OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2005 - 22 W 65/05 u.a. - asyl.net: M7343
https://www.asyl.net/rsdb/M7343
Leitsatz:
Schlagwörter: Abschiebungshaft, Beschleunigungsgebot, Verordnung Dublin II, Rückübernahme, Vier-Wochen-Frist, Zweitantrag, Haftbefehl, Italien (A)
Normen: AsylVfG § 14 Abs. 3 S. 3; AsylVfG § 71a
Auszüge:

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält der auf die weitere sofortige Beschwerde hin vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG nur teilweise stand. Die Inhaftierung des Betroffenen war vom 12. Januar 2004 an bis zur Rücküberstellung nach Italien am 3. März 2004 rechtswidrig.

1. Das Landgericht ist rechtlich beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Amtsgericht angeordnete Inhaftierung des Betroffenen verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und bis zum 12. Januar 2004 auch sonst aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.

Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist nicht ersichtlich.

Die Ausländerbehörde hat nach der Inhaftierung des Betroffenen am 29. Oktober 2003 zunächst dessen Identität - soweit möglich - klären müssen und anschließend am 12. November 2003 das Rücknahmeersuchen an Italien gestellt.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann der Ausländerbehörde nicht zur Last gelegt werden, sie habe über das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die italienischen Behörden lediglich an die Erteilung der Rückübernahmezusage "erinnert", nicht aber konkrete Modalitäten der Rückübernahme angesprochen. Die Ausführungen der Kammer dazu treffen zu; das Vorgehen entsprach den üblichen Gepflogenheiten im diplomatischen zwischenstaatlichen Verkehr.

2. Im Ergebnis zu Recht geht die Kammer weiter davon aus, dass die Haft mit Ablauf von vier Wochen nach Eingang des Asylantrages des Betroffenen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 12. Januar 2004 nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG rechtswidrig geworden ist.

a. In Ausnahme zu § 55 Abs. 1 AsylVfG steht die Asylantragstellung der Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen, wenn der Betroffene sich - wie hier - in Sicherungshaft befindet, § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG. Sie endet jedoch spätestens mit dem Ablauf von vier Wochen, wenn nicht zuvor das Asylgesuch abgelehnt worden ist, § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG. Diese Frist war hier am 12. Januar 2004 abgelaufen.

b. Anders dagegen wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn der Betroffene den Asylantrag nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gestellt hätte, d.h. einen sog. Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG. In diesem Fall wäre die Sicherungshaft uneingeschränkt zulässig, §§ 71 a Abs. 2 Satz 3, 71 Abs. 8 AsylVfG.

Aus dem in den Akten befindlichen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Februar 2004, das gemäß § 71 a Abs. 1 letzter HS AsylVfG zu prüfen hatte, ob ein Zweitantrag vorlag, ergibt sich jedenfalls, dass das Asylverfahren in Italien (noch) durchgeführt werden sollte, mithin noch nicht abschlossen war. Diese aus den Akten ersichtliche Tatsache kann vom Senat herangezogen werden (s. BayObLG InfAuslR 2001, 175; Keidel/Kunze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rdn. 42).

3. Entgegen der Auffassung der Kammer ist die Inhaftierung mit der Bekanntgabe des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Februar 2004 aber nicht wieder rechtmäßig geworden. Sie war bis zur Rücküberstellung des Betroffenen rechtswidrig.

a. Nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG endet die Abschiebungshaft von Gesetzes wegen mit Ablauf der Vierwochenfrist. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass die Haft nicht nur unterbrochen wird, sondern beendet ist. Der betroffene Ausländer ist mit Ablauf der Vierwochenfrist sofort zu entlassen (OLG Düsseldorf in NVwZ-Beilage 1996, 8, Melchior, Abschiebungshaft - Bearbeitung 01/2001 - Rdn. 402); eine Aufhebung des Haftbefehls durch das Gericht hat nur deklaratorische Bedeutung, aber keine konstitutive Wirkung. Der Haftbefehl wird mit Ablauf der Vierwochenfrist daher ohne weiteres gegenstandslos. Er kann deshalb auch nicht "wiederaufleben", wenn die Aufenthaltsgestattung mit einem abschlägigen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach § 67 Abs. 1 Nr. 5 AsylVfG erlischt. Es bedarf mithin einer neuen Haftanordnung, wenn der Betroffene nach Ablehnung seines Asylantrages erneut in Abschiebungshaft genommen werden soll. Dies entspricht auch dem Gebot der Rechtsklarheit und den in Art. 104 Abs. 1 GG enthaltenen formellen Gewährleistungen zum Schutz des Grundrechts der persönlichen Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Diese Sichtweise ist schließlich auch mit den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. August 2005 (2 BvR 1357/05) dargelegten Grundsätzen im Zusammenhang mit der Anordnung von Untersuchungshaft vereinbar.