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Zitieren als:
, Beschluss vom 27.03.2006 - L 3 ER 37/06 AY - asyl.net: M8028
https://www.asyl.net/rsdb/M8028
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Verlängerung, Einreise, sicherer Drittstaat, Krankheit, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2; RL 9/2003/EG Art. 16
Auszüge:

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG liegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang bei den Beschwerdeführern zu 1) und 2) vor.

Ein Anordnungsgrund, d.h. die Erforderlichkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, ist für die Beschwerdeführer gegeben. Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführer bereits Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Dass nach der gesetzgeberischen Wertung für die Zeit vor Eintritt in die durch § 2 AsylbLG bestimmte Leistungsphase die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG als hinreichend zur Deckung des zum Lebensunterhalt Unerlässlichen angesehen werden, rechtfertigt nicht, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bei der Prüfung des Anordnungsgrundes und des unzumutbaren Nachteils für die Leistungen nach § 2 AsylbLG dies als Maßstab zu nehmen. Für das, was zum Lebensunterhalt unerlässlich ist, sind zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes die für den jeweiligen gesetzlich geregelten Sachbereich geltenden normativen Vorgaben zur Grundlage zu machen (vgl. hierzu OVG Münster, Beschluss vom 16.10.2001 - 12 B 622101). Entsprechend dem Willen des Gesetzgebers sollen grundsätzlich alle Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz die in § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehenen erhöhten Leistungen des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) nach 36 Monaten erhalten (vgl. hierzu BT-Drucks. 15/420, Seite 121). Diese Regelung ist Ausdruck des Integrationsgedankens. Bei ausreichend langer Aufenthaltsdauer von mehr als 36 Monaten soll dem Ausländer auch eine Integration in die deutsche Gesellschaft durch öffentliche Mittel ermöglicht werden. Dies begründet, ihm Leistungen entsprechend der Sozialhilfe zu gewähren (vgl. hierzu BT-Drucks. 13/2746, Seite 15). Es würde jedoch dem Integrationsgedanken widersprechen, Asylbewerber nach Ablauf von 36 Monaten auf abgesenkte Leistungen zu verweisen. Eine Verzögerung der für Ausländer vorgesehenen Integrationsmöglichkeiten stellt einen unzumutbaren Nachteil dar (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 06.09.2005 - S 3 B 199/05; SG Hildesheim, Beschluss vom 25.05.2005 - S 34 AY 8/05 ER; offen lassend Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.02.2006 - L 3 B 179/05 AY-ER; Thüringisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.07.2005 - L 8 AY 379/05 ER; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2005 - L 11 B 103/05 AY; anderer Ansicht, SG Würzburg, Beschluss vom 25.02.2005 - S 15 AY 2/05 ER). Aus diesen Gründen ist auch keine Herabsetzung auf 80 vH des Regelsatzes nach dem SGB XII gerechtfertigt.

Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung (BGBl I Seite 1950) ist das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland kann nicht als rechtlich missbilligenswert angesehen werden. Nach § 26 a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) wird lediglich durch die Einreise über einen sicheren Drittstaat ausgeschlossen, dass nach Art. 16 a Grundgesetz (GG) Asyl gewährt werden kann. Für die Beschwerdeführer bestand jedoch bei ihrer Einreise die Möglichkeit, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 AuslG in der damals geltenden Fassung hätte eingeräumt werden können. Darüber hinaus war für die Beschwerdeführer zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse bestanden. Die Einreise über einen sicheren Drittstaat führt nicht generell zum Ausschluss eines verfestigten ausländerrechtlichen Status. Damit handelt es sich nicht um ein rechtlich zu missbilligendes Verhalten, das mit einer Leistungsabsenkung auch über den 36. Monat der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG verbunden werden kann.

Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass diejenigen dauerhaft von einer Leistungsabsenkung betroffen sein sollen, die durch eigenes vorwerfbares Verhalten z.B. Angabe einer falschen Identität oder Vernichtung des Passes ihre Ausreise unmöglich machen. Anknüpfungstatsachen sind damit nicht die Umstände der Einreise, d.h., der Weg, den der Betroffene genommen hat, sondern allenfalls die Tatsache, ob er bei seiner Einreise falsche Angaben gemacht hat hinsichtlich seiner Identität. Denn lediglich insoweit sind Umstände der Einreise maßgeblich auch für die Dauer des Aufenthaltes, da bei falscher Identitätsangabe Ermittlungen erforderlich sind, die unter den Umständen, dass der Asylbewerber seine richtige Identität angibt, nicht erforderlich wären. Dieser Fall ist jedoch nicht vergleichbar mit der Einreise über einen sicheren Drittstaat (a.A. ohne Begründung Hohm, NVwZ 2005, 388, 390).