VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 01.09.2005 - 12 A 294/03 - asyl.net: M7511
https://www.asyl.net/rsdb/M7511
Leitsatz:

Keine inländische Fluchtalternative in Russland für Tschetschenen wegen Übergriffen der Sicherheitskräfte und wegen Verweigerung der Registrierung.

 

Schlagwörter: Russland, Tschetschenien, Tschetschenen, Sippenhaft, Sicherheitskräfte, interne Fluchtalternative, Inguschetien (A), Versorgungslage, Flüchtlingslager, Verfolgungssicherheit, Haft, Freizügigkeit, Registrierung, Familienabschiebungsschutz
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 60 Abs. 4
Auszüge:

Keine inländische Fluchtalternative in Russland für Tschetschenen wegen Übergriffen der Sicherheitskräfte und wegen Verweigerung der Registrierung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Sie hat einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation.

Die Annahme einer Vorverfolgung scheitert auch nicht daran, dass zum Zeitpunkt der Flucht eine inländische Fluchtalternative bestanden hätte.

Zunächst ist eine solche inländische Fluchtalternative in den Flüchtlingslagern der benachbarten Republik Inguschetien zu verneinen. Nach Angaben des UNHCR befanden sich zu Beginn des Jahres 2001 immer noch rund 158.000 Flüchtlinge aus Tschetschenien in Flüchtlingslagern in Inguschetien. Dort herrschen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen katastrophale Zustände: Zahlreiche Krankheiten sind ausgebrochen, es fehlen Nahrungsmittel, Medikamente und der Zugang zu frischem Wasser (GbV, Stellungnahme zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge in der Russischen Föderation, Juli 2001).

Auch in den übrigen Gebieten der russischen Föderation ist das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative zu verneinen.

Zusammenfassend lässt sich für den Zeitraum 2000, 2001 feststellen, dass zahlreiche unmittelbar staatliche Willkürmaßnahmen wie wiederholte Festnahmen und Inhaftierungen, verstärkte Personenkontrollen und Übergriffe staatlicher Organe wegen bestehender Illegalität bei gleichzeitiger Verweigerung des legalen Aufenthaltsstatus, durch administrative Beschränkungen hervorgerufene, gezielte wirtschaftliche Verelendung dieser Bevölkerungsgruppe und der vom russischen Staat gebilligten und geförderten massiven Stimmung von Ausländerhass, insbesondere gegenüber Tschetschenen in der Zusammenschau objektive Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Tschetschenen landesweit in der Russischen Föderation von asylrechtsrelevanten Übergriffen nicht nur als theoretische Möglichkeit betroffen sind (so im Ergebnis bezüglich dieser landesweit bestehenden Gefahr auch: GfbV, Gutachten vom Juli 2001 an BAFl, Informationszentrum Asyl, Russische Föderation, Der Tschetschenienkonflikt, Vortrag des Moskau-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung Thomas Avenarius).

An dieser Lageeinschätzung hat sich bis zum heutigen Zeitpunkt nach Auffassung des Gerichts nichts wesentliches geändert. Eine hinreichende Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung besteht für Flüchtlinge aus Tschetschenien weder in Tschetschenien selbst noch in anderen Gebieten der Russischen Föderation.