OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.12.2005 - 13 A 2641/05.A - asyl.net: M7902
https://www.asyl.net/rsdb/M7902
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, Märzunruhen, Anerkennungsrichtlinie, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

In diesem Sinne grundsätzlich bedeutsame Fragen, die die Durchführung eines Berufungsverfahrens rechtfertigen, werden im Zulassungsantrag auch mit dem Vorbringen der Kläger, der Minderheit der Ashkali anzugehören und für diese Minderheit bestehe keine ausreichende Verfolgungssicherheit im Kosovo, nicht aufgezeigt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts entspricht im Übrigen der Entscheidungspraxis des Gerichts. In der Rechtsprechung des Gerichts ist nämlich geklärt, dass die aktuelle Lage der Ashkali im Kosovo die Zuerkennung asylrechtlichen Schutzes nicht rechtfertigt, dass eine flächendeckende ernstliche Gefahr für Leib und Leben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu befürchten ist und deshalb auch Abschiebungsverbote nach dem seit dem 1. Januar 2005 geltenden § 60 AufenthG - auch unter Berücksichtigung des im Zulassungsantrag genannten § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG - nicht bestehen, und dass keine konkreten Anhaltspunkte für eine nachhaltige Gefährdung der Gebietsherrschaft von UNMIK und KFOR im Kosovo und für eine entscheidende Verschlechterung der Gefahrenlage für Minderheiten dort gegeben sind; dabei haben die Unruhen im Kosovo im März 2004 ebenso Berücksichtigung gefunden wie die im Zulassungsantrag erwähnte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Stuttgart (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Dezember 2005 - 14 A 3392/05.A -, vom 6. Dezember 2005 - 13 A 4678/05.A -, vom 5. Dezember 2005 - 14 A 4317/03.A - , vom 28. November 2005 - 5 A 4529/05.A -, vom 14. November 2005 - 13 A 4297/05.A -, vom 19. August 2005 - 13 A 2959/05.A -, vom 1. August 2005 - 13 A 2643/05.A - und vom 01. Juni 2005 - 13 A 1874/05.A).

Der Zulassungsantrag gibt keine Veranlassung zu einer erneuten/andersartigen Wertung. Der dort genannten Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 15. November 2004 - 7 S 1128/02 - (Asylmagazin 4/2005, S. 26), die Rückkehr von Ashkali in den Kosovo sei unzumutbar, schließt sich der Senat nicht an, weil jene Entscheidung den Unruhen von März 2004 eine objektiv nicht gerechtfertigte Bedeutung zumisst.

Bezüglich der im Zulassungsantrag erwähnten Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12) - Qualifikationsrichtlinie - ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie noch kein geltendes Recht ist und die Umsetzungsfrist für die Richtlinie im Oktober 2006 abläuft. Vor diesem Hintergrund fehlt es im Zulassungsantrag schon an einer hinreichenden Darlegung, dass die Frage, ob die Qualifikationsrichtlinie als noch nicht geltendes Recht beim Begehren der Kläger zu berücksichtigen ist, in einem Berufungsverfahren überhaupt zu klären wäre. Die Fragen der Anwendbarkeit der Richtlinie bzw. der Möglichkeit, in einem gerichtlichen Verfahren daraus Berechtigungen herleiten zu können, sind im Übrigen geklärt. Aus der Frist zur Umsetzung einer Richtlinie folgt nämlich, dass einem Mitgliedstaat kein Vorwurf gemacht werden darf, wenn er eine Richtlinie nicht vor Ablauf dieser Frist in seine Rechtsordnung umsetzt. Andererseits muss ein Mitgliedstaat während der Umsetzungsfrist alle Maßnahmen, insbesondere den Erlass von Vorschriften, unterlassen, die geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist bzw. - wenn dies zuvor erfolgt - vor Verkündung des Umsetzungsgesetzes ist auch regelmäßig keine vom Instanzrichter beachtliche Vorwirkung anzunehmen und kann sich ein Ausländer zu einem früheren Zeitpunkt noch nicht mit Erfolg auf einzelne Richtlinienvorgaben berufen (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Dezember 1997 - Rs.C - 129/96 -, NVwZ 1998, 385; Urteil vom 13. Juli 2000 - Rs.C - 456/98 -, NJW 2000, 3267; BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1, 22; Urteil vom 27. Oktober 2000 - 4 A 18.99 -, BVerwGE 112,140,156; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Mai 2005 - A 3 S 358/05 -, InfAuslR 2005, 296 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Dezember 2005 - 13 A 4534/05.A - und vom 06. Oktober 2005 - 14 A 3046/05.A -).

Dementsprechend bedarf es nicht einer Auseinandersetzung mit der im Zulassungsantrag genannten Qualifikationsrichtlinie mit der Folge, dass (auch) alle in Zusammenhang mit der Richtlinie aufgeworfenen Fragen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht begründen können.

Desgleichen kann in der vom Verwaltungsgericht nicht erfolgten Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof, die die Kläger in Zusammenhang mit der Richtlinie 2004/83/EG für notwendig erachtet haben, keine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs liegen und ist die Berufung auch nicht insoweit wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Wenn sich ein Ausländer vor der Umsetzung einer EG-Richtlinie nicht mit Erfolg auf einzelne Vorgaben einer erst später geltenden Richtlinie berufen kann, liegt in der erstinstanzlich nicht erfolgten Vorlage einer Rechtssache an den Europäischen Gerichtshof keine vorweggenommene Beweiswürdigung und kann eine Vorlagepflicht für das erstinstanzliche Gericht nicht angenommen werden.

Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigt sich auch nicht im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung der Klägerin zu 2). Bei den in Zusammenhang mit einer geltend gemachten Erkrankung im Raum stehenden Fragen der Zumutbarkeit der Rückkehr bzw. eines sich aus einer Krankheit möglicherweise ergebenden Abschiebungshindernisses handelt es sich - jedenfalls bei Krankheitsbildern, deren Behandelbarkeit im Kosovo nicht gänzlich auszuschließen ist - um solche, die individualbezogen den jeweiligen Rückkehrer betreffen und die dementsprechend schon wegen dieser Individualität einer generellen Klärung mit Verbindlichkeit für eine Vielzahl von abschiebungsschutzrechtlichen Streitigkeiten nicht zugänglich sind (vgl. beispielsweise OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Dezember 2005 - 14 A 4807/05.A - und - 13 A 4804105.A -).

Der Zulassungsantrag der Kläger gibt keine Veranlassung, die von den zuständigen Senaten das Gerichts in ständiger Rechtsprechung vertretene Annahme der grundsätzlich möglichen Behandelbarkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung im Kosovo, die auch für die Klägerin zu 2) geltend gemacht wird, grundlegend in Frage zu stellen und einer erneuten Wertung zu unterziehen.

Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache auch nicht vor dem Hintergrund der von den Klägern aufgeworfenen Frage zu, ob die vom Senat bejahte Behandelbarkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung im Kosovo auch für Mittellose erhältlich ist.