VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 09.12.2005 - 17a K 4165/03.A - asyl.net: M7593
https://www.asyl.net/rsdb/M7593
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG für Kurdin aus der Türkei, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, wegen Gefahr der Retraumatisierung.

 

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung, Retraumatisierung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, grüne Karte, Yesil Kart, extreme Gefahrenlage, Situation bei Rückkehr, Flüchtlingsfrauen, Vergewaltigung, fachärztliche Stellungnahmen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG für Kurdin aus der Türkei, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, wegen Gefahr der Retraumatisierung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin zu 2. hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf die begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

Rechtsgrundlage für diese Feststellung ist nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 am 1. Januar 2005 nunmehr § 60 Abs. 7 AufenthG, der an die Stelle des § 53 Abs. 6 AuslG getreten ist. Der Klägerin zu 2. droht im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen ihrer psychischen Erkrankung, mit deren Verschlimmerung in erheblichem Umfang hier unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände im Falle der Einreise in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss.

Allerdings geht die Kammer in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des OVG NRW nicht davon aus, dass eine erhebliche Gefahr im zitierten Sinne allein wegen der bei einer Rückkehr in die Türkei notwendig werdenden medizinischen Behandlung angenommen werden kann. Die medizinische Grundversorgung der türkischen Bevölkerung ist durch das öffentliche Gesundheitssystem und dem sich ausweitenden privaten Gesundheitssektor sichergestellt. Das gilt insbesondere auch für die Behandlung von psychischen Erkrankungen wie beispielsweise einer Posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 2005 8 A 1242/03.A).

Dass die erforderliche Behandlung der Klägerin zu 2. auf Grund fehlender finanzieller Mittel für sie nicht erreichbar ist, kann nicht festgestellt werden. Nach der aktuellen Erkenntnislage und der Rechtsprechung des OVG NRW stellen grundsätzlich die sog. Yesil Kart und außerdem die "Stiftung für Sozialhilfe" die notwendige medizinische Behandlung in Gestalt finanzieller Unterstützung sicher (vgl. die oben zitierten Entscheidungen des OVG NRW vom 2. Februar 2005 und 18. Januar 2005).

Im Falle der Krankheit der Klägerin zu 2. kommen indes einzelfallbezogene Besonderheiten hinzu, die den Schluss rechtfertigen, dass die Klägerin zu 2. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in ihr Heimatland in eine extreme individuelle Gefährdungssituation gerät. Eine zielstaatsbezogene extreme Gefahr in diesem Sinne besteht für die Klägerin zu 2. deshalb, weil ihr die Inanspruchnahme des türkischen Gesundheitssystems wegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Retraumatisierung nicht zuzumuten ist.