VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 14.09.2005 - 11 A 3311/03 - asyl.net: M7781
https://www.asyl.net/rsdb/M7781
Leitsatz:

Obwohl die Roma aus dem Kosovo grds. nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, haben sie keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Auch diesen Personengruppen ist eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland zumutbar möglich. Die Regelungen des § 60 AufenthG bestimmen insofern abschließend, in welchen Fällen zielstaatsbezogene Erwägungen einer Rückkehr entgegenstehen können.

 

Schlagwörter: D (A), Serbien und Montenegro, Kosovo, Roma, Ausreisehindernis, Altfallregelung, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Glaubwürdigkeit, EU-Laissez-passer, UNMIK, freiwillige Ausreise, Abschiebung, Sicherheitslage, Übergangsregelung, Integration, Privatleben, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Aufenthaltsdauer, Vertrauensschutz
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 102 Abs. 2; EMRK Art. 8
Auszüge:

Obwohl die Roma aus dem Kosovo grds. nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, haben sie keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Auch diesen Personengruppen ist eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland zumutbar möglich. Die Regelungen des § 60 AufenthG bestimmen insofern abschließend, in welchen Fällen zielstaatsbezogene Erwägungen einer Rückkehr entgegenstehen können.

(Amtliche Leitsätze)

 

2. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich auch nicht aus § 25 Abs. 1 - 3 AufenthG.

Im Allgemeinen müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, welcher sich die erkennende Kammer anschließt, Volkszugehörige der Roma im Kosovo nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG befürchten (vgl. Beschluss vom 3. Juni 2004 - 8 LA 84/04 - (S. 3); Beschluss vom 3. August 2004 - 13 LA 353/04 -, Beschluss vom 10. August 2004 - 13 LA 195/04 -; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004, Seite 13 f.).

Auch im Hinblick auf die psychische Erkrankung der Klägerin zu 2) liegt kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004 (S. 18) ist ausgeführt, dass schwerwiegende psychische Erkrankungen, wie organische oder schizophrene Psychosen, derzeit nur unzureichend therapierbar seien (vgl. auch Auskünfte des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo an das Landratsamt Dillingen vom 11. März 2005 und an das Bundesamt vom 23. März 2005). Im öffentlichen Gesundheitswesen würden psychische Erkrankungen rein medikamentös behandelt. Es gebe einzelne privat praktizierende Fachärzte, die auch in der Lage seien psychotherapeutische Behandlungsformen anzubieten. Diese Plätze seien jedoch begrenzt und für viele kaum bezahlbar. Auch in den von den Klägern eingereichten Berichten der UNMIK vom Januar und März 2005 ist ausgeführt, dass Personen mit schweren und chronischen psychischen Krankheiten keine ausreichenden medizinischen Kapazitäten vorfinden würden. Die öffentlich angebotene Hilfe sei eine medikamentöse Behandlung mit außerordentlich geringer oder überhaupt keiner soziotherapeutischen oder psychotherapeutischen Behandlung.

Für Medikamente auf der sog. essential drug list wird eine Eigenbeteiligung von 0,50 bis 1,-- Euro erhoben. Für Empfänger von Sozialleistungen gilt dies nicht. Es gibt zahlreiche in der erwähnten Liste enthaltene Basismedikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen (vgl. auch Auskünfte des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo an das Bundesamt vom 12. April 2005 und an die Ausländerbehörde Wernigerode vom 16. März 2005).

Hieraus ergibt sich, dass bei Personen mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen im Einzelfall konkrete Lebens- oder Gesundheitsgefahren vorliegen können, diese dagegen bei Personen mit leichteren derartigen Krankheitserscheinungen in der Regel nicht gegeben sind (vgl. auch VG Oldenburg, Urteil vom 27. Januar 2004 - 12 A 550/03 -).

Im Falle der Klägerin zu 2) liegt keine schwere psychische Erkrankung, insbesondere keine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F 43.1), vor.

3. Es besteht auch kein Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

c) Die Unmöglichkeit der Ausreise besteht auch nicht im Hinblick darauf, dass UNMIK derzeit Abschiebungen von Angehörigen der Volksgruppe der Roma grds. nicht akzeptiert, so dass die Kläger geduldet werden.

Maßgeblich ist nach § 25 Abs. 5 AufenthG, wie sich aus dem Wortlaut ("Ausreise") und der Gesetzesbegründung (BT Drs. 15/420, S. 80), noch deutlicher als aus § 30 Abs. 3 und 4 AuslG, ergibt, ob (neben der Abschiebung) die freiwillige Ausreise des Ausländers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Unerheblich ist dagegen, aus welchen Gründen eine Abschiebung des Ausländers scheitert.

UNMIK ist bereit, Angehörige der Minderheiten auf strikt freiwilliger Basis wieder aufzunehmen. Bis Ende 2003 haben hiervon etwa 9000 Personen Gebrauch gemacht. Bis Juni 2004 sind rund 1000 Angehörige der Roma zurückgekehrt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes a.a.O., S. 14, 16, 20). Dies zeigt, dass UNMIK nicht die Rückkehr von Angehörigen der Minderheiten an sich als Sicherheitsrisiko einstuft, sondern lediglich die zwangsweise Rückführung gegen den Willen der Betroffenen.

Eine Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise kann deshalb aus den hier geltend gemachten zielstaatsbezogenen die Sicherheitslage für bestimmte Minderheiten betreffenden Erwägungen, die UNMIK zur Einschränkung des Rückführungsprozesses veranlasst, und deshalb zu einem Abschiebungshindernis führen, nicht festgestellt werden. Zielstaatsbezogene Gesichtspunkte, die einer Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, sind abschließend in § 60 AufenthG geregelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 3. Juni 2004 und 19. Januar 2005 - 8 LA 84/04 und 8 PA 305/04 -). Eine weitergehende Untersuchung zielstaatsbezogener Aspekte ist deshalb nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschluss vom 28. Juni 2005 - 11 B 2413/05 -: Urteil vom 11. Mai 2005 - 11 A 2574/03 -) auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht erforderlich.

Dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG erteilt werden soll, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, kann ebenfalls eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Denn es handelt sich insoweit nicht um eine Bestimmung der hier in Rede stehenden Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels, sondern um eine Regelung der Rechtsfolgen. Grundsätzlich steht nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Falle der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde ("kann"), welches jedoch nach Ablauf der genannten Frist regelmäßig dahin auszuüben ist ("soll"), die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Ferner ergibt sich auch nichts anderes aus der von den Klägern angeführten Übergangsregelung des § 102 Abs. 2 AufenthG, wonach für die in § 26 Abs. 4 AufenthG vorgesehene Sieben-Jahres-Frist, nach der eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden kann, die Zeit von Duldungen vor dem 1. Januar 2005 angerechnet wird. § 102 Abs. 2 AufenthG betrifft nämlich lediglich die in § 26 Abs. 4 AufenthG vorgesehene Fristberechnung. Sie ersetzt aber nicht den hiernach zusätzlich erforderlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Mit § 102 Abs. 2 AufenthG ist ersichtlich nicht bezweckt worden, dass alle bisher langjährig geduldeten Personen sogleich eine (unbefristete) Niederlassungserlaubnis beanspruchen können

d) Schließlich begründet nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 11. Mai 2005 - 11 A 2574/03 -) auch Art. 8 EMRK im Hinblick auf den langen Aufenthalt der Kläger und deren Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland kein Ausreisehindernis (vgl. auch EGMR, Entscheidung vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - NVwZ 2005, 1043 (1045); Entscheidung vom 16. September 2004 - 11103/03 - NVwZ 2005, 1046).

Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift wird u.a. das Privatleben geschützt. Abs. 2 ermöglicht aber Eingriffe u.a. dann, wenn dies gesetzlich vorgesehen und für die öffentliche Ordnung notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

Die Regelungen des AufenthG begründen hiernach zulässige Schranken des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Ausländers. Sie dienen u.a. der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach § 4 AufenthG ist es deshalb grundsätzlich erforderlich, einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Dabei ist in den Bestimmungen des AufenthG im Einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden können. Dem steht es entgegen, allein durch den faktischen Aufenthalt mit der hiermit häufig verbundenen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ein Bleiberecht zu begründen.

Allerdings wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass allein ein langjähriger Aufenthalt und die Integration sowie eine fehlende Verbindung zum Heimatstaat zur Unverhältnismäßigkeit einer Ausreisepflicht führen könne (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 24. Juni 2004 - 11 K 4809/03 - InfAuslR 2005, 106 ff.; VG Oldenburg, Beschluss vom 12. August 2003 - 12 B 2841/03 - InfAuslR 2003, 433 f.). Dieser Ansicht vermag die Kammer jedoch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1998 - 1 B 105.98 - Buchholz 402.240 § 30 AuslG Nr. 10; Beschluss vom 30. April 1997 - 1 B 74.97 - (juris); vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. September 2003 - 13 ME 331/03 -).