LSG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.01.2006 - L 8 B 11/05 AY ER - asyl.net: M7671
https://www.asyl.net/rsdb/M7671
Leitsatz:

Anspruch gemäß § 6 S. 1 AsylbLG auf Übernahme der Fahrtkosten für regelmäßige Besuche zur Wahrnehmung des Sorgerechts.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, sonstige Leistungen, Fahrtkosten, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Kinder, Schutz von Ehe und Familie, Sorgerecht, Vater
Normen: AsylbLG § 6 S. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Anspruch gemäß § 6 S. 1 AsylbLG auf Übernahme der Fahrtkosten für regelmäßige Besuche zur Wahrnehmung des Sorgerechts.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag des Beschwerdeführers ist auch teilweise begründet. Nach § 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind für eine einstweilige Anordnung der Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes (Anordnungsanspruch) und der Grund für die Dringlichkeit der Maßnahme (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

a) Hier besteht nach der gebotenen summarischen Prüfung ein Anordnungsanspruch im Sinne von § 6 Abs. 1 AsylbLG. Danach können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall u.a. zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern erforderlich sind. Die Wahrnehmung des Sorgerechts des Vaters gegenüber dem leiblichen Kind dient der Deckung eines besonderen Bedürfnisses im Sinne des § 6 Abs. 1 AsylbLG. Denn die in § 1684 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelte Pflicht zur Sorge der Eltern für ihr Kind wird nicht durch die in §§ 3,4 AsylbLG genannten Leistungen gedeckt.

Der Beschwerdeführer hat über die mit der Anerkennung der Vaterschaft verbundene rechtliche Verpflichtung hinaus auch nach seinen insoweit unbestrittenen und durch die "Bescheinigung" der Mutter glaubhaften Angaben eine persönliche Beziehung zu dem Kind aufgenommen. Die Möglichkeit eines Elternteils, das Sorgerecht für sein Kind wahrzunehmen, ist ein besonderes Bedürfnis des Kindes, dessen Förderung nach Auffassung des Senats geboten ist. Das Sorgerecht steht als natürliches Elternrecht unter dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG). Seine Ausübung in Form von Entscheidungen über Erziehung und Pflege sowie des Aufbaus einer persönlichen Bindung erfordert eine räumliche Nähe. Falls diese wie hier wegen der verschiedenen Wohnsitze nicht gegeben ist, ist eine gewisse Mobilität notwendig. Daher ist für die begehrte Fahrtkostenerstattung die Vorschrift des § 6 Abs. 1 AsylbLG im Lichte des Verfassungsranges des elterlichen Sorgerechts anzuwenden. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass die begehrte einmalige Kostenübernahme für eine Zugfahrt pro Monat nicht auf ein unverhältnismäßiges und überzogenes Fürsorgebedürfnis schließen lässt.

b) Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts geht der Senat davon aus, dass hier auch ein Anordnungsgrund vorliegt und das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung hinsichtlich der begehrten monatlichen Bahnfahrt für den Beschwerdeführer unzumutbar ist.

Der Beschwerdeführer hat einen gegenwärtigen Bedarf hinsichtlich der begehrten finanziellen Unterstützung glaubhaft gemacht. Er nimmt regelmäßig das Sorgerecht für sein Kind war und muss zu diesem Zweck von seinem zugewiesenen Wohnort in Gardelegen nach Dessau fahren. Der geltend gemachte wirtschaftliche Bedarf kann auch nicht anderweitig, insbesondere nicht aus der bewilligten Regelleistung, gedeckt werden. Obwohl der Beschwerdeführer seit Oktober 2005 Leistungen nach § 3 AsylbLG erhält, würde er durch die zusätzlichen Aufwendungen für eine monatliche Zugfahrt erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden. Unstreitig decken die Leistungen nach § 3 AsylbLG nur das soziokulturelle Minimum ab. Der dabei zur Verfügung stehende Taschengeldbetrag von weniger als 50,- Euro würde beim monatlichen Kauf eines Sachsen-Anhalt-Tickets zu mehr als der Hälfte verbraucht werden.

Ohne die begehrte vorläufiger Regelung würde der Beschwerdeführer einen schweren Nachteil erleiden, da eine weitere Wahrnehmung des Sorgerechts bis zur endgültigen Entscheidung über die begehrte Kostenübernahme gefährdet wäre. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Wahrnehmung dieses Sorgerechts Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten natürlichen Elternrechts ist. Deshalb darf die Ausübung der Sorge nicht unzumutbar erschwert werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. August 2005, L 7 SO 2117/05 ER-B zum Umgangsrecht eines geschiedenen Empfängers von Leistungen nach dem SGB II mit seinem Kind). Sollte der Umgang aus finanziellen Gründen nicht in dem gewünschten Maße möglich sein, könnte die Wahrnehmung des Sorgerechts später nicht mehr nachgeholt werden.

c) Der vorläufige Leistungsanspruch ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG nicht als Sach-, sondern als Geldleistung zu gewähren. Es wäre nicht praktikabel, wenn der Beschwerdeführer jeweils vor dem beabsichtigten Reisetag bei dem zuständigen Sozialamt eine entsprechende Fahrkarte als Sachleistung beantragen müsste. Gerade der Umgang mit einem Kleinkind muss flexibel gestaltet werden, da beispielsweise überraschende Erkrankungen eine unverzügliche Anreise nötig machen können.

Die monatliche Bahnfahrt vom Wohnort in Gardelegen nach Dessau und zurück ist lediglich in Höhe von 26,- Euro entsprechend der Kosten für ein "Sachsen-Anhalt-Ticket" erstattungsfähig.