90% aller Personen, die mit dem Ziel der Erpressung von Lösegeld entführt werden, christlichen Glaubens. Neuerdings wird sogar - insbesondere aus Mossul - von Hauskontrollen islamistischer Gruppen berichtet, bei denen nach der religiösen Zugehörigkeit, der beruflichen Tätigkeit, der Religionsausübung, dem Verhalten bzw. der Kleidung der weiblichen Familienmitglieder sowie nach besonderen Gewohnheiten gefragt wird. Bei diesen Hauskontrollen werden auch Nachbarn über ihre Nachbarn ausgehorcht. Diese zahlreichen Übergriffe haben bereits jetzt zu einer Massenflucht von Christen nach Syrien oder in den von Kurden verwalteten Nordirak geführt.

Exakte Angaben über die Häufigkeit der oben genannten Übergriffe bezogen auf den gesamten Irak oder bezogen auf regional begrenzte Gebiete liegen allerdings nicht vor. Dies liegt zum einen daran, dass Angriffe auf Christen in der Berichterstattung über die ansonsten instabile Lage im Irak in den westlichen Medien meist untergehen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass erfolgte Übergriffe von den betroffenen Christen meist nicht angezeigt werden, weil sie einerseits ohnehin nicht damit rechnen können, dass Anzeigen zu strafrechtlicher Verfolgung oder Schutzgewährung durch staatliche Behörden führen und weil andererseits es die Betroffenen aus Angst vor weiteren Bedrohungen häufig vorziehen, im Verborgenen zu bleiben.

Aufgrund des unzureichenden Zahlenmaterials und der Unmöglichkeit einer genaueren Bezifferung der Übergriffe unter Berücksichtigung einer vorhandenen Dunkelziffer ist es problematisch, schon derzeit die für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Christen erforderliche Verfolgungsdichte zu bejahen. Die Situation für Christen, insbesondere im Großraum Mossul und Bagdad wird zwar in den oben zitierten neueren Erkenntnisquellen als extrem gefährlich bezeichnet und auch die Verfolgungsfurcht jedes einzelnen Christen erscheint danach real. Dennoch lässt sich auch bei einer nicht auf rein mathematischen Berechnungen beschränkten Beurteilung die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte (noch) nicht zweifelsfrei bejahen (vgl. verneinend OVG NRW, Beschluss vom 31.05.2005 - A 1738/05.A -; VGH München, Urteil vom 03.03.2005 - 23 B 04.30734 - zitiert nach juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.01.2005 - 10 A 10001/05 - zitiert nach juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.11.2004 - 9 LA 323/04 - AuAS 2005, 65 - 67; VG Aachen, Urteil vom 24.02.2005 - 4 K 2206/02 A - zitiert nach juris; a.A. VG Regensburg, Urteil vom 17.01.2005 - RN 3 K 04.30621 - www. asyl.net-magazin-3 - 2005).

Soweit in den genannten Entscheidungen zusätzlich darauf abgestellt wird, dass neben den Religionsgemeinschaften der Christen auch Schiiten und Sunniten von Anschlägen betroffen sind und Christen nicht nur wegen ihrer Religionszugehörigkeit mit Anschlägen zu rechnen haben, sondern auch, weil sie als "Handlanger der amerikanischen Streitkräfte" angesehen werden, weil sie vermehrt Bewerber und Anwärter für den öffentlichen Dienst stellen, in bestimmten Berufszweigen arbeiten oder weil sie als besonders vermögend gelten, so ist dies zwar zutreffend. Alle neueren Auskunftsquellen und Gutachten weisen auf die verworrene Gemengelage bei den Motiven der Angreifer hin. Es darf aber nicht übersehen werden, dass diese Motive zum Teil ausschließlich in der Gedankenwelt der Angreifer existieren und mehr einer religiösen Propaganda und bewussten Denunziation entsprechen ohne jeglichen realen Hintergrund. Dies gilt etwa für den Vorwurf der Unterstützung der Koalitionstruppen oder die Vorstellung, dass Christen besonders reich wären. In anderen Fällen, in denen besonderes nicht moslemisches Verhalten abgestraft werden soll, wie zum Beispiel im Falle von Alkoholladenbesitzern oder solchen Christen, die in Friseur- und Schönheitssalons arbeiten, sind potentiell zwar auch Muslime, die sich den traditionellen muslimischen Wertvorstellungen nicht unterordnen, Gefährdungen ausgesetzt. Allerdings sind derartige Berufszweige traditionell in der Hand von Angehörigen religiöser Minderheiten, die dort überproportional stark vertreten sind. So können etwa Alkoholläden im Irak legal nur von Nichtmuslimen betrieben werden.

Die Anknüpfung an die christliche Religionszugehörigkeit bei den geschilderten Verfolgungshandlungen mag daher nicht immer eindeutig erkennbar sein. Sie ist aber doch ein in jedem Falle die Verfolgungsbetroffenheit mitprägender Umstand. Zu berücksichtigen ist auch, dass Christen als Minderheit bereits jetzt in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser und gesellschaftlicher Verachtung leben und sie - obwohl "Buchbesitzer" - weit verbreitet als Ungläubige angesehen werden. Im Irak hat sich eine Intoleranz, eine grundsätzliche Feindschaft zu religiösen Minderheiten herausgebildet, die Bestandteil des Volksbewusstseins irakischer Schiiten und Sunniten ist. Die innere Haltung ist geprägt von Ablehnung, Abgrenzung und einem tief sitzenden Empfinden von der Inferiorität der Christen.

Ob nach alledem die Annahme einer Gruppenverfolgung von Christen zumindest regional begrenzt auf den Großraum Mossul und Bagdad bereits jetzt gerechtfertigt ist, lässt die Kammer offen. Die Situation der Christen im Irak bedarf aber einer sorgfältigen Beobachtung. Die Kammer schließt nicht aus, dass bei einer weiteren Verschärfung der Lage eine regional begrenzte Gruppenverfolgung anzunehmen sein wird.

4. Unabhängig von der Frage einer Gruppenverfolgung der Christen ist die Klägerin aber individuell aus religiösen Gründen verfolgt, weil sie bei einer Rückkehr nach Mossul dort asylerheblichen Eingriffen in ihre Religionsfreiheit durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wäre.

a) Eine Verfolgung aus religiösen Gründen im Sinne des Art. 16 a GG - und des § 60 Abs. 1 AufenthG -, liegt nach ständiger Rechtsprechung auch dann vor, wenn in das religiöse Existenzminimum des Einzelnen eingegriffen wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn einem Glaubensangehörigen angesonnen wird, seine Religionsausübung oder gar seine Religionszugehörigkeit als solche geheimzuhalten, um (staatlichen) Repressalien zu entgehen. Die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich und die Möglichkeit zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich- kommunikativen Bereich gehören zu dem durch das Asylrecht geschützten elementaren Bereich der sittlichen Person (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91 - InfAuslR 1995, 210-211; BVerwG, Beschluss vom 25.06.2004 - 1 B 282/03, 1 B 282/03 - zitiert nach Juris).

Nach dem übereinstimmenden Inhalt der vorliegenden Auskunftsquellen sind Christen im Großraum Mossul und Bagdad zur Vermeidung von asylerheblichen Übergriffen gezwungen, ihr Christsein zu verbergen. Sobald Christen als solche erkannt werden, besteht für sie in dem genannten Gebiet die erhebliche Gefahr, an Leib und Leben verletzt zu werden. Christliche Frauen und Mädchen sehen sich genötigt, sich auf der Straße zu verschleiern und traditionellen muslimischen Kleidungsvorschriften zu unterwerfen, christliche Männer sich einen muslimischen Bart wachsen zu lassen, um ihr Christsein in der Öffentlichkeit zu verbergen. Um nicht als Christ erkannt zu werden, vermeiden sie die Besuche von Gottesdiensten und halten sich traditionell christlichen Berufsausübungen fern. Christen sind auch gezwungen, ihre Religionszugehörigkeit im engsten nachbarschaftlich kommunikativen Bereich zu verbergen, um nicht in die Gefahr zu geraten, aufgrund von Denunziationen in das Blickfeld islamistischer Gruppen zu geraten (vgl. Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 07.03.2005 an VG Köln; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.02.2005 an VG Köln; amnesty international, Gutachten vom 29.06.2005 an VG Köln).

Dieser Zwang, seine religiöse Identität zu verbergen, stellt einen Eingriff in das religiöse Existenzminimum jedes Einzelnen dar und ist damit asylrechtlich erheblich. Denn es kann einem Glaubenszugehörigen nicht angesonnen werden, seine Religionsausübung oder gar seine Religionszugehörigkeit als solche geheim zu halten, um Repressalien zu entgehen.

Es kommt daher im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die der deutschen Rechtsprechung geläufige Unterscheidung zwischen "Forum internum" und "Forum externum" der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht und inwieweit diese Unterscheidung unter Berücksichtigung der EU-Qualifikationsrichtlinie noch aufrecht erhalten werden kann (vgl. zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - S. 11 f des amtlichen Umdrucks, a.a.O., m.w.N.).

Vor diesem asylerheblichen Eingriff in ihr religiöses Existenzminimum findet die Klägerin auch keinen Schutz durch die irakische Übergangsregierung oder dieser nachgeordnete Stellen. Es entspricht übereinstimmender Auskunftslage, dass irakische staatliche Stellen im ehemaligen Zentralirak weder über die Möglichkeiten effektiver Schutzgewährung verfügen (vgl. hierzu im einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - S. 17 ff des amtlichen Umdrucks, a.a.O., m.w.N.) noch bezogen auf Christen irgendwelche Maßnahmen zur Schutzgewährung ergreifen (vgl. Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 07.03.2005 an VG Köln; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.02.2005 an VG Köln; amnesty international, Gutachten vom 29.06.2005 an VG Köln).

Es entspricht daher auch der übereinstimmenden Überzeugung der im vorliegenden Verfahren befragten Gutachter, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Mossul ernsthaft gefährdet wäre, Opfer eines islamistisch motivierten Angriffs und dabei an Leib und Leben verletzt zu werden. Die Situation der Klägerin verschärft sich zusätzlich dadurch, dass sie als alleinstehende Frau bei einer Rückkehr ohne den Schutz eines männlichen Verwandten auskommen müsste und zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes unter Umständen tatsächlich gezwungen wäre, erneut in ihrem Beruf als Friseurin zu arbeiten.

b) Der dargelegten Bedrohung unterliegt die Klägerin auch landesweit, weil sie nicht auf das allein in Betracht kommende ehemals autonome Kurdengebiet verwiesen werden kann. Auch wenn im kurdischen verwalteten Nordirak die Sicherheitslage insgesamt stabiler und auch Übergriffe auf Christen seltener sein mögen, genügt dieses Gebiet bei Zugrundelegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nicht den Anforderungen, die an eine den Asylanspruch ausschließende inländische Fluchtalternative zu stellen sind (vgl. zur Anwendbarkeit der Grundsätze der inländischen Fluchtalternative auf die autonomen Kurdengebiete im Nordirak BVerwG, Urteil vom 08.12.1998 - 9 C 17.98 -, NVwZ 1999, 544; OVG NRW, Urteile vom 05.05.1999 - 9 A 4671/98.A -, und vom 08.03.2001 - 9 A 2993/98.A -).

Auf dieser Grundlage kann die Klägerin auf eine inländische Fluchtalternative in den kurdischen Regionen des Nordirak nicht verwiesen werden. Dies gilt jedenfalls für die aus dem Zentralirak stammende Klägerin, die weder über familiäre noch sonstige soziale Bindungen in den Nordirak verfügt.