VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 01.09.2005 - 1 A 12/05 - asyl.net: M7360
https://www.asyl.net/rsdb/M7360
Leitsatz:
Schlagwörter: deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Kinder, Geburt, in Deutschland geborene Kinder, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Eltern, Aufenthaltsdauer, gewöhnlicher Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Aufenthaltsgestattung, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung
Normen: StAG § 4 Abs. 3; AsylVfG § 73 Abs. 4 S. 2; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; AsylVfG § 73 Abs. 6; AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AsylVfG § 55 Abs. 3
Auszüge:

2. Im Übrigen ist die Feststellungsklage zulässig (Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 4 StAG Rdnr. 95 und § 40 StAG Rdnr. 14 mwN). Im Hinblick auf den Schriftsatz der Beklagten vom 21. Juli 2005, in den angekündigt wird, die Klägerin zur freiwilligen Ausreise aufzufordern, hat diese ein besonderes Interesse an der gerichtlichen Feststellung, zumal sie sich im Besitz eines deutschen Kinderausweises befindet.

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat durch ihre am 12. August 2001 in Göttingen erfolgte Geburt gemäß § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der für den Zeitpunkt ihrer Geburt maßgeblichen Fassung vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) - StAG - die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Der vom Standesbeamten in dem Geburtseintrag angebrachte Vermerk ist zutreffend. Mit dieser am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Bestimmung (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999, BGBl. I S. 1618) wurde der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem weiter geltenden Abstammungsprinzip (ius sanguinis) um Elemente des Geburtsortprinzips (ius soli) ergänzt.

Nach § 4 Abs. 3 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil (hier der Vater) (1.) seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und (2.) eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) besitzt. Die am 12. August 2001 in Göttingen geborene Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen.

a. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin hielt sich ihr Vater seit acht Jahren und 1 1/2 Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er hatte am 28. Juni 1993 erfolgreich seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Deshalb begründet nicht erst die von der Beklagten am 5. Oktober 1994 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis einen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern gemäß § 55 Abs. 3 AsylVfG bereits die im Zusammenhang mit der Asylantragstellung zuvor erteilte Aufenthaltsgestattung (Hailbronner/Renner, aaO., § 4 StAG Rdnr 76).

b. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin hatte der Vater auch seit mehr als acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Zur Frage des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr 1 StAG hat das Bundesverfassungsgericht ertschieden, dass es auf der Hand liegt, dass der Gesetzgeber damit an die wortgleiche Voraussetzung der Einbürgerungsvorschrift in § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG a.F. und die hierzu ergangene Rechtsprechung angeknüpft hat. Danach besagt der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Wesentlichen dasselbe wie der Begriff "dauernder Aufenthalt" (BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, NVwZ 2005, S. 707 = AuAS 2005, S. 113 = InfAuslR 2005; S. 215; Beschluss vom 25.11.2004, NVwZ 2005, S. 231 =DÖV 2005, S. 430 = AuAS 2005, S. 43 InfAuslR 2005, S. 63). Danach hat ein Ausländer seinen "dauernden Aufenthalt" in Deutschland, wenn er nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, so dass eine Beendigung das Aufenthalts ungewiss ist. Nicht erforderlich ist, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat (BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, aaO mwN).

Danach hatte der Vater der Klägerin am 12. August 2001 auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Lebensmittelpunkt seit mehr als acht Jahren im Inland (vgl. Hailbronner/Renner, aaO; § 4 StAG Rdnr. 75). Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin waren weder seine Asylberechtigung noch seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis widerrufen. Lediglich war am 21. Dezember 1999 vom Bundesamt das Verfahren auf Widerruf seiner Asylberechtigung gemäß § 73 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG eingeleitet worden. Die Einleitung eines Asylwiderrufsverfahrens beseitigt oder unterbricht jedoch noch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt des Ausländers. Vielmehr ist zu diesem Zeitpunkt völlig ungewiss, ob es zu einem Widerruf der Asylberechtigung kommt. Denn gemäß § 73 Abs.1 Satz 3AsylVfG ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Zudem wirkt der Asylwiderruf lediglich ex nunc (Renner, AuslR, 7. Aufl., § 73 AsylVfG, Rdnr. 26) und wird erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit wirksam, wie aus § 73 Abs. 6 AsylVfG folgt. Dessen ungeachtet ist für die Beendigung seines gewöhnlichen Aufenthalts selbst ein bestandskräftiger Asylwiderruf ohne Bedeutung. Denn über den maßgeblichen weiteren Aufenthalt nach dem Widerruf der Asylberechtigung entscheidet nicht das Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde. Vorliegend war es am 12. August 2001 - dem Tag der Geburt der Klägerin - völlig ungewiss, ob und gegebenenfalls wann es zu einer Beendigung des Aufenthalts ihres Vaters durch die Beklagte kommen würde. Zudem entscheidet die Beklagte über die Aufenthaltsbeendigung gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen und ohne "Erlöschensautomatik" in Folge des Asylwiderrufs (BVerwG, Urteil vom 20.2.2003, BVerwGE 117, S. 380 = NVwZ 2002, S. 1275 zu § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG a. F.). Einzustellen sind zahlreiche Ermessensabwägungen aufgrund der unterschiedlichen Bleiberechtsregelungen insbesondere bei Familien mit Kindern. Auch der Widerruf der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entfaltet lediglich Wirkungen für die Zukunft. Er wird wirksam mit Eintritt der Unanfechtbarkeit oder bei Anordnung der sofortigen Vollziehung (Renner, aaO. § 43 AuslG a. F., Rdnr. 4). Letzteres ist selbst bis zur Entscheidung der Kammer im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.

Für ihre gegenteilige Rechtsauffassung, nach der bereits die Einleitung eines Asylwiderrufsverfahrens den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindesvaters beendet bzw. unterbricht und diesen vorliegend auf sechs Jahre und knapp sechs Monate verkürzen würde, kann sich die Beklagte nicht auf die von ihr zitierte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.10.2003 - 5 C 03.2024 - berufen. Dieser liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Sachverhalt betrieb der Ausländer im Wege der Untätigkeitsklage ein Einbürgerungsverfahren, während das Bundesamt seine Anerkennung bereits durch Verwaltungsakt widerrufen hatte. Der Ausländer, der sich in einem weiteren Verfahren auch gegen den Widerruf der Asylanerkennung wandte, machte geltend, dass die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den bereits erfolgten Asylwiderruf zu seinen Gunsten im Rahmen seiner Untätigkeitsklage mit dem Ziel der Einbürgerung zu berücksichtigen sei. Hier entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Asylwiderruf den Ausländer bis zu dem durch § 80b Abs. 1 VwGO festgelegten Endzeitpunkt z.B. vor einer Abschiebung unter Missachtung des als fortbestehend fingierten Status eines politisch Verfolgten schützt aber aus sich heraus nicht rechtsbegründend zu wirken vermag (Entscheidungsabdruck S. 5f.). Vorliegend verhält es sich jedoch grundlegend anders. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin war die Asylberechtigung ihres Vaters vom Bundesamt noch nicht widerrufen, sondern das Verwaltungsverfahren lediglich eingeleitet. Zum anderen macht die Klägerin keinen Anspruch auf Einbürgerung geltend, sondern will lediglich den kraft Gesetzes erfolgten Erwerb ihrer deutschen Staatsangehörigkeit festgestellt wissen. Schließlich geht es vorliegend auch um ihre Rechte und nicht um Rechte ihres Vaters.

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Gefahr, dass Asylberechtigte die möglichen Folgen eines Widerrufsverfahrens durch die Geburt eines deutschen Abkömmlings "unterlaufen" können, und dass dieser Gefahr der Wille des Gesetzgebers entgegenstehe, verfängt nicht. Mit der Regelung des § 4 Abs. 3 StAG soll nach den Gesetzesmotiven den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit frühzeitig zuerkannt werden, um ihre Integration in die deutschen Lebensverhältnisse zu verbessern (BT-Drs. 14/533, S. 14). Im Vordergrund steht danach nicht die Integration der Eltern, sondern die des Kindes. Ist - wie hier - zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes völlig ungewiss, ob die Asylberechtigung des Vaters widerrufen und bejahendenfalls der Aufenthalt der Eltern später beendet werden kann, steht auch nach dem Willen des Gesetzgebers das Integrationsbemühen im Vordergrund und nicht dessen Beendigung.