VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 28.02.2006 - 5 B 1143/06 - asyl.net: M7900
https://www.asyl.net/rsdb/M7900
Leitsatz:

Schutz der religiösen Überzeugung richtet sich nach Art. 10 Abs. 1 Bst. b Qualifikationsrichtlinie, so dass auch die öffentliche Religionsausübung geschützt ist.

 

Schlagwörter: Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, Anerkennungsrichtlinie, Türkei, Gruppenverfolgung, Jesiden, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 36 Abs. 4; AufenthG § 60 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 1 Abs. 1 Bst. b; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Schutz der religiösen Überzeugung richtet sich nach Art. 10 Abs. 1 Bst. b Qualifikationsrichtlinie, so dass auch die öffentliche Religionsausübung geschützt ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der nach §§ 71 Abs. 1 und 4, 34 Abs. 1, 36 Abs. 3 AsylVfG iVm § 80 Abs. 5 VwGO zulässige, insbesondere fristgerecht gestellte Antrag ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2006 verfügten Abschiebungsandrohung bestehen (§ 80 Abs. 5 VwGO iVm §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 AsylVfG).

Bei dem am 25.01.2006 gestellten Asylantrag handelt es sich um einen Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG. Der Antragsteller hat nämlich bereits früher ein unanfechtbar abgeschlossenes Asylverfahren durchgeführt.

Nach § 71 Abs. 4 iVm §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylVfG ist einem Asylbewerber, der einen Asylfolgeantrag gestellt hat, die Abschiebung anzudrohen sowie eine Ausreisefrist von einer Woche zu setzen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen. Einer Klage des Asylbewerbers gegen die Abschiebungsandrohung kommt gemäß § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zu. Das Verwaltungsgericht kann auf Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung der Klage jedoch anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 AsylVfG). Das ist hier der Fall, weil die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 17.02.2006 aller Voraussicht nach zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.4 AufenthG nicht vorliegen. Da das Bundesamt im angefochtenen Bescheid erstmals über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG entschieden hat, kommt es insoweit auch auf die Präklusionswirkungen des § 71 AsylVfG iVm § 51 VwVfG nicht an.

Hinsichtlich der Frage, ob für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs.4 AufenthG festzustellen sein wird, ist darauf hinzuweisen, dass hierfür jedenfalls spricht, dass derzeit eine geänderte obergerichtliche Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei nicht vorliegt. Hinsichtlich der Frage, ob in der Türkei das religiöse Existenzminimum für Yeziden nicht gewahrt ist, wie der Antragsteller behauptet, wird darüber hinaus zu beachten sein, dass die Auslegung des Schutzes religiöser Überzeugungen nach der GFK nunmehr maßgeblich durch Art. 10 Abs.1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (Abl. L 304/12 v. 30.09.04) - Qualifikations- oder Flüchtlingsrichtlinie - beeinflusst wird. D.h., bei der Prüfung einer Verfolgung aus religiösen Gründen genügt nunmehr nicht die Möglichkeit der Ausübung in privater Gemeinschaft, sondern hierzu gehört auch die Teilnahme an religiösen Betätigungen in der Öffentlichkeit, allein oder in Gemeinschaft sowie die Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen einzelner und der Gemeinschaften, soweit sich diese auf religiöse Überzeugungen beziehen (vgl. Geyer in ANA-ZAR 2005, S.21 f; Marx/Schallenberger, NVwZ 2005, S.776 f). Ob und in welchem Umfang dies in der Türkei für Yeziden möglich ist, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Dies gilt letztlich auch für die Frage, ob durch die Qualifikations- oder Flüchtlingsrichtlinie eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 71 AsylVfG iVm § 51 Abs.1 VwVfG eingetreten sein könnte, die hier auch Auswirkungen auf die Frage der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.1 AufenthG entfalten könnte.