VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 25.07.2005 - 5 E 5182/04.A - asyl.net: M7893
https://www.asyl.net/rsdb/M7893
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Staatsangehörigen von Myanmar wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland.

 

Schlagwörter: Myanmar, politische Entwicklung, unerlaubte Ausreise, unerlaubtes Verbleiben im Ausland, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Administrativhaft, Folter, Oppositionelle
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für Staatsangehörigen von Myanmar wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Dem Kläger steht hingegen ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu.

Nach der vom Gericht über das Auswärtige Amt und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten eingeholten Stellungnahme das schweizerischen Bundesamtes für Migration vom 12.04.2005 wurde der aus der Schweiz abgeschobene Asylsuchende Stanley Van Tha bei der Rückführung nach Myanmar verhaftet und dort zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Die myanmarischen Behörden begründeten ihr Urteil vom 17.02.2004 mit der Tatsache, Stanley Van Tha habe in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt und dies mit politischen Aktivitäten begründet. Somit habe er die Sicherheit und den Frieden des Landes nach Art. 5 (J) des Emergency Act gefährdet. Weiter sei er wegen Fälschung von Stempeln in seinem Pass sowie der illegalen Einreise nach Myanmar verurteilt worden. Das gesamte Strafmaß betrage 19 Jahre.

Unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen handelt es sich um den ersten bekannt gewordenen konkreten Fall dieser Art. So hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 21.07.2004 (Dok. Nr. 34) ausgeführt, ihm lägen keine konkreten Erkenntnisse über Anzahl und Behandlung von zurückkehrenden bzw. abgeschobenen abgelehnten Asylbewerbern vor. Nach Auskunft des Burma-Büro e.V. an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 25.05 2004 (Dok. Nr. 31) wird eine Person mit der Beantragung von Asyl in einem anderem Land zum "Feind der Regierung" und muss somit Verhör und jegliche Maßnahmen erdulden, die der myanmarische Staat bei Vergehen gegen die Regierung ergreife. Konkrete Beispiele oder gar Zahlenangaben erfolgen an dieser Stelle nicht. Das gleiche gilt für die Auskunft von Frasch an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 03.06.2004 (Dok. Nr. 32). Dort heißt es, die unerlaubte Einreise stelle einen Straftatbestand dar. In der Regel empfingen birmanische Sicherheitskräfte Rückkehrer direkt am Flughafen und verhörten diese. Nach seinem Kenntnisstand habe die Deutsche Botschaft in Rangun seit Jahren versucht, Rückkehr und Schicksal von abgewiesenen birmanischen Asylantragstellern zu beobachten und zu dokumentieren. Die Ergebnisse seien ihm nicht bekannt.

Trotz dieser Auskunftslage kann entgegen der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 03.06.2005 geäußerten Rechtsauffassung der Annahme einer für den Kläger im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehenden Verfolgungsgefahr nicht mit dem Einwand begegnet werden, bei dem Schicksal des Stanley Van Tha handele es sich um einen einer Generalisierung nicht zugänglichen Einzelfall. Vielmehr kommt diesem im Hinblick auf die allgemeine Situation in Myanmar erhebliches Gewicht zu.

Das Land wird von einer nicht demokratisch legitimierten Regierung geführt. Die Bevölkerung wird unterdrückt und ausgebeutet. Politisch nicht genehmigte Versammlungen werden nicht geduldet. Eine freie Presse und Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit gibt es nicht. Ein rechtsstaatliches Verfahren ist nicht garantiert (vgl. Dok. Nrn 31, 32 und 34). Auch in dem vom Auswärtigen Amt seiner Auskunft vom 27.04.2005 beigefügten schweizerischen Internet-Auszug, der ersichtlich die zur Verhängung des Abschiebungsstopps für myanmarische Staatsangehörige betreffende Vorlage an den Nationalrat betrifft, wird hervorgehoben, die Regierung von Myanmar werde von den meisten Menschenrechtsorganisationen zu den repressivsten und menschenverachtendsten Regimes weltweit gezählt. Die Militärjunta mit ihrer Partei SPDC regiere durch Dekret, kontrolliere die Justiz, unterdrücke nahezu alle Grundrechte und begehe zahllose Menschenrechtsverletzungen. Die Gerichtsbarkeit sei nicht unabhängig. Die Junta ernenne Richter, die Entscheidungen in Prozessen beruhe auf den Weisungen des Regimes. Administrative Haft erlaube die Inhaftierung ohne Anklage, Gerichtsverfahren oder Zugang zur Rechtsvertretung, wenn die SPDC eine Gefährdung der Staatssicherheit und Souveränität behaupte. Weit gefasste Gesetzesbestimmungen kriminalisierten auch friedliche Aktivitäten. Besonders in politischen Prozessen würden grundlegende Rechte der Inhaftierten oder Angeschuldigten regelmäßig missachtet.

Im Hinblick auf diese Willkürherrschaft, die jegliche demokratischen und rechtsstaatlichen Standards vermissen und zugleich konkrete Belege über politische Verfolgungsmaßnahmen und Menschenrechtsverletzungen nur schwer nach außen dringen lässt, kommt der Verurteilung des Stanley Van Tha über der Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, bei der hier bekannt gewordenen Behandlung eines abgeschobenen Asylbewerbers handele es sich um die in Myanmar übliche Praxis. Diese Einschätzung gewinnt das Gericht auch deshalb, weil ihm andererseits kein konkreter Fall bekannt ist, in dem ein abgeschobener Asylbewerber nach seiner Rückkehr nach Myanmar dort unbehelligt geblieben ist.

Der Fall des Klägers weist erhebliche Parallelen zu dem des Stanley Van Tha auf. Ebenso wie dieser hat er sein Heimatland illegal verlassen, im Einreisestaat einen Asylantrag gestellt und diesen mit politischen Aktivitäten in Myanmar begründet. Daraus resultiert im Falle einer Rückkehr die letztlich auf der politischen Überzeugung des Klägers und damit einem asylerheblichen Merkmal beruhende Gefahr einer Strafverfolgung und Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.