VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 06.09.2005 - A 7 K 31141/02 - asyl.net: M7559
https://www.asyl.net/rsdb/M7559
Leitsatz:

Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Betätigung für profilierte Regierungsgegner; die Regierung der Demokratischen Republik Konto hat großes Interesse an der exilpolitischen Szene und ist in der Lage, zumindest die Tätigkeit exponierter Regimegegner in deutschen Großstädten zu verfolgen.

 

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Einreise, Luftweg, Drittstaatenregelung, Studentenunruhen, Glaubwürdigkeit, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Mitglieder, Parteien, Journalisten, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Überwachung im Aufnahmeland, UDPS, Union pour la Démocratie et pour le Progrès Social, Zeitschriften, Geheimdienst, ANR
Normen: GG Art. 16a; AsylVfG § 26a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Betätigung für profilierte Regierungsgegner; die Regierung der Demokratischen Republik Konto hat großes Interesse an der exilpolitischen Szene und ist in der Lage, zumindest die Tätigkeit exponierter Regimegegner in deutschen Großstädten zu verfolgen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger hat exponierte exilpolitische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet, die von den Machthabern in der Demokratischen Republik Kongo wahrgenommen werden und aufgrund ihres regierungskritischen Inhalts als Bedrohung empfunden werden können. Insgesamt ist das Engagement des Klägers geeignet, ihn als für die kongolesische Auslandsaufklärung interessanten bzw. kritischen Exilpolitiker erscheinen zu lassen.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die politische Betätigung von Oppositionsparteien in der Demokratischen Republik Kongo ist ausweislich des aktuellen Lageberichtes vom 9.5.2005 trotz des liberalen Parteiengesetzes Nr. 001/2001 vom 17.5.2001 nach wie vor kritisch einzuschätzen. Zwar konnten neue Parteien gegründet werden und wurden auch ehemalige Rebellenbewegungen wie MLC und RCD-Goma als Parteien anerkannt. Die einfache Mitgliedschaft in der UDPS oder einer der Opposition angehörenden bedeutenden Parteien führt in der Regel auch nicht zu Repressionen. Den Aktivisten und regimekritischen Journalisten drohen aber weiterhin vor allem vorübergehende Inhaftierungen, bei denen die Betroffenen auch körperlich misshandelt werden. Aus den einzelnen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und von amnesty international ergibt sich, dass öffentlichkeitswirksame Aktivitäten gegen die Regierung, vor allem Demonstrationen und Pressekonferenzen, nach wie vor gewaltsam mit Verhaftungen unterbunden werden. Aktive Opposition führt in der Demokratischen Republik Kongo selbst zu politischer Verfolgung (vgl. u. a. AA v. 13.7.1998, Lagebericht des AA vom 23.11.2001, Amnesty International Länderkurzinfo vom Februar 2000). Es besteht die Gefahr der Verhaftung, Mißhandlung und Folter. Dabei läßt sich den einschlägigen Erkenntnismitteln entnehmen, dass zwar in der Demokratischen Republik Kongo - wie dargelegt - die bloße Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei und die interne Parteiarbeit keine Verfolgungsmaßnahmen auslösen. Die Gefahrenschwelle ist aber dann überschritten, wenn es sich entweder um Führungspersönlichkeiten handelt oder einzelne mit ihren politischen Aktivitäten an die Öffentlichkeit treten und damit aus der Masse der passiven Parteimitglieder heraustreten (vgl. AA. vom 13.7.1998 und vom 10.2.1999 an VG Augsburg). Ein beträchtliches Verfolgungsrisiko birgt insbesondere die Kritik an der Regierung (vgl. Institut für Afrikakunde vom 15.10.1998 an VG Sigmaringen). Insgesamt lässt sich den Stellungnahmen u.a. des Auswärtigen Amtes, des Instituts für Afrikakunde und von Amnesty International im Ergebnis insoweit übereinstimmend entnehmen, dass die Verfolgungsschwelle in der Demokratischen Republik Kongo mit regierungskritischer, politischer Aktivität in der Öffentlichkeit überschritten wird, wobei die Schwellenhöhe etwas unterschiedlich angesetzt wird. Die Schwelle zu einem beachtlichen Verfolgungsrisiko verläuft jedenfalls zwischen passiver Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei und aktiver Mitgliedschaft im Sinne öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten. Oberhalb dieser Schwelle wird eine Verfolgungsgefahr von dem gesamten vorliegenden Erkenntnismaterial bejaht. Insbesondere stehen dabei die Führungspersönlichkeiten der Oppositionsparteien wie der PALU und der UDPS im Blickfeld der kongolesischen Sicherheitskräfte (vgl. u.a. AA Lagebericht vom 5.5.2001 und vom 23.3.2000). An dieser Situation hat sich bis heute vom Grundsatz her trotz der Übergangsregierung nichts entscheidendes geändert.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien und in Anknüpfung an die Verfolgungsgefahr von Oppositionspolitikern in der Demokratischen Republik Kongo wird nach den insoweit übereinstimmenden Vorgehensweisen des Auswärtigen Amtes, des Instituts für Afrikakunde und von Amnesty International die Verfolgungsschwelle für Exilpolitiker eingeschätzt. Dabei begründen einfache Exilaktivitäten, insbesondere die, die noch nicht einmal die Öffentlichkeitsschwelle überschritten haben, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Rückkehrgefährdung. Ausweislich des Lageberichtes vom November 2001 kommt es für die Frage der Rückkehrgefährdung von Personen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt und sich dort politisch betätigt haben, maßgeblich darauf an, ob die Betätigung als ernsthafter Versuch, die kongolesische Regierung zu bekämpfen, gewertet werden könnte. Allerdings schätzt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 9.5.2005 die Überwachung der exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland durch die kongolesiche Botschaft in Bonn als nicht nennenswert ein. Insgesamt lässt sich den insoweit einschlägigen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, des Instituts für Afrikakunde und auch von Amnesty International im Ergebnis entnehmen, dass die einfache Mitgliedschaft in Auslandsorganisationen kongolesischer Oppositionsparteien oder die Teilnahme an deren Kundgebungen gegen die Regierung alleine keine Gefährdung der betreffenden Person durch die Sicherheitsdienste begründet. Gleiches gilt für die Frage der Stellung eines Asylantrages. Exilpolitiker, die sich hingegen offen als Kabila-Gegner profiliert haben, sind im Falle einer Rückkehr einem beträchtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt. Die kongolesische Regierung hegt allgemein großes Misstrauen gegenüber politischen Exilanten. Auf Grund des Umstandes, dass zahlreiche Führungspersönlichkeiten des Kabila-Regimes selbst lange Zeit als anerkannte Asylbewerber im Exil lebten, ist davon auszugehen, dass die Machthaber im Kongo die Bedeutung der herausgehobenen Exilpolitik kennen und dass gerade deshalb die den Behörden bekannte Exilpolitik zu ähnlichen Folgen führt wie politische Inlandstätigkeit (vgl. Amnesty International vom 21.1.1998 an VG Düsseldorf). Die Auslandsöffentlichkeit hat unter dem Präsidenten Joseph Kabila nicht nachgelassen, zumal der Staatschef ausländische Presseinterviews gibt und dort ausländische Presseberichte über den Kongo kritisiert (Süddeutsche Zeitung vom 19.1.2001, S. 9, Süddeutsche Zeitung vom 6.6.2001, S. 11). Zwar sieht das Regime Kabila - wie ausgeführt - in der bloßen Existenz und der Struktur von Exilparteien und Exilorganisationen ebenso wie in der bloßen Existenz von Oppositionsparteien in der Demokratischen Republik Kongo keine ernsthafte Gefahr, so dass auch die interne Parteiarbeit und die einfache Parteimitgliedschaft in Exilparteien und Exilorganisationen keine ernsthafte Bedeutung für den Staat hat. Ernst genommen wird hingegen die aktive, öffentlichkeitswirksame und pressewirksame Opposition, da hiervon eine Gefährdung für den kongolesischen Staat ausgehen kann. Dies trifft zum einen auf eine leitende politische Tätigkeit, d.h. eine Tätigkeit auf Führungsebene, zu. Zum anderen besteht ein erhebliches Verfolgungsrisiko auch bei kumulativem Eintreten des Asylbewerbers selbst für Demokratie und gleichzeitiger Anhängerschaft in einer konkreten Oppositionspartei (vgl. Institut für Afrikakunde vom 15.10.1998 an VG Sigmaringen).

Ausgehend davon besteht für den Kläger im Falle einer Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung. Die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers erschöpfen sich nicht lediglich in einer passiven Mitgliedschaft in einer der bedeutendsten Oppositionsparteien, nämlich der UDPS. Der Kläger hat vielmehr in dieser Partei - UDPS, Zelle Sachsen/Leipzig - bereits seit Februar 2003 die Funktion des Vizepräsidenten inne.

Es ist daher davon auszugehen, dass die exponierte Exilpolitik des Klägers in seinem Heimatland bekannt geworden ist. Nach den Erkenntnismitteln stehen der Regierung, für die Nachrichtenbeschaffung auch in Deutschland zum einen der Geheimdienst ANR und zum anderen private Zuträger zurVerfügung (vgl. Lagebericht d. AA v. 7.5.1999, 23.3.2000, 23.11.2001). Dem steht auch nicht die Einschätzung des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 9.5.2005 entgegen, wonach insgesamt den exilpolitischen Tätigkeiten der Kongolesen in Deutschland im Vergleich zu denen in Belgien oder Frankreich keine Bedeutung beigemessen werden soll. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Überwachung in Deutschland überhaupt nicht stattfindet. Dass der kongolesische Geheimdienst die Exilpolitik in Deutschland beobachtet, ergibt sich auch aus den Auskünften des Auswärtigen Amtes selbst (vgl. u.a. AA v. 7.12.1998 an VG München, v. 6.10.2000 an VG Mannheim). Danach findet zwar aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage in der Demokratischen Republik Kongo keine flächendeckende Registrierung und Überwachung der Exilkongolesen in Deutschland statt. Gleichwohl geht aber das Auswärtige Amt selbst noch in diesen Stellungnahmen von einem wirksamen Nachrichtendienst ohne flächendeckende Wirkung aus, der sich aber nur auf eine exponierte und öffentlichkeitswirksame Exilpolitik beschränkt. Von dieser Einschätzung wird im aktuellen Lagebericht auch nicht gänzlich begründet abgewichen. Vielmehr ist von "keinen nenneswerten" Überwachungen die Rede. Amnesty international geht nach vorliegenden Informationen von Überwachungsbemühungen der Aktivitäten von Exilkongolesen aus (vgl. ai v. 12.2.2001 an VG München). Nach den vorliegenden Erkenntnissen spricht daher alles dafür, dass der unbestritten bestehende Auslandsnachrichtendienst jedenfalls dazu in der Lage ist, exponierte exilpolitische Aktivitäten in den bundesdeutschen Großstädten zu verfolgen, insbesondere wenn es sich hierbei um exponierte Mitglieder der größeren Oppositionsparteien handelt und auch nach wie vor Interesse hieran besteht (vgl, zum Ganzen: OVG Saarland, Urt. v. 14.1.2003, 3 R 1/01).