VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 30.06.2005 - A 4 K 10648/04 - asyl.net: M7553
https://www.asyl.net/rsdb/M7553
Leitsatz:
Schlagwörter: Georgien, Folgeantrag, Glaubwürdigkeit, Strafverfahren, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Depression, Schizophrenie, Verfolgungsangst, Suizidgefahr, Finanzierbarkeit
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Der Klägerin droht aber im Falle ihrer Abschiebung eine erhebliche und konkrete Gesundheitsgefahr (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).

Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben in diesem Sinne kann auch dadurch begründet werden, dass sich der Gesundheitszustand bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht gewährleistet ist (BVerwG - Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 BVerwGE 105, 383 m.w.N.). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1/02 -, DVBl 2003, 463ff).

Nach diesen Maßstäben ist in der Person der Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG festzustellen. Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass ihr für den Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland eine erhebliche konkrete Gefahr in Gestalt einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes droht, weil nicht gewährleistet ist, dass sie in hinreichender Weise behandelt werden kann. Die Klägerin leidet unter einer behandlungsbedürftigen depressiven schizoaffektiven Psychose und einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen.

Ausweislich der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen des hier behandelnden Facharztes sind zwar derzeit unter überwachter Medikation stabile Verhältnisse erreicht. Bei einer Unterbrechung oder Beendigung der notwendigen neuroleptischen Behandlung ist aber für das Gericht nachvollziehbar mit einer massiven Verschlechterung bis hin zu einer Erhöhung der Suizidwahrscheinlichkeit zu rechnen (vgl. das Attest von Dr. ... vom 01.06.2005).

Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Klägerin bereits in Georgien im Hinblick auf ihre Erkrankung behandelt wurde. Die dort zur Verfügung stehenden, eingesetzten Mittel waren allerdings zur Behandlung der Klägerin ausweislich der amtsärztlichen Stellungnahme vom 04.10.2004 nicht geeignet.

Unabhängig davon, ob in Georgien für die Behandlung der Klägerin andere, geeignete Medikamente Verwendung finden, bei deren Verabreichung eine ohne medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung zu erwartende erhebliche Zunahme der Symptome und eine erhöhte Suizidwahrscheinlichkeit abgewendet werden könnte, ist das Gericht davon überzeugt, dass diese notwendige Behandlung und Medikation der Klägerin im konkreten Fall jedenfalls aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht zur Verfügung steht. Die Klägerin ist aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage, sich die finanziellen Mittel selbst zu beschaffen. Auch mit einer Unterstützung durch die Familie kann die Klägerin nach ihren für das Gericht glaubhaften Ausführungen nicht (mehr) rechnen.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin in Georgien die erforderliche Behandlung kostenlos zur Verfügung steht. Das georgische Gesundheitssystem befindet sich nach wie vor in einer schwierigen Lage. Sie ist durch ständig erweiterte Behandlungsmöglichkeiten gekennzeichnet, die aber häufig nur gegen kostendeckende Bezahlung erhältlich ist. Eine kostenlose medizinische Behandlung ist nur in bestimmten Fällen (u.a. psychiatrische Behandlung in schweren Fällen) möglich. Auch die Finanzierung dieser kostenlosen Behandlungsprogramme ist angesichts der großen Finanzierungsprobleme des Staates nicht immer gesichert (Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Mai 2005)). Nach einer weiteren Auskunft der Regierung von Oberbayern - Zentrale Rückführungsstelle Südbayern - vom 12.01.2005 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht ist die Behandlung einer mittelgradigen depressiven Episode zwar sowohl ambulant als auch stationär kostenlos. Die Patienten werden aber lediglich beraten und bekommen Medikamente in kleinen Mengen, die für einen befriedigenden Effekt unzureichend sind. Die Patienten werden daher sowohl in ambulanter wie auch stationärer Behandlung gezwungen, sich die Medikamente aus kommerziellen Apotheken zu besorgen. Auch der weiteren Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Tiflis vom 26.07.2004 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen ist zu entnehmen, dass die Patienten auch bei Kostenfreiheit der Behandlung in der Regel für die Medikamente zum großen Teil selbst aufkommen müssen, da die Kliniken faktisch über nicht ausreichende Medikamente verfügen.