VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 17.08.2005 - AN 9 K 03.31800 - asyl.net: M7512
https://www.asyl.net/rsdb/M7512
Leitsatz:

Beachtliche Verfolgungsgefahr für Kurden aus Syrien, den die Sicherheitskräfte nach Teilnahme an Demonstration der PKK zurechnen; striktes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen PKK.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Demonstrationen, Haft, PKK, Glaubwürdigkeit, Sippenhaft, Familienabschiebungsschutz
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 4
Auszüge:

Beachtliche Verfolgungsgefahr für Kurden aus Syrien, den die Sicherheitskräfte nach Teilnahme an Demonstration der PKK zurechnen; striktes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen PKK.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Soweit die Klage darauf gerichtet ist, beim Kläger zu 1) das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, ist die Klage begründet.

Das Gericht glaubt dem Kläger zu 1) deshalb, dass er am 30. Juni 2003 an der Demonstration in Aleppo nicht nur teilgenommen hat, sondern bei dieser Demonstration auch durch selbstverfasste Lieder und Texte seine politische Ansicht zum Ausdruck gebracht hat und sich seiner umgehenden Inhaftierung nur durch die Flucht entziehen konnte. Angesichts der Verhältnisse in Syrien ist es glaubwürdig und wurde auch vom Deutschen Orient-Institut in seiner Auskunft so bestätigt, dass es bei dieser Demonstration zu einem Eingreifen der Polizei und Verhaftungen gekommen ist. Der Kläger hat auch glaubwürdig ausgeführt, dass nach dieser Demonstration seitens der Sicherheitskräfte nach ihm gesucht worden ist.

Da eine Inhaftierung des Klägers zu 1) durch die syrischen Sicherheitskräfte unmittelbar bevorstand und er sich dieser Festnahme nur durch die sofortige Flucht entziehen konnte, befand er sich vor seiner Ausreise nicht lediglich in einer so genannten latenten Gefährdungslage, sondern in einer Situation, in der ihm politische Verfolgung unmittelbar drohte. Ihm muss deshalb der für Vorverfolgte geltende herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu Gute kommen.

Nach den zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Erkenntnisquellen hinsichtlich der Gegebenheiten in Syrien und insbesondere der zum Verfahren eingeholten Auskunft des Deutschen Orient-Institutes ist es so, dass für eine erneute Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht. Dadurch, dass der Kläger zu 1) an einer von der PKK zumindest mitorganisierten Demonstration teilgenommen und durch sein Verhalten bei dieser Demonstration auf sich aufmerksam gemacht hat, muss er damit rechnen, dem Spektrum der PKK zugerechnet zu werden. Das Deutsche Orient-Institut weist darauf hin, dass in Syrien seit der Vertreibung der PKK diese äußerst unwillkommen ist und die Sicherheitsorgane strikt darauf achten, dass sich die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen nicht wiederum organisatorisch in Syrien festsetzen oder verbreiten. Der Kläger zu 1) muss deshalb mit intensiven Verhören unter der Anwendung von Folter sowie ggf. auch mit längerer Inhaftierung und Verurteilung zu mehrjährigen Gefängnisstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen rechnen.

2. Die Klage ist jedoch insoweit unbegründet, als sie darauf gerichtet ist, bei der Klägerin zu 2) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Zwar sind beim Kläger zu 1) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen. Einen Anspruch auf Familienabschiebungsschutz gemäß § 26 Abs. 4 AsylVfG könnte die Klägerin zu 2) hieraus jedoch erst dann ableiten, wenn die Entscheidung betreffend des Klägers zu 1) unanfechtbar geworden ist. Denn nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 4 AsylVfG ist zwingende Voraussetzung für die Feststellung des Familienabschiebungsschutzes, dass die Entscheidung bezüglich des anderen Ehegatten unanfechtbar ist. Vor Unanfechtbarkeit der Entscheidung bezüglich des Klägers zu 1) ist deshalb die Klage der Klägerin zu 2) (noch) unbegründet.