Nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist – anders als nach Art. 16 a Abs. 1 GG oder § 51 Abs. 1 AuslG – bei der Prüfung der Verfolgungsgefahr die subjektive Einschätzung des Ausländers zu berücksichtigen; § 60 Abs. 1 AufenthG schützt auch die öffentliche Religionsausübung (hier: missionarische Tätigkeit eines Angehörigen der Zeugen Jehovas im Iran); Qualifikationsrichtlinie ist bei der Auslegung von § 60 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist – anders als nach Art. 16 a Abs. 1 GG oder § 51 Abs. 1 AuslG – bei der Prüfung der Verfolgungsgefahr die subjektive Einschätzung des Ausländers zu berücksichtigen; § 60 Abs. 1 AufenthG schützt auch die öffentliche Religionsausübung (hier: missionarische Tätigkeit eines Angehörigen der Zeugen Jehovas im Iran); Qualifikationsrichtlinie ist bei der Auslegung von § 60 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.
(Leitsatz der Redaktion)
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsteilung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Somit ist bei der Prüfung der Frage, ob eine asylsuchende Person diese Voraussetzungen erfüllt, der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention zugrunde zu legen. Dies gebietet im Übrigen die Richtlinie 2004/83/EG des Rates der EU vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304/12, sog. Qualifikationsrichtlinie). Die Anwendung des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention hat ebenso wie die Vorgaben, die sich aus der Qualifikationsrichtlinie ergeben, zur Folge, dass als Prüfungsmaßstab maßgeblich darauf abzustellen ist, ob eine asylsuchende Person eine "wohlbegründete Furcht" vor Verfolgung in ihrem Herkunftsland glaubhaft machen und diese daher auf eine Rückkehr nach dort nicht verwiesen werden kann. Entscheidungserheblich ist damit anders als beim Begriff der politischen Verfolgung i. S. d. Art. 16 a Abs. 1 GG und auch anders als nach der überkommenen Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 AuslG nicht länger eine Art objektiver Beurteilung der Verfolgungsgefahr durch einen Dritten, sondern die subjektive Einschätzung einer schutzsuchenden Person, die freilich dahingehend zu prüfen ist, ob objektive Anhaltspunkte die Stichhaltigkeit einer drohenden Verfolgung stützen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1979, Nr. 37 ff.).
Aufgrund des Vorbringens der Klägerin zu. 1 im Rahmen ihrer Anhörung durch das Bundesamt und aufgrund des Ergebnisses der ausführlichen Anhörung der Kläger zu 1. und 2. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht steht zu dessen sicherer Überzeugung fest, dass die Kläger wegen ihres glaubhaft gemachten Übertritts zu den Zeugen Jehovas für den Fall einer Rückkehr in den Iran begründete Furcht vor Verfolgung durch ihr Heimatland haben. Es kann dahin gestellt bleiben, ob ein solcher Religionswechsel für sich bereits geeignet wäre, die Voraussetzungen für den Flüchtlingsschutz nach Art. 1 A Nr. 2 GFK i.V. mit § 60 Abs. 1 AufenthG auszulösen. Das Gleiche gilt für die Frage, ob allein eine missionarische Tätigkeit zur Verbreitung des Glaubens der Zeugen Jehovas in Deutschland als exilpolitische Aktivität diese Rechtsfolge auslösen würde. Entscheidend kommt es nämlich darauf an, ob die Kläger aufgrund ihres religiösen Selbstverständnisses für den Fall einer Rückkehr in den Iran es als für sich persönlich zwingend verpflichtend ansehen würden, auch dort in der Öffentlichkeit missionarisch tätig zu sein, um Andere zum Übertritt zum Glauben der Zeugen Jehovas zu bewegen. Die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2. haben im Rahmen ihrer ausführlichen Anhörung durch das erkennende Gericht überzeugend dargelegt, dass sie einen Großteil ihrer Freizeit mit dem Missionieren verbringen und dass es das Fundament ihrer religiösen Überzeugung ist, zu missionieren. Dies gelte auch für die Klägerin zu 3. Daher geht das Gericht davon aus. dass die Kläger auch im Iran entsprechend tätig werden würden und daher begründete Furcht davor haben, wegen solcher Betätigungen in Verfolgungsmaßnahmen des iranischen Staates, aber auch von Privaten, einbezogen zu werden.
Die Kläger können auch nicht darauf verwiesen werden, sich auf religiöse Handlungen im privaten Bereich zu beschränken (so genanntes forum internum). Flüchtling i.S. des Art. 1 A Nr. 2 GFK ist nämlich gerade derjenige, der wegen der Ausübung seiner Religion in der Öffentlichkeit, etwa durch öffentliche Zeremonien oder öffentliches Missionieren, in Verfolgungsmaßnahmen staatlicher oder auch privater Akteure einbezogen wird. Hiervon geht auch die bereits oben erwähnte so genannte Qualifikationsrichtlinie der EU vom 29.4.2004 aus. Zu dem Verfolgungsgrund "Religion" heißt es in Art. 10 Abs. 1 S. 1 Buchst. b) der Richtlinie:
"Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubenüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen (Herv. durch das Gericht) Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind."
Auch dies ist zumindest bei der Auslegung des Flüchtlingsbegriffes im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG interpretatorisch mit zu berücksichtigen.