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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 20.10.2005 - AN 14 K 04.31848 - asyl.net: M7920
https://www.asyl.net/rsdb/M7920
Leitsatz:
Schlagwörter: Vietnam, Krankheit, Abschiebungshindernis, HIV/Aids, Finanzierbarkeit, medizinische Versorgung, Kostenübernahme, Ausländerbehörde, Administrativhaft, Situation bei Rückkehr, Korruption, Verwaltungsakt, Nichtigkeit, Sittenwidrigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 44 Abs. 2 Nr. 6; BGB § 138
Auszüge:

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm hinsichtlich Vietnams ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Das Bundesamt hat im Bescheid vom 29. September 2002 letztlich nur deshalb keinen für den Kläger positiven Ausspruch hinsichtlich der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getroffen, weil es die Auffassung vertritt, dass eine (nach heutiger Rechtslage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geforderte und vom Bundesamt an sich der Sache nach bejahte) konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Klägers bei Rückkehr nach Vietnam deshalb nicht vorliegt, weil sie auf Grund der Zusage der ZRS Nordbayern vom 23. September 2004 nicht "alsbald" im Sinne der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 eintritt, weil aufgrund dieser Zusage die Gefahr für den Kläger, an den Folgen seiner lebensbedrohlichen Erkrankung zu sterben, für den Zeitraum eines Jahres aufgeschoben wird. Dies schließt das Bundesamt aus der Zusicherung der ZRS Nordbayern, im Falle der beabsichtigten Abschiebung des Klägers die Kosten zu übernehmen, die notwendig sein werden, damit der Kläger im Heimatland für zwölf Monate einen gesicherten Zugang zu Medikamenten und Laboruntersuchungsmöglichkeiten erhält, soweit dies anderweitig nicht sichergestellt werden kann.

Durch diese Zusicherung der ZRS Nordbayern entfällt jedoch nach Auffassung der Kammer nicht die vom Bundesamt - für den Fall der Nichtberücksichtigung dieser Zusicherung vom 23. September 2004 - festgestellte konkrete Gefährdung des Klägers, im Falle einer derzeitigen Rückkehr nach Vietnam an den Folgen seiner HIV-Infektion alsbald zu sterben.

Das Bundesamt durfte nämlich im Rahmen der Entscheidung, die zum Erlass des angefochtenen Bescheides vom 29. September 2004 geführt hat, die Kostenzusicherung der ZRS Nordbayern vom 23. September 2004 nicht berücksichtigen; sie war als unbeachtlich zu behandeln.

Sie war schon aus sich heraus nicht geeignet, die dem Kläger bei gegenwärtiger Rückkehr nach Vietnam drohende alsbaldige konkrete Gefährdung seiner Gesundheit oder seines Lebens zu vermeiden. Sie enthält bspw. keine - angesichts der erheblichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden Beeinträchtigung elementarer Rechtsgüter des Klägers notwendigen - Ausführungen oder Tatsachen dazu, auf welche Weise der Erhalt der für den Kläger erforderlichen Geldmittel in Vietnam sichergestellt wird oder weshalb davon ausgegangen wird, dass der Kläger dort, wo er nach einer evt. Abschiebung in Vietnam landen wird, die Möglichkeit hat, diese Mittel - sofern er in ihren Besitz gelangen sollte - auch zweckgerichtet für seine Gesundheit einzusetzen.

Damit ist nicht grundsätzlich gesagt, dass die Kammer von vornherein die Zurverfügungstellung von Mitteln zur Überwindung von konkreten Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ablehnt. Allerdings kann dies - bei Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles - wohl nur dann der Fall sein, wenn es sich bei dem betreffenden Ausländer um eine Person handelt, die - möglicherweise - von einer heilbaren Krankheit betroffen ist, es um eine Anschubfinanzierung bis zur Erreichung erträglicher Verhältnisse geht und praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Erlangung der Mittel nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden können. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben; im vorliegenden Falle leidet der Kläger an einer schwerwiegenden Erkrankung, die ohne die erforderlichen ärztlichen Laboruntersuchungen sowie die beständige Verabreichung der erforderlichen Medikamente unmittelbar und unaufhaltsam zu seinem Tode führt, was letztlich zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt, weil - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt wurde - davon auszugehen ist, dass der Kläger bei Abschiebung nach Vietnam in eine extreme allgemeine Gefahrenlage gebracht würde, die sich für ihn persönlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und in Bälde lebensbedrohlich auswirken würde.

Darüber hinaus weist die Kammer darauf hin, dass gegen die Verwertung der Kostenzusicherung der ZRS Nordbayern vom 23. September 2004 im Rahmen der Entscheidung des Bundesamtes vom 29. September 2004 weitere Bedenken bestehen.

Hält man die Kostenzusicherung der ZRS Nordbayern vom 23. September 2004 für einen Verwaltungsakt, so ist er nichtig im Sinne des § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG, da er gegen die guten Sitten verstößt.

Sittenwidrigkeit bedeutet, dass der Verwaltungsakt das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt (Kopp, VwVfG, 5. Auflage 1991, RdNr. 49 zu § 44). Gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt jedenfalls ein Verwaltungshandeln, durch welches einer Person ein kurzfristiger Vorteil zu dem Zweck zugewendet wird, eine Situation herbei zu führen, in welcher die Person nach Ablauf des Vorteils im Ergebnis unweigerlich auf Grund einer Erkrankung dem Tode verfällt. Schon aus diesem Grunde durfte das Bundesamt im Rahmen seiner Entscheidung vom 29. September 2004 die Kostenzusicherung der ZRS Nordbayern vom 23. September 2004 nicht verwerten. Sollte diese Kostenzusicherung vom 23. September 2004 nicht als Verwaltungsakt, sondern als behördeninterner Vorgang ohne Verwaltungsaktcharakter zu sehen sein, verböte sich eine Berücksichtigung dieser Zusicherung im Rahmen des Bescheides vom 29. September 2004 auf Grund entsprechender Anwendung des § 138 BGB, dessen Rechtsgedanken auch im öffentlichen Recht zu beachten sind.