VG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 26.09.2005 - 4 K 201/05.A - asyl.net: M7515
https://www.asyl.net/rsdb/M7515
Leitsatz:
Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Situation bei Rückkehr, LTTE, exilpolitische Betätigung, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Wiederaufgreifen, Folter, Sicherheitskräfte, Passlosigkeit, Internet, Medienberichterstattung, Internationaler Menschenrechtsverein Bremen, Überwachung im Aufnahmeland, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist abzuweisen, soweit der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt (I.). Wegen seiner exilpolitischen Nachfluchtaktivitäten liegen bei ihm aber Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vor (II.).

I. Ein Asylfolgeantrag führt gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG nur dann zu einem weiteren Asylverfahren, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG vorliegen.

Soweit der Kläger auf die allgemeine Gefährdung von Tamilen bei Rückkehr und Aufenthalt in Sri Lanka sowie seine individuellen Schwierigkeiten bei Wiedereinreise nach Sri Lanka und bei Reisen innerhalb des Landes hinweist und sich hierzu auf näher bezeichnete Auskünfte und Berichte bezieht, kann dies - unabhängig von der Frage, ob insoweit die formellen Voraussetzungen nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG erfüllt sind - jedenfalls in der Sache nicht zum Wiederaufgreifen des Verfahrens führen.

Die Kammer hat in ihrem in der Erkenntnismittelliste aufgeführten Urteil vom 26.01.2004 (4 K 1626/02) näher dargelegt, dass nach ihrer Einschätzung zum Entscheidungszeitpunkt die tamilischen Bewohner Sri Lankas und tamilische Europarückkehrer gleich welchen Geschlechts und Alters in Sri Lanka grundsätzlich vor einer politischen Verfolgung hinreichend sicher waren. Die Auskunftslage liefere keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass an asylrechtlich relevante Merkmale anknüpfende politische Verfolgungsmaßnahmen als nicht ganz entfernt erschienen und damit als durchaus "reale Möglichkeit" anzusehen seien. Im Einzelfall möge die Gefährdungsprognose dagegen ungünstiger ausfallen, wenn gegen eine Person der konkrete Verdacht bestehe, im Rahmen seiner LTTE-Aktivitäten schwere Straftaten begangen zu haben, oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass bei den Sicherheitsbehörden ein Interesse bestehen könnte, sich über die betroffene Person Zugriff auf einen gesuchten LTTE-Straftäter zu verschaffen.

Auch wenn für den Kläger nach Ansicht der Kammer wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten inzwischen aus individuellen Anknüpfungspunkten eine ungünstigere Gefährdungsprognose zu treffen ist (dazu unten II.) kann dies nicht zu der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 1 AufenthG führen. Dies folgt aus § 28 Abs. 2 AsylVfG.

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG n. F. kann in dem Fall, dass der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und er sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die (erst) nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind, und im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen, in diesem in der Regel die Feststellung, dass ihm die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden. Dabei sind Umstände i.S. des § 28 Abs. 1 AsylVfG solche, die der Ausländer nach Verlassen seines Herkunftsstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung.

Mit der Neuregelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. knüpft der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "risikolosen Verfolgungsprovokation" an (vgl. BVerfG, B. v. 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51). In der Gesetzesbegründung heißt es: "Nach der bisherigen Fassung des § 28 AsylVfG wird ein Ausländer regelmäßig nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn er erst nach seiner Flucht Gründe aus eigenem Entschluss geschaffen hat, die eine Verfolgung auslösen. In diesen Fällen wird ihm aber bislang Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ("Kleines Asyl") zuerkannt, da eine entsprechende Regelung für das Kleine Asyl fehlt. Mit der Neuregelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG wird künftig auch die Zuerkennung des sog. "Kleinen Asyls" regelmäßig ausgeschlossen, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages ein Folgeverfahren auf selbstgeschaffene Nachfluchtgründe gestützt wird. Damit wird der bestehende Anreiz genommen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren auf Grund neugeschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen. ... Im Falle konkreter Gefahren kann der erforderliche Schutz im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt ... gewährleistet werden, ohne den aufenthaltsrechtlichen Status zu verfestigen" (BR-Drs. 22/03).

Dass der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 2 AsylVfG erfüllt, ist offensichtlich.

II. Hinsichtlich des Hilfsantrages ist die Klage begründet.

In Anwendung der oben dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall besteht für den Kläger die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er nach einer Rückkehr in sein Heimatland wegen seiner - exponierten - exilpolitischen Betätigung in Deutschland dort durch staatliche Organe mittels schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter unmenschlich behandelt zu werden.

Die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger aufgrund des Medienechos, das sein Fall gefunden hat, und aufgrund seiner Passlosigkeit, bei Rückkehr in sein Heimatland in besonderer Weise gefährdet ist, dass er mit intensivem Verhör und anschließender Inhaftierung überzogen werden würde, was nach den oben dargestellten Verhältnissen in Sri Lanka auch die hohe Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidriger Behandlung mit sich bringt. Im Rahmen einer Gesamtschau kommt das Gericht daher zum Ergebnis, dass dem Kläger Abschiebungsschutz zu gewähren ist.