VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 23.08.2005 - 2 A 1478/03 - asyl.net: M7386
https://www.asyl.net/rsdb/M7386
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, Glaubwürdigkeit, Inhaftierung, Sicherheitskräfte, Misshandlungen, gewöhnlicher Aufenthalt, Einreiseverbot
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Hingegen liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG beim Kläger zu 1) vor. Der Kläger zu 1) hat in der erforderlichen Weise glaubhaft gemacht, dass er Syrien aus Furcht vor unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen hat und ihm solche Verfolgungsmaßnahmen im Falle seiner Rückkehr in die Heimat drohen.

Da der Kläger zu 1) danach vor seiner Ausreise aus Syrien in Gestalt der erlittenen Schussverletzung, der einmonatigen Inhaftierung und der dabei erlittenen Misshandlungen Maßnahmen asylerheblicher Intensität ausgesetzt war, die ersichtlich anknüpften an seine kurdische Volkszugehörigkeit und eine von der offiziellen Politik abweichende Überzeugung, nämlich den Verdacht der Sicherheitskräfte, dass er kurdische Gruppen unterstütze und in seiner Bäckerei Versammlungen abhalte, gilt für ihn der sogenannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Danach ist der Kläger zu 1) bereits abschiebungsschutzberechtigt, weil er bei einer Rückkehr nach Syrien vor künftiger politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher wäre, erneute politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen mithin nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können. Dies ist hier vor allem im Hinblick darauf zu bejahen, dass er im Rahmen der Inhaftierung und Misshandlung schließlich ein schriftliches Geständnis unterzeichnet hat, dass - offensichtlich regimefeindliche - Schriftstücke, die der Sicherheitsdienst bei ihm hinterlegt und dann dort gefunden hat, ihm gehörten. Er ist nach seinen Angaben während der Haft auch zur künftigen Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften verpflichtet worden und sollte Informationen darüber liefern, wo und wann sich welche Personen treffen, wie sie heißen und zu welcher Partei sie gehören. Statt dieses zu tun, ist er dann aus Syrien geflohen. Vor diesem Hintergrund kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr nach Syrien überprüft und erneut asylerheblichen Maßnahmen unterzogen würde.

Der Feststellung eines bei ihm vorliegenden Abschiebungshindernisses steht auch nicht entgegen, dass der Kläger zu 1) von den syrischen Behörden nach seinen Angaben nicht als syrischer Staatsangehöriger sondern als Ausländer (Ajnabi) angesehen wird. Zwar wird überwiegend ein Anspruch auf Asyl oder Abschiebungsschutz unabhängig von in der Heimat drohenden politischen Verfolgungsmaßnahmen dann nicht gewährt, wenn der Betroffene staatenlos ist und der Gruppe, zu der der Betroffene gehört, die Wiedereinreise vom Heimatstaat verweigert wird. Es lässt sich aber bezüglich der Gruppe der staatenlosen Kurden aus Syrien, die im Ausländerregister registriert sind, nicht mit Gültigkeit für jeden Einzelfall feststellen, ob eine Wiedereinreise vom syrischen Staat ermöglicht wird oder nicht. In der Vergangenheit ist in Einzelfällen auch illegal ausgereisten staatenlosen Kurden wie dem Kläger zu 1) die Wiedereinreise in das Herkunftsland Syrien gestattet worden (vgl. Nds. OVG, B. v. 28.08.2004 - 2 PA 1183/04 -; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig v. 24.08.2004). Dem entspricht im Übrigen auch die Praxis der Kammer, im Rahmen ausländerrechtlicher Verfahren vollziehbar ausreisepflichtiger staatenloser Kurden aus Syrien zu verlangen, dass sie wenigstens einen - ggf. auch erfolglosen - Versuch unternehmen, bei der syrischen Botschaft Reisepapiere für die Rückkehr nach Syrien zu erhalten.