§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen schwerer psychischer Erkrankung und Suizidgefahr; keine Behandelbarkeit im Irak, unter anderem weil die ständige Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, die Symptome erheblich verstärken würde.
§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen schwerer psychischer Erkrankung und Suizidgefahr; keine Behandelbarkeit im Irak, unter anderem weil die ständige Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, die Symptome erheblich verstärken würde.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), der inhaltlich die Regelung in § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG 1990) mitumfasst (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und .Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BTDrucks. 15/420), darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung allein an das Geschlecht anknüpft.
In § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird aber im Unterschied zum bisherigen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 ausdrücklich auf das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Konvention, BGBl. 1953 II, S. 559) Bezug genommen ("in Anwendung des Abkommens ..."). Die Sätze 3 bis 5 des § 60 Abs. 1 AufenthG verdeutlichen, dass der durch das Abkommen vermittelte Schutz innerstaatlich nunmehr auf Fälle von nichtstaatlicher Verfolgung erstreckt worden ist, so dass sich Deutschland insoweit dieser Auffassung der überwiegenden Zahl der Staaten in der europäischen Union angeschlossen hat (Begründung des Gesetzesentwurfs a. a. O.).
Für den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG gelten demgemäß nicht uneingeschränkt die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung des Art. 16 a Abs. 1 GG, weil nach § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, ohne dass es auf die Existenz einer staatlichen Herrschaftsmacht und damit auch auf die von der bisherigen Zurechnungslehre (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 15/96 -, BVerwGE 104, 254, 256 f.; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 28. April 2005 - 5 K 1587/03.A -, Juris) geforderte grundsätzliche Schutzfähigkeit des Staates ankommt. Damit geht der Begriff der Verfolgung in § 60 Abs. 1 AufenthG über den Verfolgungsbegriff in Art. 16 a GG hinaus. Dies unterscheidet § 60 Abs. 1 AufenthG von § 51 AuslG 1990.
Nach Auffassung der Kammer können nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG Organisationen ohne Gebietsgewalt, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein, von denen eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeht.
§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG stimmt in wesentlichen Teilen mit Art. 6 der Richtlinie des Rates 2004/83/EG vom 29.04.2004 überein. Diese Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) wurde am 30.09.2004 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist nach Art. 39 am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung in Kraft getreten (ABl. 2004 L Nr. 304, S. 12). Die Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist bereits jetzt im Wege gemeinschaftskonformer Auslegung gefordert. Die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie läuft zwar erst am 10.10.2006 ab (Art. 38 Abs. 1). Sie ist aber insoweit teilweise in Gestalt des Aufenthaltsgesetzes in nationales deutsches Recht umgesetzt worden (vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074104.A -, Juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 -, Juris).
Weder das Aufenthaltsgesetz noch die Qualifikationsrichtlinie enthalten eine nähere Bestimmung des Begriffs des nichtstaatlichen Akteurs (vgl. andererseits Art. 2 der Qualifikationsrichtlinie). Aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz.4 lit. c AufenthG und auch aus der Gegenüberstellung mit lit. a, wonach die Verfolgung von dem Staat ausgehen kann, folgt aber, dass der nichtstaatliche Akteur der Handelnde ist, der nicht über staatlichen Strukturen verfügt. Aus der Gegenüberstellung von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG und lit. b folgt des Weiteren, dass nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG die Handelnden sind, die nicht Parteien oder Organisationen sind, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen. Allerdings sind Parteien oder Organisationen in Abgrenzung zu lit. a gleichfalls Akteure ohne staatliche Strukturen, wenngleich sie feste Ordnungsstrukturen aufweisen oder gar staatsähnlich verfasst sein können. Anerkennt § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG darüber hinaus ausdrücklich eine Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren, so zeigt dies, dass sonstige nichtstaatliche Akteure gemeint sind, die keinen Organisationsgrad aufweisen, wie er für Parteien oder Organisationen üblich ist, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen. Nichtstaatliche Akteure können daher sonstige Organisationen, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein. Es ist danach für eine Bejahung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG nicht erforderlich, dass die Verfolgung von Gruppen ausgeht, die dem Staat oder den Parteien oder Organisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG ähnlich sind. Würde man dies verlangen (so VG Regensburg, Urteil vom 24. Januar 2005 - RN 8 K 04.30779), so wäre § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG außerdem weitgehend überflüssig. Entsprechende Sachverhalte könnten unter lit. b gefasst werden, indem sie zumindest dem unbestimmten Begriff der Organisation zugeordnet werden.
Eine Bejahung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG kommt nicht in Betracht, weil objektive Anhaltspunkte eine Verfolgung des Klägers bei seiner Rückkehr in den Irak nicht als möglich erscheinen lassen.
Die von dem Kläger befürchtete Verfolgung durch islamistische Aktivisten sieht das Gericht nicht als hinreichend wahrscheinlich an.
Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindemisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind gegeben.
Es besteht für den Kläger nach Einschätzung des Gutachters Dr. ... eine beachtliche Suizidgefahr bei Rückkehr in den Irak, die sich aufgrund der Rückführung an den Ort des damaligen Verfolgungsgeschehens ergeben würde. Es kommt gefahrenerhöhend hinzu, dass eine hinreichende medizinische Behandlung des Klägers zurzeit im Irak nicht möglich ist. Die medizinische Versorgung im Irak ist nämlich nach wie vor angespannt (vgl. Bericht des. Auswärtigen Amts vom 10.06.2005 über die asyl- und. abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak).
So ist nach Auskunft der schweizerischen Flüchtlingshilfe zu psychologischen und psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten im Irak vom 23. Mai 2005 die medizinische Versorgung von psychisch Kranken im Irak problematisch und die Versorgung mit Medikamenten unregelmäßig. Zurzeit stehen im Irak weder ausreichende sächliche Mittel zur psychiatrischen und psychologischen Behandlung noch ausreichendes Fachpersonal angesichts der Vielzahl von behandlungsbedürftigen Menschen zur Verfügung. Selbst wenn es dem Kläger gelänge, sich im Irak gegen seine Krankheit behandeln zu lassen, spräche gegen den Erfolg der Therapie die gegenwärtige katastrophale Sicherheitslage im Irak, die der Beklagten auch hinreichend bekannt ist (vgl. dazu näher VG Köln, Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A -, Juris).
Gegenwärtig muss nämlich jeder, der sich im Irak aufhält, jederzeit ernsthaft damit rechnen, Opfer eines willkürlichen terroristischen Anschlags zu werden. Auch diese katastrophalen Bedingungen würden nach Einschätzung des Gutachters die depressive Symptomatik des Klägers im Zusammenhang mit einer Abschiebung erheblich verstärken.
Schließlich wird die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gesperrt. Eine allgemeine Gefahr im Sinne der letztgenannten Regelung liegt nur vor, wenn eine größere Gruppe von Personen aus dem Abschiebezielstaat derselben Gefahr ausgesetzt ist und diese deshalb nur aufgrund einer politischen Leitentscheidung gemäß § 60a AufenthG berücksichtigt werden darf (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 327, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 -, DVBl. 1996, S. 1257, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 258.Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1, 4 f.).
So liegt es hier nicht. Hier würde die befürchtete Gesundheitsgefahr dem Kläger individuell wegen der bei ihm bestehenden Dispositionen drohen, mag seine Krankheit auch nicht singulär sein. Die an schwersten depressiven Störungen leidenden Menschen sind keine "Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört" im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.