OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.09.2005 - OVG 11 S 36.05 - asyl.net: M7564
https://www.asyl.net/rsdb/M7564
Leitsatz:

Ein Asylberechtigter hat trotz eingeleitetem Widerrufsverfahren Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises, der zur Wiedereinreise nach Deutschland berechtigt; das gilt vor allem dann, wenn dem im Ausland inhaftierten Asylberechtigten die Auslieferung in den Verfolgerstaat droht.

 

Schlagwörter: Asylberechtigte, Erlöschen, Widerruf, Auslandsaufenthalt, Türkei, Aserbaidschan, Auslieferung, Reiseausweis, Flüchtlingsausweis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: GFK Art. 28; AufenthV § 13 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 16a Abs. 1
Auszüge:

Ein Asylberechtigter hat trotz eingeleitetem Widerrufsverfahren Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises, der zur Wiedereinreise nach Deutschland berechtigt; das gilt vor allem dann, wenn dem im Ausland inhaftierten Asylberechtigten die Auslieferung in den Verfolgerstaat droht.

(Leitsatz der Redaktion)

Durch Beschluss vom 5. September 2005 hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ein zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigendes Passersatzpapier auszustellen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die von ihr vorgetragenen und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Nach der hier nur möglichen summarischen Prüfung kann die Antragstellerin die Ausstellung eines zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigenden Passersatzpapieres beanspruchen. Dabei kommt anstelle der Ausstellung eines Reiseausweises im Sinne von Artikel 20 Genfer Konvention - GK - möglicherweise auch die Ausstellung eines Notreiseausweises i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV in Betracht, der einem Ausländer zur Vermeidung einer unbilligen Härte ausgestellt worden darf, wenn er seine Identität glaubhaft machen kann und er aus sonstigen Gründen zum Aufenthalt Im Bundesgebiet oder zur Rückkehr dorthin berechtigt ist.

Es mag dahinstehen, ob die der Antragstellerin erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 51 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (bzw. vor dessen Inkrafttreten gemäß 69 Abs. 1 AsylVfG) erloschen ist und ob § 5 Abs. 4 AufenthG einem Anspruch auf Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegenstehen würde. Denn auch wenn beides der Fall sein sollte, hätte die Antragstellerin aufgrund ihrer trotz des eingeleiteten Widerrufsverfahrens noch gültigen Anerkennung als Asylberechtigte zumindest unmittelbar aus Artikel 16 a Absatz 1 GG eine Rückkehroption, die von der Antragsgegnerin zu beachten ist (vgl. Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 69, Rdnr. 11; Hailbronner, Ausländerrecht, § 69, Rdnr. 7). Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, dient die Anerkennung der Asylberechtigung gerade dem Zweck, die Antragstellerin vor dem Zugriff des Verfolgerstaates, der Türkei, zu schützen. Die aus der Asylberechtigung folgende Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin zur Schutzgewährung hätte mit Blick auf die Ausreise der Antragstellerin nur dann geendet, wenn die Antragstellerin sich in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in einer dessen Zuständigkeit begründenden Weise niedergelassen hätte (vgl. Rechtsgedanke des § 51 Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (zuvor: § 69 Abs. 2 AsylVfG) i.V.m. §§ 6 und 11 des Anhangs zur GK, vgl. auch Marx, Hailbronner, jeweils a.a.O.), wovon hier nicht auszugehen ist. Da der in Aserbaidschan inhaftierten Antragstellerin die Auslieferung an die Türkei unmittelbar droht, würde die Antragsgegnerin dem von ihr anerkannten Asylrecht zuwiderhandeln, wenn sie die Ausstellung eines die Wiedereinreise ermöglichenden Reisedokuments ablehnen und damit deutlich machen würde, dass sie sich für eine Schutzgewährung nicht mehr verantwortlich sieht. Das Resultat käme dem einer Abschiebung der Antragstellerin in den Verfolgerstaat gleich, vor der die Antragstellerin, befände sie sich im Bundesgebiet, auch dann geschützt wäre, wenn sie keine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen könnte.