LG Paderborn

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Zitieren als:
LG Paderborn, Beschluss vom 27.09.2005 - 2 T 83/05 - asyl.net: M7351
https://www.asyl.net/rsdb/M7351
Leitsatz:

Wird eine örtlich unzuständige Ausländerbehörde in einer Haftsache tätig, darf sie nicht das gesamte Verfahren an sich ziehen (hier: Antrag der Haftverlängerung).

 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Verfahrensmangel, Ladungsfrist, Verlängerungsantrag, Bekanntmachung, Prozessbevollmächtigte, rechtliches Gehör, örtliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Amtshilfe
Normen: VwVfG § 4; VwVfG § 5
Auszüge:

Wird eine örtlich unzuständige Ausländerbehörde in einer Haftsache tätig, darf sie nicht das gesamte Verfahren an sich ziehen (hier: Antrag der Haftverlängerung).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 22.07.2005 - und hierauf beschränkt sich die rechtliche Überprüfung - war formell rechtswidrig.

Entgegen der Ansicht der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen ergibt sich die formelle Rechtswidrigkeit des Beschlusses aber nicht aus einer örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Paderborn für den Verlängerungsbeschluss i.S.d. § 4 Abs. 1 FEVG. Durch Beschluss vom 18.07.2005 hat das Amtsgericht Aachen das Verfahren gemäß § 106 Abs. 2 S. 2 Aufenthaltsgesetz an das Amtsgericht Paderborn abgegeben, da der Betroffene zuvor in die JVA Büren verlegt worden war. Diese Abgabe bindet das Amtsgericht Paderborn grundsätzlich. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass die Abgabe willkürlich erfolgte. Bereits aus diesem Gesichtspunkt folgt, dass das Amtsgericht Paderborn für den Verlängerungsbeschluss vom 22.07.2005 örtlich zuständig war. Insoweit wird auf den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26.02.1999, Aktenzeichen 3 ZAR 7/99 verwiesen.

Darüber hinaus ergibt sich kein Verfahrensverstoß des Amtsgerichts gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens im Hinblick auf die Terminsladung bzw. die unterbliebene Bekanntmachung des Verlängerungsantrags des Rhein-Sieg-Kreises vor dem Anhörungstermin.

Hinsichtlich der Ladung ist festzustellen, dass die Verfahrensakte beim Amtsgericht Paderborn erst am 20.07.2005 einging. Die Abschiebehaft endete aber bereits aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Aachen vom 18.05.2004 wenige Tage später, nämlich am 24.07.2005. Da es sich bei dem 24.07.2005 um einen Sonntag handelte, konnte das Amtsgericht den Anhörungstermin nicht später als auf den 22.07.2005 festsetzen. Dies geschah durch Verfügung des Amtsgerichts vom 21.07.2005 und damit bereits einen Tag nach Eingang der Akten. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen haben auch unter den gegebenen Umständen rechtzeitig Kenntnis vom Anhörungstermin erlangt. Dies zeigt sich daran, dass sie mit Fax vom 21.07.2005 beantragten, den Antrag auf Haftverlängerung zurückzuweisen. Die Vorgehensweise des Amtsgerichts ist daher in keiner Weise zu beanstanden. Im Übrigen besteht für die im Freiheitsentziehungsverfahren vorgeschriebene Anhörung gerade keine Ladungsfrist.

Eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens liegt auch nicht im Hinblick auf die unterbliebene Bekanntmachung des Verlängerungsantrags vor dem Anhörungstermin vor. Zwar gehört zur Gewährung rechtlichen Gehörs auch, dass der Betroffene den schriftlichen Verlängerungsantrag der Verwaltungsbehörde rechtzeitig vor dem Anhörungstermin erhält, damit er sich sachgerecht auf diesen Termin vorbereiten kann. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen haben insoweit auch mit Schreiben vom 21.07.2005 das Nichtvorliegen des Verlängerungsantrages gerügt. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass das Amtsgericht am 20.07.2005 die antragstellende Behörde, nämlich den Rhein-Sieg-Kreis, bat, den Verlängerungsantrag von dort aus den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zuzusenden. Dass dies letztlich wohl unstreitig vor dem Anhörungstermin nicht geschehen konnte, liegt daran, dass seitens des Rhein-Sieg-Kreises eine falsche Faxnummer angewählt worden ist. Insoweit bleibt hier festzuhalten, dass die unterbliebene Bekanntmachung des schriftlichen Verlängerungsantrags nicht bewusst geschah, sondern auf einem Versehen beruhte. Dies kann zwar von vornherein nicht schon einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ausschließen, vorliegend ist aber zu beachten, dass der Betroffene ausweislich des Anhörungsprotokolls vom 22.07.2005 zu dem Verlängerungsantrag angehört worden ist und auch die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen jedenfalls später durch Akteneinsicht von dem Antrag Kenntnis erlangten. Der vorliegende Verfahrensverstoß berührt deshalb nicht das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Die formelle Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ergibt sich allerdings aus der örtlichen Unzuständigkeit der antragstellenden Verwaltungsbehörde, nämlich des Rhein-Sieg-Kreises. Zwar ist streitig, ob mit Schreiben vom 06. oder 07.06.2005 die zuständige Stadtverwaltung Salzgitter den Rhein-Sieg-Kreis um Amtshilfe zur Abschiebung ersuchte. Fest steht lediglich, dass der Rhein-Sieg-Kreis seine Zuständigkeit allein auf Amtshilfe gründete. Dies ist bereits dem Grunde nach rechtsfehlerhaft. Denn Amtshilfe gibt i. S. d. §§ 4, 5 Verwaltungsverfahrensgesetz NW nicht das Recht, eine eigene (vorher nicht bestehende) Zuständigkeit zu begründen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, 6. Aufl., Kommentar zum VwVfG, § 4, Rn 7; § 5, Rn 4). Vorliegend ging auch die Tätigkeit des Rhein-Sieg-Kreises über eine bloße Amtshilfe hinaus. Amtshilfe ist lediglich eine Beistands- und Unterstützungshandlung mit Komplementärfunktion (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, aaO, § 4, Rn 35). Hier hat jedoch der Rhein-Sieg-Kreis, nachdem ein Vertreter zulässigerweise den Betroffenen am 13.06.2005 in der JVA Siegburg besuchte, das gesamte weitere Verfahren an sich gezogen, indem er zum einen den Verlängerungsantrag vom 13.07.2005 für einen Monat stellte und darüber hinaus diesen Antrag im Anhörungstermin vom 22.07.2005 fernmündlich auf zwei Monate verlängerte. Dies hätte der zuständigen Verwaltungsbehörde Salzgitter im Sinne des § 4 II Nr. 2 VwVfG NW oblegen. Dass dies der Rhein-Sieg-Kreis tat, verstößt gegen seine Befugnisse und war nicht mehr von Amtshilfe im Sinne einer ergänzenden Hilfe gemäß § 4 1 VwVfG NW gedeckt.