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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 14.06.2005 - 1 C 15.04 - asyl.net: M7107
https://www.asyl.net/rsdb/M7107
Leitsatz:

1. Für die Kosten der Abschiebung eines minderjährigen Kindes haften neben den Kostenschuldnern des § 82 AuslG (jetzt § 66 AufenthG) auch die Eltern, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mitveranlasst haben.

2. Die Erstattungspflicht für Kosten einer in Justizvollzugsanstalten vollzogenen Abschiebungshaft erstreckt sich auf alle erforderlichen, tatsächlich entstandenen Kosten der Abschiebungshaft (§ 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG, jetzt: § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

 

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Mitverursachung, Abschiebungshaft, Kosten, Abschiebung, Haftkostenbeitrag, Höhe, Eltern, Kinder, Minderjährige, Einreise, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Rechtmäßigkeit, Kosten, Verhältnismäßigkeit, Wirkungen der Abschiebung, Sperrwirkung, Abschiebungshaft
Normen: AuslG § 83; AufenthG § 66; AuslG § 81 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 69 Abs. 2 S. 2; VwKostG § 13 Abs. 1 Nr. 1; StVollzG § 50 Abs. 2; VwKostG § 14 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

1. Für die Kosten der Abschiebung eines minderjährigen Kindes haften neben den Kostenschuldnern des § 82 AuslG (jetzt § 66 AufenthG) auch die Eltern, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mitveranlasst haben.

2. Die Erstattungspflicht für Kosten einer in Justizvollzugsanstalten vollzogenen Abschiebungshaft erstreckt sich auf alle erforderlichen, tatsächlich entstandenen Kosten der Abschiebungshaft (§ 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG, jetzt: § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

(Amtliche Leitsätze)

 

1. Das Berufungsgericht hat den Kläger zu 2 unter Verletzung von materiellem Recht als verpflichtet angesehen, die Abschiebungskosten seiner Tochter zu tragen. Denn für die Kosten der Abschiebung eines minderjährigen Kindes haften neben den Kostenschuldnern des § 82 AuslG (jetzt § 66 AufenthG) auch die Eltern, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mitveranlasst haben.

b) Das Berufungsgericht ist im Ansatz ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger zu 2 für die Kosten der Abschiebung seiner Tochter haftet, sofern er diese nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG (mit) veranlasst hat. Entgegen der vom Kläger zu 2 in seiner Revision vertretenen Auffassung ist die Aufzählung der Kostenschuldner in § 82 AuslG (jetzt § 66 AufenthG) nicht abschließend.

Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass sich eine Veranlasserhaftung des Klägers zu 2 nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG nicht schon aus seiner vermuteten Mitwirkung an der illegalen Einreise seiner Tochter ableiten lässt. Die Haftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG trifft denjenigen, der die kostenverursachende Amtshandlung - hier die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen die Tochter des Klägers zu 2 - verursacht hat. Sie knüpft also an einen Verursachungsbeitrag bei der Beendigung und nicht bei der Begründung des illegalen Aufenthalts eines Ausländers an. Allerdings lässt sich aus dem gesetzlich normierten Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern für ihre minderjährigen Kinder die Regelvermutung ableiten, dass sie notwendig gewordene Abschiebemaßnahmen gegen ihre Kinder mit veranlasst haben. Denn typischerweise ist davon auszugehen, dass sie ihre Kinder zu einer freiwilligen Ausreise aus Deutschland hätten veranlassen können. Allerdings lässt sich diese Regelvermutung entkräften, wenn die Eltern darlegen können, dass sie aufgrund besonderer Umstände außerstande waren, ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht gegenüber einem ausreisepflichtigen minderjährigen Kind durchzusetzen. Dabei wirkt grundsätzlich zu Lasten der Eltern, wenn sie bereits an der Begründung eines illegalen Aufenthalts ihres Kindes mitgewirkt haben, insbesondere dann, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen illegaler Einreise und angeordneter Ausreise besteht. Mit dem Abstellen auf das gesetzlich begründete Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern gegenüber ihren bei Einleitung des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen noch minderjährigen Kindern wird die Veranlasserhaftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG zugleich begrenzt und der Befürchtung (vgl. VGH Mannheim, a.a.O., S. 79) entgegengewirkt, sie könne zur Heranziehung jedes Dritten führen, der irgendeinen Kausalbeitrag zur Nichtausreise ausreisepflichtiger Ausländer leistet.

d) Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es auch wegen fehlender Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der gegen die Tochter des Klägers zu 2 verhängten Abschiebungshaft. Denn gegen Minderjährige darf Abschiebungshaft nach gefestigter Rechtsprechung nur dann verhängt werden, wenn mildere Maßnahmen, wie z.B. die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung, nicht in Betracht kommen und sowohl die haftantragstellende Behörde wie auch das Haftgericht derartige mildere Mittel geprüft und abgelehnt haben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 11. September 2002 - 16 Wx 164/02 - NVwZ-Beilage I 8 2003, 64; OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. September 2003 - 6 W 26/03 - InfAuslR 2004, 119; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30. August 2004 - 20 W 245/04 - juris; KG, Beschluss vom 18. März 2005 - 25 W 64/04 - InfAuslR 2005, 268). Ob im vorliegenden Fall mildere Maßnahmen als die Verhängung von Abschiebungshaft von der Bezirksregierung Lüneburg und vom Amtsgericht Tostedt in dessen Beschluss vom 24. Mai 2001 geprüft und mit Recht als ungeeignet verworfen wurden, hätte das Berufungsgericht als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Klägers zu 2 untersuchen müssen. Dies gebietet auch § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG, wonach solche Kosten nicht erhoben werden dürfen, die bei richtiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht entstanden wären (hier die Kosten der Abschiebungshaft).

2. Zum Nachteil der Beklagten verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht insofern, als es die zu erstattenden Haftkosten auf den Haftkostenbeitrag nach § 50 Abs. 2 StVollzG beschränkt hat. Denn § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG (jetzt § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) berechtigt zur Erhebung der Abschiebungshaftkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe.

Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bestimmt sich die Kostenerstattung für die Abschiebungshaft weder nach dem Gerichtskostengesetz noch nach der Kostenordnung, sondern nach der spezialgesetzlichen Regelung in § 83 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 AuslG. Denn die Verweisung auf die Vorschriften der Kostenordnung erfolgt bereits in § 14 Abs. 1 FreiheitsEntzG, das auf eine gerichtlich angeordnete Abschiebungshaft Anwendung findet (vgl. § 103 Abs. 2 AuslG, § 8 Abs. 2 FreiheitsEntzG), unter dem Vorbehalt, dass gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Ein Vorbehalt gleichen Inhalts findet sich in § 1 KostO. Für Kosten der Abschiebungshaft trifft aber § 83 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 AuslG die (abweichende) gesetzliche Bestimmung, dass diese durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten zu erheben sind.

Soweit die Pflicht zur Erstattung der Haftkosten wegen ihrer Höhe etwa zu einer faktischen Einreisesperre führt, ist deren Verhältnismäßigkeit bei der Entscheidung über die Wiedereinreise zu prüfen, steht aber der Erhebung dieser Kosten nach § 83 Abs. 4 AuslG als Folge der Abschiebungsentscheidung nicht entgegen.

Allerdings kann die Beklagte nach § 83 Abs. 4 Satz 1 AuslG nur die tatsächlichen Kosten der Abschiebungshaft beanspruchen und nicht die (höheren) tatsächlichen Kosten für Strafgefangene im Justizvollzug. Wie im Berufungsurteil ausgeführt, fallen im Strafvollzug auch Kosten an, welche die Abschiebehäftlinge nicht betreffen - z.B. Maßnahmen zur Resozialisierung; sozialtherapeutische Betreuung von Sexualstraftätern etc. (vgl. hierzu auch Urteil des VG Hamburg vom 14. November 2001 - 22 VG 702/98 - S. 18 f.). Derartige Maßnahmen sind für den Vollzug der Abschiebungshaft nicht erforderlich, die durch sie verursachten Kosten sind daher auszuscheiden (vgl. § 14 Abs. 2 VwKostG).