VG Gera

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Zitieren als:
VG Gera, Urteil vom 20.09.2005 - 4 K 20059/02 GE - asyl.net: M7557
https://www.asyl.net/rsdb/M7557
Leitsatz:

1. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es ausschließlich Sache des erstinstanzlichen Richters, sich die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen oder der Wahrheit des Klägervortrages zu verschaffen.

2. Auch nach Durchführung der Präsidentschaftswahlen am 24. April 2005 besteht für nach Togo zurückkehrende Asylantragsteller nicht die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer politischer Verfolgung zu werden.

3. Allein die Diagnose einer posttraumatischen Symptomatik und einer schweren Depression rechtfertigt ohne ausdrückliche Feststellung weiterer Umstände nicht die Annahme, dass ein Asylbewerber bei Rückkehr nach Togo in eine derart existenzielle Gesundheitsgefahr gerät, die die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigt. Allein die Vermutung, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtern könnte, reicht hierbei nicht aus.

 

Schlagwörter: Togo, posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Glaubwürdigkeit, fachärztliches Gutachten, Sachverständigengutachten, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Suizidgefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

1. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es ausschließlich Sache des erstinstanzlichen Richters, sich die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen oder der Wahrheit des Klägervortrages zu verschaffen.

2. Auch nach Durchführung der Präsidentschaftswahlen am 24. April 2005 besteht für nach Togo zurückkehrende Asylantragsteller nicht die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer politischer Verfolgung zu werden.

3. Allein die Diagnose einer posttraumatischen Symptomatik und einer schweren Depression rechtfertigt ohne ausdrückliche Feststellung weiterer Umstände nicht die Annahme, dass ein Asylbewerber bei Rückkehr nach Togo in eine derart existenzielle Gesundheitsgefahr gerät, die die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigt. Allein die Vermutung, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtern könnte, reicht hierbei nicht aus.

(Amtliche Leitsätze)

 

Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht zu Gunsten des Klägers auch nicht im Hinblick auf ein Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 1 AufenthG.

An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger, ausweislich des in diesem Verfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Herrn Dipl.-Psych. P ..., an einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (1CD-10:F32.3) sowie einer posttraumatischen Symptomatik leidet. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es ausschließlich Sache des Gerichts ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrages zu verschaffen. Die Feststellung der Wahrheit von Angaben eines Asylbewerbers oder der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen unterliegt als solche nicht dem Sachverständigenbeweis (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Februar 2005, 1 B 10/05, zitiert nach Juris). Insoweit ergeben sich für das Gericht auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger an den genannten psychischen Erkrankungen leidet, keine Anhaltspunkte dafür, nun zu einer anderen Einschätzung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers im Asylverfahren zu gelangen. Eine Beeinflussung des Aussageverhaltens des Klägers auf Grund seiner schweren Depression und der bestehenden posttraumatischen Symptomatik ist für das Gericht nicht ersichtlich.

Auch auf Grund der aktuellen Entwicklung in Togo kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger nunmehr wegen der erfolgten Asylantragstellung im Gegensatz zu der bisherigen Einschätzung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Diese zeitweilige Zuspitzung der Situation hat sich auf die Behandlung von zurückkehrenden Asylbewerbern nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes nicht ausgewirkt. Ausweislich des Lageberichtes vom 15. Juli 2005 des Auswärtigen Amtes sind die togoischen Behörden nach wie vor um eine korrekte Behandlung der Rückkehrer bemüht. Diese Feststellungen des Auswärtigen Amtes beruhen auch auf tatsächlichen Erfahrungen. Insoweit ist auf die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 22. Juni 2005 an das Verwaltungsgericht Gera zu verweisen, wonach seit den Präsidentschaftswahlen in drei Fällen Abschiebungen durchgeführt wurden und festgestellt wurde, dass die Rückkehrerbehandlung durch den Regierungswechsel nicht beeinflusst wurde. Danach werden Rückkehrer, sofern sie keinen Reisepass vorlegen können, über Nacht auf dem Flughafen festgehalten und am Folgetag ausführlich befragt. Nach erfolgter Identifizierung werden sie in der Regel am folgenden Tag auf freien Fuß gesetzt. Dieses Verfahren ist nach Auskunft der Botschaft durch Akteneinsicht nachvollziehbar. Diese Einschätzung erscheint dem Gericht auch deshalb plausibel, weil die jetzt zurückkehrenden Asylantragsteller mit Sicherheit nicht mit den Ereignissen im Umfeld der Präsidentschaftswahlen in Verbindung gebracht werden können.

Im Ergebnis steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Die Anwendung dieser Vorschrift ist in Fällen der vorliegenden Art nicht durch §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gesperrt. Voraussetzung für das Eintreten der Sperrwirkung wäre, dass es um Gefahren geht, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist. Das scheidet hier aber aus, da die hier geltend gemachte Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Heimatland von individueller Art ist, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Erkrankung des Ausländers und den ihn im Heimatland erwartenden Gegebenheiten und Zumutbarkeitserwägungen unter besonderer Prüfung des Einzelfalles zu beurteilen ist. Die Unterschiedlichkeit dieser Beurteilungskriterien bei den betreffenden ausreisepflichtigen Ausländern ist so groß und der Einzelfallbezug so stark, dass allein die Gefahr der Verschlimmerung einer psychischen Krankheit als maßgebliches Abgrenzungskriterium einer Zahl in etwa in vergleichbarer Situation sich befindenden Menschen von einer anderen Zahl von Menschen und damit für eine Gruppenbildung i.S.d. Rechtsprechung nicht ausreicht (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30. Dezember 2004, 13 A 1250/04.A zitiert nach Juris). Insoweit ergibt sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15. Juli 2005, dass zwar die medizinische Versorgung in Togo im Vergleich zu Deutschland angespannt ist, jedoch grundsätzlich psychische Erkrankungen behandelt werden können. Von daher ist es auch nicht zulässig, allgemein auf schlechtere Behandlungsmöglichkeiten abzustellen und zu sagen, dass diese eine große Anzahl von Personen betreffen. Dem steht entgegen, dass in jedem Einzelfall eine individuelle Würdigung der Gesamtumstände zu erfolgen hat. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die psychischen Erkrankungen des Klägers ein derartiges Ausmaß in seinem Heimatland Togo erreicht haben, so dass von einem Massenphänomen auszugehen wäre (wie z.B. bei einer HIV-Infektion).

Vorliegend gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit in diesem Sinne. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann gesprochen werden kann, wenn "nur" eine Heilung des gegebenen Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungszielland nicht zu erwarten ist. Der gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewährende Abschiebungsschutz soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des soziales Netzes der Bundesrepublik Deutschland und der hier verfügbaren medizinischen Hilfsmittel sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Das setzt eine existenzielle Gesundheitsgefahr voraus (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30. Dezember 2004, 13 A 1250/04.A, zitiert nach Juris). Dabei knüpft das Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG an Umstände im Abschiebungszielland an. Insoweit ist zu prüfen, ob ein Ausländer eine medizinische Versorgung benötigt, ob diese ihm im Abschiebungszielland zur Verfügung steht und ob ihm die notwendige ärztliche Behandlung aus bestimmten finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist und welche Folgen dies voraussichtlich hat.

Ausgehend hiervon besteht zum gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Togo eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existenziellen Gesundheitsgefahr zu befürchten hätte.

Obwohl ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 15. Juli 2005 die Möglichkeiten einer psychiatrischen Behandlung in der Hauptstadt Lome und in einer ca. 40 km östlich von Lome gelegenen Klinik verfügbar sind, geht das Gericht insbesondere auf Grund der finanziellen Unwägbarkeiten insoweit zu Gunsten des Klägers davon aus, dass eine fachgerechte Behandlung seiner Erkrankung in Togo nicht erfolgen kann. Auch unter dieser Prämisse lässt sich den Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung und in seinem Gutachten nicht entnehmen, dass mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Zustandes des Klägers im Falle einer Rückkehr nach Togo zu rechnen wäre. Dies gilt auch für eine ärztlich attestierte Suizidgefahr. Ist die Suizidgefahr zurückzuführen auf die psychische Belastung wegen anstehender Abschiebung oder deren Vollzug in Deutschland, so geht es bereits nicht um ein zielstaatsbezogenes, weil nicht an besondere Gegebenheiten im Heimatland anknüpfendes Abschiebungshindernis (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Dezember 2004, 13 A 1250/04.A), welches allein gegenüber dem Bundesamt geltend gemacht werden könnte. Bei der Durchführung der Abschiebung kann und ist der Selbstmordgefahr, soweit sie ernsthaft zu befürchten ist, durch geeignete Vorkehrungen und Gestaltung der Abschiebung zu begegnen. Bezieht sich die geltend gemachte Suizidgefahr dagegen auf einen Zeitraum nach Rückkehr in das Heimatland und ist sie auf Grund der dortigen Umstände nicht auszuschließen, so handelt es sich hinsichtlich des Eintritts regelmäßig um ein ungewisses und damit im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich seiner Eintrittswahrscheinlichkeit nicht annähernd greifbares und deshalb nicht konkretes Ereignis.