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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 15.06.2005 - 18 K 3063/04.A - asyl.net: M7481
https://www.asyl.net/rsdb/M7481
Leitsatz:

Eine Ausnahme von § 28 Abs. 2 AsylVfG (Ausschluss von selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen) liegt dann vor, wenn die Schaffung der Nachfluchtgründe auf einer sittlichen Überzeugung beruht, die es unzumutbar macht, auf ihre Betätigung zu verzichten (etwa Apostasie).

 

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Kommunistische Arbeiterpartei, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Ausnahmefall, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 28 Abs. 2; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 2
Auszüge:

Eine Ausnahme von § 28 Abs. 2 AsylVfG (Ausschluss von selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen) liegt dann vor, wenn die Schaffung der Nachfluchtgründe auf einer sittlichen Überzeugung beruht, die es unzumutbar macht, auf ihre Betätigung zu verzichten (etwa Apostasie).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger zu 1. hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, die mit denjenigen des Art. 16a GG im wesentlichen deckungsgleich sind.

Der Berücksichtigung der Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei steht § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegen.

Nach dieser Bestimmung kann die Feststellung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG, auch wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens im übrigen vorliegen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt, und sein Vorbringen auf Umstände stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind. So ist es hier.

Der Kläger zu 1. hat seine exilpolitischen Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei, für die die Voraussetzungen der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen dürften, seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung zufolge im Mai oder Juni 2004, mithin nach Abschluss der vorangegangenen Asylverfahren aufgenommen. Diese Umstände sind auch erst zu diesem Zeitpunkt entstanden. Ausgeschlossen vom sog. Kleinen Asyl im Folgeverfahren sollen nach dem Willen des Gesetzgebers selbst geschaffene Nachfluchtgründe sein (BT-Drucks. 15/420, S. 109, 110). Das ist hier der Fall.

Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass Aktivitäten an eine bereits im Heimatland erkennbar betätigte regimefeindliche Überzeugung (vgl. § 28 Abs. 1 AsylVfG) anknüpfen.

Stellen demnach die Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei selbstgeschaffene subjektive Nachfluchtgründe dar, die zudem erst nach Abschluss der abgeschlossenen Vorverfahren entstanden sind, so kommt die begehrte Feststellung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG nach der von § 28 Abs. 2 AufenthG aufgestellten Regel grundsätzlich nicht in Betracht. Da diese Bestimmung den Personenkreis vom sog. Kleinen Asyl ausschließen will, der nach der Erfolglosigkeit vorangegangener Verfahren um jeden Preis Anerkennungsgründe erzwingen will (vgl. GK-AsylVfG, Stand Dezember 2004, § 28 RN 50), wäre eine Abweichung von der aufgestellten Regel nur gerechtfertigt, wenn ein besonders gelagerter Einzelfall vorläge, den der Gesetzgeber nicht im Auge hatte. Dies könnte auf denjenigen zutreffen, der glaubhaft macht, dass den selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen eine sittliche Überzeugung zugrunde liegt (vgl. GK-AsylVfG, aa0, RN 48), die, wie es auch in Fällen der Apostasie erforderlich ist, einen Verzicht auf hiermit einhergehende, nach außen gerichtete Aktivitäten unzumutbar macht. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger zu 1. seine Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei auf Grund einer zwingenden inneren Überzeugung aufgenommen hat, und ihm ein Verzicht hierauf unzumutbar gewesen wäre.

Der Hilfsantrag des Klägers zu 1. hat indessen Erfolg. Er hat Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Zunächst liegen insoweit die Voraussetzungen der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 53 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor.

Demgegenüber liegen die Voraussetzungen des § 51 VwVfG hinsichtlich der exilpolitischen Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei vor. Diese erfüllen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Auch scheidet ihre Berücksichtigung im vorliegenden Verfahren nicht wegen der Absätze 2 und 3 dieser Bestimmung aus, weil der Kläger zu 1. diese Tätigkeiten seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung zufolge erst nach Abschluss des ersten Folgeverfahrens aufgenommen hat.

Der auf diese Aktivitäten gestützte Antrag des Klägers zu 1. auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG ist auch begründet.

Allerdings reicht für die Annahme der erforderlichen Gefährdung nicht jede zur Schau getragene Kritik aus, weil auch den iranischen Sicherheitsbehörden, die exilpolitische Aktivitäten regelmäßig ausspähen, bekannt ist, dass die Aufnahme exilpolitischer Tätigkeiten häufig nur der Verschaffung vermeintlicher Vorteile für das Asylverfahren dient. Erforderlich ist vielmehr ein exponiertes Auftreten für eine regimefeindliche Organisation, das den Verdacht begründet, es könne sich um einen ernstzunehmenden Gegner des Mullah-Regimes handeln. Diese Voraussetzung ist nach den aufgezeigten Kriterien und der in jedem Einzelfall erforderlichen wertenden Betrachtung in der Person des Klägers zu 1. erfüllt. In der Gesamtschau dürften seine Aktivitäten für die Kommunistische Arbeiterpartei über die hinlänglich bekannten, aus der Sicht der iranischen Sicherheitsbehörden und auch rechtlich unerheblichen Unterstützungshandlungen hinausgehen. Sie sind vielschichtig und von großer Häufigkeit geprägt, wie sich insbesondere aus den Schriftsätzen der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Kläger im vorliegenden Verfahren ergibt. Allerdings gilt grundsätzlich, dass es nicht auf die Menge der Aktivitäten, sondern vielmehr auf deren Qualität ankommt, weil nur derjenige, der - wie dargelegt - sich als ernsthafte Gefahr für das Fortbestehen des Mullah-Regimes erweist, auch einer Rückkehrgefährdung unterliegt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Voraussetzung im Falle des Klägers zu 1. erfüllt ist. Seine Tätigkeiten beschränken sich nicht auf Unterstützungshandlungen. Denn er gehört darüber hinaus zu den für die Sektion Ruhrgebiet Verantwortlichen, der Veranstaltungen organisiert und damit deren Zustandekommen ermöglicht. Zudem ist er in der Öffentlichkeit als Redner aufgetreten, und sein Name und seine Zugehörigkeit zur Kommunistischen Arbeiterpartei sind aus den in dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 20. April und 3. Juni 2005 Aktivitäten bekannt.