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VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 21.10.2005 - A 1 K 10036/04 - asyl.net: M7868
https://www.asyl.net/rsdb/M7868
Leitsatz:

Asylanerkennung für eritreischen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für Eritrean Liberation Front – Revolutionary Council (ELF-RC).

 

Schlagwörter: Eritrea, Oppositionelle, exilpolitische Betätigung, Eritrean Liberation Front - Revolutionary Council, ELF-RC, Eritrean Liberation Front - National Council, ELF-NC, Mitglieder, Situation bei Rückkehr, Allianz Nationaler Kräfte Eritreas, Überwachung im Aufnahmeland, Internet, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AsylVfG § 28 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Asylanerkennung für eritreischen Staatsangehörigen wegen exilpolitischer Betätigung für Eritrean Liberation Front – Revolutionary Council (ELF-RC).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 Satz 1 GG und auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Eritreas vorliegen. Das Bundesamt hat es zu Unrecht abgelehnt, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Denn die Lage hat sich zugunsten des Klägers gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG geändert.

Der Kläger hat aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten für die Eritrean Liberation Front - Revolutionary Council (ELF-RC) Ende 2004 und 2005 im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten. Neueren übereinstimmenden Auskünften ist zu entnehmen, dass aktive Mitglieder der ELF-RC, der auch der Kläger angehört, im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit schweren staatlichen Repressalien zu rechnen haben. Das Auswärtige Amt führt hierzu in seiner Auskunft vom 30.09.2004 an das VG Ansbach zu Aktivitäten für die ELF-Bewegung aus, die eritreische Regierung stufe diese weiterhin als staatsschädigend ein und verfolge sie entsprechend (vgl. auch Auskunft vom 30.06.2004 an VG Magdeburg). In seiner Auskunft vom 09.12.2004 an das VG Aachen teilt das Auswärtige Amt mit, exilpolitische und regimekritische Tätigkeiten führten in der Regel zu staatlichen Repressalien. Dabei sei die Mitgliedschaft in einer Partei oder sonstigen Organisation nicht ausschlaggebend, könne aber zusätzlich belastend bewirken. Amnesty international geht in seinem Bericht "Eritrea - du hast kein Recht zu fragen" vom 19.05.2004 davon aus, dass Mitglieder und Unterstützer oder auch nur vermutete Unterstützer auf allen Ebenen der ELF Gefahr liefen, im Falle einer Rückkehr nach Eritrea inhaftiert, gefoltert oder möglicherweise sogar außergerichtlich hingerichtet zu werden. Auch der Bundesnachrichtendienst ist in seiner Auskunft vom 11.04.2005 an das VG München der Auffassung, dass die Regierungspartei in Eritrea, die PFDJ, auf Grund ihres Alleinvertretungsanspruchs alle anderen Parteien in den Untergrund getrieben habe und ihre Angehörigen als Staatsfeinde verfolge. Daher sei es wahrscheinlich, dass eritreische Oppositionelle bei der Rückkehr in ihr Heimatland Repressionen ausgesetzt seien und mit einer sofortigen Festnahme rechnen müssten. Das Ausmaß der Repressionen variiere und sei unter anderem davon abhängig, in welcher Oppositionspartei oder oppositionellen Vereinigung der Betroffene Mitglied sei. Mitglieder islamischer Oppositionsorganisationen, insbesondere auch der 1969 von eritreischen Moslems gegründeten und stark islamisch ausgerichteten ELF-RC, seien schwereren Repressionen ausgesetzt. Festnahmen erfolgten ohne Anwesenheit von Zeugen. Danach kämen die Verhafteten an unbekannte Orte, wobei Angehörige keine Auskunft über ihren Verbleib erhielten und auch keine öffentliche Anklageerhebung erfolge. Das Institut für Afrikakunde teilt in einem vom Kläger vorgelegten Gutachten vom 17.08.2004 an das VG Magdeburg diese Auffassung und geht davon aus, dass zurückgekehrte Oppositionelle damit rechnen müssen, in den Straflagern gefoltert zu werden. Ein Ende dieser Repressionen sei nicht abzusehen.

Dieses Schicksal hat nach Überzeugung des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Eritrea zu erwarten. Denn er ist aktives Mitglied der ELF-RC in Deutschland und hat sich für diese Oppositionspartei auch öffentlich eingesetzt. Derartige Tätigkeiten bleiben den eritreischen Behörden nicht verborgen. Nach einem Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 09.02.2005 an das VG Aachen betreibt das eritreische Konsulat in Frankfurt ein engmaschiges Überwachungsnetz und registriert alle regierungskritischen Aktivitäten genauestens. In einem Gutachten vom 30.04.2004 führt das Institut für Afrikakunde aus, die eritreische Regierung habe über ihre diplomatischen Vertretungen in der Bundesrepublik ihre Überwachungsaktivitäten verstärkt und es sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass Spitzel eingesetzt würden, um herauszufinden, wer mit den verschiedenen oppositionellen Gruppierungen sympathisiere. Es könne bzw. müsse daher davon ausgegangen werden, dass auch die Tätigkeiten einfacher Mitglieder bekannt würden (vgl. auch Gutachten vom 17.08.2004 an VG Magdeburg). Auch das Auswärtige Amt nimmt an, dass die eritreische Regierung die Aktivitäten, insbesondere regimekritischer Art, im Ausland ausgiebig beobachtet und aufzeichnen lässt (Auswärtiges Amt v. 09.12.2004 an VG Aachen; Auskunft v. 30.06.2004 an VG Magdeburg).

Im Falle des Klägers kommt noch hinzu, dass er sich mehrfach im Internet regimekritisch zu den Verhältnissen in Eritrea geäußert hat.

Die oppositionellen Internetseiten sind nach der Auskunft des Instituts für Afrikakunde vom 09.02 2005 an das VG Aachen das wichtigste Artikulationsforum der Eritreer im Ausland und können auch in Eritrea gelesen werden. Da dies der Regierung ein Dorn im Auge ist, sind es gerade Veröffentlichungen auf Internetseiten, die die Wahrscheinlichkeit von Repressalien im Falle einer Rückkehr erhöhen. Auch das Auswärtige Amt geht davon aus, dass jede Art von regimekritischer Veröffentlichung bei einer Rückkehr nach Eritrea die Gefahr staatlicher Repressalien mit sich bringt, wobei es ohne Bedeutung ist, ob sie im Internet, in der Zeitung, im Funk oder im Fernsehen erfolge (vgl. Auskunft v. 09.12.2004 an VG Aachen).

Der Asylanerkennung des Klägers steht auch nicht entgegen, dass es sich bei den Umständen, die nunmehr die Gefahr einer politischen Verfolgung begründen, um selbst geschaffene Nachfluchtgründe handelt. Denn die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland entspringt einer festen, bereits im Heimatland erkennbar betätigten Überzeugung (vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). So ergibt sich aus den vom Verwaltungsgericht damals nicht in Frage gestellten Angaben im Rahmen seines ersten Asylverfahrens, dass er sich in Eritrea, das damals noch zum Staat Äthiopien gehörte, bereits als 17-jähriger für eine Gruppierung der ELF betätigte, indem er in seinem Dorf Flugblätter dieser Partei verteilte. Angesichts seines damaligen Alters ist eine intensivere politische Betätigung nicht zu verlangen.