VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 28.07.2005 - 6 UE 912/04.A - asyl.net: M7244
https://www.asyl.net/rsdb/M7244
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Abschiebungshindernis, Krankheit, Immunisierungsdefizit, Allgemeine Gefahr, Bronchitis, in Deutschland geborene Kinder, Extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Kläger weder auf die von ihm mit Schriftsatz vom 18. Juli 2005 geltend gemachte akute Erkrankung noch auf das im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren geltend gemachte Immunisierungsdefizit sowie den Mangel an einer zuverlässigen, sofortigen medizinischen Versorgung für mittellose Personen in der Türkei stützen.

Bei dem vom Kläger geltend gemachten Immunisierungsdefizit und seinen Folgen bei einer Rückkehr in die Türkei handelt es sich dagegen nicht um eine individuelle, konkrete Gefahr, sondern um eine solche, die allen im Bundesgebiet geborenen Kindern türkischer Eltern bei einer Rückkehr in die Türkei droht. Eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheidet bei derartigen gruppenspezifischen Gefahren aus. Auf allgemeine Gefahren, die nicht dem Kläger persönlich, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe, der er angehört, drohen, kann sich der Kläger zur Begründung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht berufen, denn in einem solchen Fall kann gem. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt werden (vgl. zu den Vorgängerregelungen: BVerwG, 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, a.a.O., 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, a.a.O.). Die Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst allgemeine Gefahren im Sinne des Satzes 2 grundsätzlich auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, a.a.O.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der vorgenannten Entscheidung klargestellt, dass nicht die geringere Betroffenheit des Einzelnen die Anwendung der Vorgängerregelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gesperrt hat, sondern die Tatsache, dass er sein Fluchtschicksal mit vielen anderen teilt, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme im Bundesgebiet eine politische Leitentscheidung befinden soll.

Auf die vom Klägerbevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 29. April 2004 und vom 18. Juli 2005 angekündigten Beweisanträge zu dem behaupteten Immunisierungsdefizit für im Bundesgebiet geborene Kleinkinder sowie zu den in der Türkei herrschenden Bedingungen im Gesundheitswesen kommt es demzufolge für die Entscheidung nicht an.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung von Abschiebungshindernissen lässt sich auch nicht aus einer ausnahmsweise gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG herleiten, da es an der erforderlichen extremen Gefahrenlage für den Kläger fehlt.