OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.02.2006 - 2 M 114/06 - asyl.net: M7933
https://www.asyl.net/rsdb/M7933
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, außergewöhnliche Härte, Integration, Aufenthaltsdauer, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, abgelehnte Asylbewerber, offensichtlich unbegründet, Zuwanderungsgesetz, Vertrauensschutz, Rückwirkung, Duldung, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, Ausreisefrist
Normen: AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2; AufenthG § 58 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung der am 23.09.2004 abgelaufenen Aufenthaltsbefugnis als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht zu. Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass es an einer solchen Sondersituation des Antragstellers fehlt. Insbesondere lässt sich diese nicht allein daraus herleiten, dass sich der Antragsteller bereits seit mehr als neun Jahren im Bundesgebiet aufhält. Zwar hat der Gesetzgeber - wie der Antragsteller einwendet - in § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG auf eine Regelung wie in § 30 Abs. 2 AuslG verzichtet, nach der die Dauer des bisherigen Aufenthalts des Ausländers und seiner Familienangehörigen nicht als dringende humanitäre Gründe anzusehen sind, soweit der Ausländer nicht mit einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte. Das Vorliegen einer Sondersituation des Ausländers ist aber - unabhängig davon, ob der Gesetzgeber mit diesem "Verzicht" den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gegenüber der Vorgängerregelung hat erweitern wollen - nach wie vor erforderlich; dies gebieten die unverändert gebliebenen Merkmale "besondere Umstände des Einzelfalls" und "außergewöhnliche Härte" (vgl. VGH BW, Beschl. v. 09.02.2005, a. a. O.). Eine solche - besondere - Lage kann beispielsweise gegeben sein, wenn ein Ausländer in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland in besonderem Maß verwurzelt ist, weil er hier seine wesentliche Sozialisation erfahren hat (vgl. zu einem solchen Fall: OVG NW, Beschl. v. 20.05.2005 - 18 B 1207/04 - Juris: Einreise im Alter von sieben Jahren mit Eltern und Geschwistern, ununterbrochener Aufenthalt mit der gesamten Familie im Bundesgebiet über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren mit regelmäßiger Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen, Schulausbildung mit Hauptschulabschluss nach der 10. Klasse mit anschließender beruflicher Tätigkeit). Damit ist die Situation des Antragstellers nicht vergleichbar. Er teilt das Schicksal einer Vielzahl abgelehnter Asylbewerber, die auf Grund tatsächlicher Abschiebungshindemisse, seien sie selbst herbeigeführt oder auch unverschuldet, über einen längeren Zeitraum hinweg nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Der Umstand, dass der Antragsteller - zwischenzeitlich - eine Beschäftigung gefunden hat, hebt ihn nicht in einer Weise aus diesem Personenkreis hervor, dass von einer atypischen Situation gesprochen werden könnte.

Ferner kann offen bleiben, ob der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehen würde, die bestimmt, dass vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, wenn ein Asylantrag (unanfechtbar) nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wurde. Insoweit sei allerdings darauf hingewiesen, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die Anwendbarkeit dieser Vorschrift zweifelhaft ist, wenn die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG vor Inkrafttreten des AufenthG bestandskräftig geworden ist (vgl. Discher in: GK-AufenthG, § 10 RdNr. 194).

Auch der vom Antragsteller hilfsweise gestellte Antrag, mit der er im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Aussetzung seiner Abschiebung (Duldung) begehrt, hat keinen Erfolg. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass eine Aussetzung der Abschiebung erst in Betracht kommt, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar geworden ist (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 60a RdNr. 73, m. w. Nachw., sowie zu § 55 AuslG: VGH BW, Beschl. v. 03.11.1995 - 13 S 2185/95 -, DVBl 1996, 209). Beizupflichten ist dem Verwaltungsgericht auch darin, dass die Ausreisepflicht des Antragstellers erst mit Ablauf der ihm im Ablehnungsbescheid vom 08.11.2005 gesetzten Ausreisefrist von drei Monaten nach Zustellung des Bescheids vollziehbar (geworden) ist. Nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Ausreisepflicht unter anderem dann vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels vollziehbar ist. Der Ablauf einer gesetzten Ausreisepflicht ist zwar in dieser Bestimmung nicht (ausdrücklich) als weiteres Tatbestandsmerkmal für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht genannt; um einen Wertungswiderspruch zu den in § 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG geregelten Fällen des Eintritts der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zu vermeiden, ist die in der zuletzt genannten Regelung normierte (weitere) Voraussetzung, dass eine Ausreisefrist nicht gewahrt wurde oder diese abgelaufen ist, auch für die Fälle des § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu fordern (so auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 58 RdNrn. 6 ff.; a. A.: VG Braunschweig, Beschl. v. 01.06.2005 - 6 B 60/05 - Juris). Eine gegen den Wortlaut vorzunehmende Auslegung einer Vorschrift kommt in Betracht, wenn die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. BFH, Urt. v. 03.02.2000 - III R 30/98 - BFHE 190, 569). Wertungswidersprüche können dann nicht mehr hingenommen werden, wenn sie willkürliche, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ergebnisse zur Folge haben (vgl. BayVGH, Urt. v. 29.06.1999 - 20 B 98.3241 -, NVwZ 2000, 215, m. w. Nachw.). So liegt es hier. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb beispielsweise derjenige, der unerlaubt eingereist ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) anders und besser behandelt werden soll als derjenige, der sich zunächst legal im Bundesgebiet aufgehalten hat und der überhaupt erst durch einen Verwaltungsakt ausreisepflichtig wird; außerdem wäre derjenige Ausländer, dessen Aufenthaltstitel schlicht abgelaufen ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) gegenüber demjenigen, der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Bestimmung einer Ausreisefrist ausgewiesen wird, ungerechtfertigt privilegiert (vgl. Funke-Kaiser, a. a. O.).