VG Karlsruhe

Merkliste
Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 23.06.2005 - A 2 K 11324/04 - asyl.net: M7131
https://www.asyl.net/rsdb/M7131
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, Gruppenverfolgung, mittelbare Verfolgung, Märzunruhen, KFOR, UNMIK, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, nichtstaatliche Verfolgung, Flüchtlingsbegriff, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage, Diskriminierung, medizinische Versorgung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Zum danach maßgeblichen Zeitpunkt hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG) und Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Darüber hinaus hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorliegen.

Der Kläger, der sich zur Begründung seines Asylantrages auf seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali berufen hat, unterliegt im Kosovo keiner staatlichen oder einem Staat oder einer staatsähnlichen Gewalt zurechenbaren politischen Verfolgung. Diesbezüglich liegt eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung vor (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil v. 27.04.2000 - A 14 S 2559/98 -, juris; Thür. OVG, Urt. v. 25.04.2004 - 3 KO 264/01 -, juris; BVerfG, Beschl. v. 10.08.2000, NVwZ 2000, 1165).

Der Minderheit der Ashkali droht im Kosovo auch keine mittelbare staatliche Verfolgung in Form von Übergriffen durch die albanische Bevölkerungsmehrheit. Eine solche Gefahr lässt sich insbesondere nicht (mehr) aus den Unruhen vom März 2004 ableiten. Zwar kann ein erneutes Umkippen der fragilen Sicherheitslage und der Ausbruch neuerlicher Gewalttätigkeiten nicht ausgeschlossen werden. Jedoch hat sich die Situation im Kosovo insbesondere, in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 insgesamt wieder stabilisiert. KFOR und UNMIK sind weiterhin schutzbereit und grundsätzlich hierzu in der Lage, auch wenn sie die Sicherheit nicht in jedem Einzelfall gewährleisten können. Jedoch hat KFOR nach den Unruhen vom März 2004 durch die Entsendung von weiteren 2.000 Mann die Sicherheitslage wieder grundsätzlich unter Kontrolle. Die Einsatztaktik der deutschen KFOR-Soldaten wurde grundlegend geändert. Die Soldaten sind jetzt auch mit "nicht letalen Kampfmitteln" wie Reizgas, Schlagstöcken und Schilden für den Straßenkampf ausgestattet. Außerdem wurden mehr als 270 Personen nach den Unruhen vorläufig festgenommen, darunter auch führende Mitglieder des Veteranenverbandes der UCK. 73 Spezialisten sind zusätzlich zur Strafverfolgung der Straftäter nach Pristina gekommen und bereits 80 Verdächtige verurteilt. Auch 100 Fälle, in denen Angehörigen des KPS (Kosovo Police Service) Fehlverhalten vorgeworfen wird, werden von UNMIK überprüft (hierzu: UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2005: Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 04.11.2004; Erkenntnisse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Serbien und Montenegro/Kosovo, Berichtszeitraum, August bis Dezember 2004, Stand: Dezember 2004, S. 10; "Angst vor neuer Gewalt", Süddeutsche Zeitung Nr. 56 vom 09.03.2005, S. 2; Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Kurzinformationen, "Schwere Unruhen im Kosovo", Stand: 05.04.2004).

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen nicht vor.

Damit wird in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anders als im bisherigen § 51 Abs. 1 AuslG ausdrücklich auf das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (Genfer Konvention, BGBl. 1953 II S. 559) Bezug genommen (vgl. VG Karlsruhe, Urteil v. 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 -). Der in § 60 Abs. 1 AufenthG festgelegte Standard erfordert einen effektiven Schutz vor Verfolgung, und zwar unabhängig davon, ob die Verfolgungshandlung einem staatlichen Träger zugerechnet werden kann oder nicht (VG Stuttgart, Urteil v. 17.01.2005. - A 10 K 10587/04 -). Kommt es auf die Zurechenbarkeit im Sinne der "mittelbaren staatlichen Verfolgung" nach der neuen Rechtslage nicht mehr an, kann danach Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure auch vorliegen, wenn der Staat bzw. die internationalen Organisationen trotz prinzipieller Schutzbereitschaft Personen oder Gruppen vor der Verfolgung durch Dritte nicht effektiv schützen können (UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Ziff. 65). Von einer mangelnden Schutzgewährung ist dabei nicht nur dann auszugehen, wenn die in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstaben a) und b) AufenthG genannten Akteure gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel keinen effektiven Schutz gewähren können oder die Übergriffe unterstützt, gebilligt oder tatenlos hingenommen haben (vgl. zu Art. 16a Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315 ff). Vielmehr kommt es unter dem Gesichtspunkt der Schutzgewährung darauf an, ob der Schutz im konkreten Einzelfall effektiv und angemessen ist (so auch VG Stuttgart, Urteil v. 17.01.2005 - A 10 K 10587/04 -), wobei hier bei der prognostischen Prüfung der Frage, ob der zur Verfügung gestellte Schutz effektiv ist, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass effektiver Schutz gewährt wird, wenn die in § 60 Abs. 1 S. 4 Buchstaben a) und b) AufenthG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. Art.. 7 Abs. 2 RL 2004/83/EG sowie VG Karlsruhe, Urteil v. 1 - A 2 K 12193/03 - und Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 7 Rdnr. 117 f. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des House of Lords).

In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass Angehörige der Minderheiten der Ashkali im Kosovo effektiv geschützt sind. Dies ergibt sich schon aus den obigen Ausführungen zur Verneinung der mittelbaren staatlichen Verfolgung. Generell hat sich gemessen an der Zahl der schwerwiegenden Verbrechen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten die Sicherheitslage im Kosovo verbessert.

Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG verlangt wegen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG dann, wenn sich der Ausländer nur auf Gefahren beruft, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört allgemein ausgesetzt ist, dass eine Gefahrenlage gegeben ist, die landesweit so beschaffen ist, dass der von einer Abschiebung Betroffene gleichsam sehenden Auges schwersten Verletzungen ausgeliefert oder der extremen Gefahr ausgesetzt wäre, mangels ausreichender Existenzmöglichkeiten an Hunger oder Krankheit zu sterben (vgl. BVerwG, Urteil v. 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, DVBl. 2001, 1531). Diese zu § 53 Abs. 6 AuslG ergangene Rechtsprechung gilt auch für § 60 Abs. 7 AufenthG, weil es sich insoweit nur um eine redaktionelle Änderung handelt (vgl. BT-Drs.-15/420, S. 91).

Eine derart extreme Gefahrenlage besteht für den Kläger im Kosovo weder im Hinblick auf die Sicherheitslage noch auf die allgemeine soziale und wirtschaftliche Situation.